Foto-Projekt in Hohenschäftlarn:Gesichter mit Geschichten

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Mehr als nur Passfotos: Fotograf Wolfgang Amslgruber (Mitte) mit Danylo und dessen Mutter Olha vor den Porträts in Schäftlarn. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Der Fotograf Wolfgang Amslgruber hat für Geflüchtete aus der Ukraine kostenlose Passbilder erstellt. Daraus ist nun eine Ausstellung entstanden.

Von Marie Heßlinger, Schäftlarn

Als im März eine Frau vor Wolfgang Amslgrubers Fotostudio stand und nach einem Passbild fragte, wollte er sie zunächst wegschicken wie alle anderen auch - Passbilder sind nicht sein Metier, Amslgruber hat sich auf "Business-Porträts" spezialisiert, wie er es nennt. Aber etwas ließ ihn innehalten. Die Frau kam aus der Ukraine. Mit einem Mal wurde ihm klar, dass nun Dutzende Ukrainerinnen und Ukrainer Passbilder für ihre Antragsformulare und Ausweise brauchen würden. Vier Monate später ist daraus eine Ausstellung entstanden.

Wolfgang Amslgruber ist in München geboren, seine erste Spiegelreflex-Kamera wünschte er sich zum Abitur. Es zog ihn jedoch zunächst ins Unterhaltungsfernsehen. Er wurde Chef einer Produktionsfirma, zog nach Irschenhausen in Icking und erst Jahre später, als seine beiden Söhne erwachsen waren, wagte er ein Studium der Werbefotografie. Im August 2020 eröffnete er sein Studio in der Münchner Straße in Hohenschäftlarn. "Ich habe mir vor zwei Jahren meinen Lebenstraum erfüllt", sagt der heute 55-Jährige, brauner Kopf, weißes Hemd, Schuhe, die auf dem Parkettboden klackern.

Der Junge Sascha vor seinem Bild, das Amslgruber zur Ausstellung inspirierte. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Als im März jene Ukrainerin vor seiner Türe stand, schenkte er ihr das Passbild, und wandte sich am nächsten Tag an die Gemeinde Icking, damit sie das kostenlose Angebot für Geflüchtete auf ihrer Website veröffentlichen möge. Schnell sprach sich das in den Kreisen der Neuankömmlinge herum - von Baierbrunn über Schäftlarn bis nach Icking. "Dann hatte ich hier die ukrainischen Mitbürger vor der Tür stehen", erinnert sich Amslgruber, "dann ging es los."

"Man hat irgendwie Blickkontakt": Die Bilder zeigen starke Persönlichkeiten wie diese junge Ukrainerin. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Am Anfang seien täglich um die 20 Geflüchtete für Fotos gekommen, mittlerweile habe er mehr als 100 Passbilder geschossen, sagt Amslgruber. Die Begegnungen mit den Geflüchteten berührten ihn - er stellte keine Fragen, aber manche, sagt Amslgruber, erzählten von sich aus. Eine Frau etwa war nach Deutschland geflohen, ihr Ehemann und ihr 24 Jahre alter Sohn verharrten indes im Stahlwerk in Mariupol. Er sei, erinnert sich Amslgruber, in jener Zeit abends als ein anderer nach Hause gefahren.

Die Bilder der Ukrainerinnen und Ukrainer aber, die täglich mehr und mehr wurden, faszinierten ihn. "Dadurch, dass sie direkt in die Kamera geguckt haben, hatte man irgendwie - Blickkontakt." Amslgruber sah den Stolz in ihren Blicken, ihre Ausdrucksstärke, aber auch die Traurigkeit in den Augen der Kinder. Es war der kleine Sohn jener Ukrainerin, der ihn auf die Idee brachte, die Bilder zu zeigen.

Der kleine Junge habe, wie die meisten ukrainischen Kinder, etwas ungewöhnlich Schwermütiges, Melancholisches an sich gehabt, stellte der Fotograf fest. Auf einem Bild lugt der Junge mit Schmollmund und traurigen Augen unter seinem Pony hervor, den Kopf auf die Hände gestützt, die vor Schwäche wegzuknicken scheinen. Amslgruber erwog, dieses und andere Bilder der Ukrainerinnen und Ukrainer zu entwickeln und auszustellen.

Man mag es durchaus kritisch sehen, dass Amslgruber diese persönlichen Fotos nun in einer Ausstellung veröffentlicht - doch bei den Geflüchteten stieß die Idee auf Begeisterung. Alle bis auf zwei zeigten sich einverstanden.

Um die 50 Bilder hat Amslgruber nun in seinem Studio in der Münchner Straße aufgehängt. Er hat die Fotos genommen, wie sie waren, hat keine Mitesser und keine Falten retuschiert. Während er seine sonstigen Porträts oft vor schwarzem Hintegrund aufnimmt und eine Gesichtshälfte der Porträtierten gern im Schatten verschwinden lässt, sind die Bilder der Geflüchteten allesamt schwarz-weiß vor weißem Hintergrund und hell ausgeleuchtet. Am Freitag hat Amslgruber die Ausstellung eröffnet. Viele der Porträtierten sind zur Vernissage gekommen. Einige von ihnen waren sichtlich gerührt.

"Nice to see pictures" - schön, die Bilder zu sehen - tippte ein taubstummer ukrainischer Familienvater am Freitag in sein Smartphone. "It is a very difficult feeling" - es ist ein sehr schwieriges Gefühl - sagte indes eine junge Mutter. Das Bild erinnere sie an die schwierige Zeit, die hinter ihr liege.

"Nice to see pictures": Der porträtierte Dmytro mit seiner Familie Liana Slat (rechts), Maksym (links) und Liliia (unten). (Foto: Harry Wolfsbauer)

Er hoffe, die Geflüchteten könnten während der Ausstellung zumindest für eine Stunde ihre Traurigkeit vergessen, sagte Amslgruber vor der Vernissage. Was er anschließend mit den Fotos machen wird, weiß er noch nicht. Vielleicht den Geflüchteten schenken. Zum Verkauf jedenfalls stehen sie nicht. Für die Besucher der Ausstellung hat der Fotograf eine Spendeneinladung aufgestellt - an eine Hilfsorganisation zur Unterstützung der Geflüchteten.

Bis zum 15. September sind die Fotos montags bis freitags von 10 bis 18.30 Uhr in Amslgrubers Studio in der Münchner Straße 35 in Hohenschäftlarn ausgestellt. Auf Wunsch öffnet der Fotograf auch an anderen Tagen und zu anderen Uhrzeiten die Ausstellung. Im Anschluss werden die Rathäuser in Icking und Hohenschäftlarn seine Bilder zeigen.

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