Neue Einblicke, neue Strahlkraft:Campendonk durchschauen

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Das Museum Penzberg hat ein Forschungsprojekt zur Hinterglasmalerei des Expressionisten abgeschlossen und in der aktuellen Ausstellung ein eindrucksvolles Werkverzeichnis vorgelegt.

Von Felicitas Amler, Penzberg

So nah kommt ein Museumsbesucher einem Künstler nie: Simone Bretz und Gisela Geiger kennen den Expressionisten Heinrich Campendonk (1889-1957) von vorn und von hinten, und sie haben ihn durchschaut - besser gesagt: 32 seiner Hinterglasbilder. Die Leiterin des Penzberger Campendonk-Museums und die Gemälderestauratorin haben ein mehrjähriges interdisziplinäres Forschungsprojekt geleitet, in dem diese spezielle Technik, der sich Campendonk gern und mit handwerklicher Raffinesse gewidmet hat, untersucht wurde. Unterstützt von anderen Fachstellen und Sponsoren haben sie dazu jetzt ein eindrucksvolles, 244 Seiten starkes, reich illustriertes Werkverzeichnis herausgegeben.

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(Foto: Simone Bretz/oh)

Das Werk "Stillleben mit Fischglas, Spielkarten und Vase", wird von drei verschiedenen Blickwinkeln gezeigt (hier von vorn).

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(Foto: Simone Bretz/oh)

Heinrich Campendonk schuf das Werk um 1927.

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(Foto: Simone Bretz/oh)

Auch im Durchlicht erscheint ein Teil der Hinterglasbilder.

"Wir können zeigen, was wir sehen durften", sagte Bretz bei der Präsentation in Penzberg. Und meinte damit nicht zuletzt die Rückseiten der Hinterglasmalerei. Diese werden im Buch an einzelnen Beispielen im Vergleich zu den Vorderseiten dargestellt. Bei ihr selbst, so die Garmischer Restauratorin, habe das Öffnen der Bildrücken "Erstaunen und Wow-Effekte" ausgelöst. Denn bei Betrachtung der Malerei von hinten lasse sich genau erkennen, wie Campendonk gearbeitet hat. Pinselduktus und Schichtstärken etwa würden da sichtbar, sagte Bretz; ebenso sei zu entdecken, wo er radiert - soll heißen: etwas aus der Farbschicht herausgekratzt - hat. "Die Radiernadel war sein wichtigstes Instrument", sagte Bretz.

Für dieses Werksverzeichnis wirkten zusammen (v.l.): Simone Bretz, Gisela Geiger, Diana Oesterle, Thomas Lensch und Heike Stege. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das kleine Penzberger Museum hat das große Verdienst, das Werk des bisher am wenigsten erforschten Mitglieds der Künstlergruppe "Blauer Reiter" sowohl dem Publikum als auch der Fachwelt zu erschließen. Seit ihr Haus über einen Großteil des künstlerischen Nachlasses Campendonks verfügt, hat Geiger immer wieder auf die besondere Kunstfertigkeit verwiesen, die er in der Hinterglasmalerei entwickelt hatte. Die Leiterin des Penzberger Hauses schätzt, dass Campendonk mehr als hundert solcher Werke geschaffen hat. In dem jetzt abgeschlossenen Projekt der Restaurierung und kunsthistorischen Aufarbeitung, das von der Siemens-Kunststiftung gefördert wurde, konnten 76 Hinterglasbilder aus einem Schaffenszeitraum von vierzig Jahren entdeckt und analysiert werden. Bretz hat 38 davon untersucht, fotografisch erfasst und davon wiederum 18 restauriert. Wichtige Kooperationspartner waren das Doerner-Institut München und die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin.

Ein und dasselbe Werk von vorn (l.), von hinten (o.) und im Durchlicht (u.): "Stillleben mit Fischglas, Spielkarten und Vase", Heinrich Campendonk, um 1927, Privatbesitz. (Foto: Simone Bretz/oh)

In der aktuellen Ausstellung "Magische Transparenz" können sich Besucher von der Faszination der Campendonkschen Hinterglasmalerei überzeugen. Die besondere Strahlkraft intensiver Farben, ein enormes Leuchten in feurigem Rot oder in Schattierungen von Türkis bis Meerblau zieht auch Kunstinteressierte an, die sich bisher gar nicht so sehr für das Oeuvre dieses Malers begeistert haben. Die eigenwilligen und oft mindestens auf den ersten Blick rätselhaften Motive - "Grüner Akt mit Kühen" etwa oder "Kreuzigung mit Katze" - scheinen sich dank der starken Attraktion sogar leichter zu erschließen. Auf jeden Fall fordern die Bilder zur intensiven Auseinandersetzung heraus. Und mehr noch tut dies das Werkverzeichnis.

(Foto: Simone Bretz/oh)

Das in doppeltem Sinn gewichtige Buch (es bringt üppige 1,7 Kilo auf die Waage) liefert einerseits reichlich Daten und Erkenntnisse für Fachleute: von der Provenienz über die Materialanalyse bis zum Erhaltungszustand der einzelnen Werke. Andererseits bietet es dem Leser und Betrachter auch optisch so viele Facetten eines Werks - Ausschnitte, Details, Hintergründe, Durchlicht-Ansichten -, dass er sich an ein Bild geradezu heranarbeiten kann. Diese Vertiefung in Campendonks Malweise ist, wie Gisela Geiger nach ihrer eigenen forschenden, eindringlichen Befassung sagt, enorm bereichernd. Die Museumsdirektorin jedenfalls ist sicher: "Wir sind dem Verständnis seines Schaffens sehr viel näher gekommen." Wer das Buch studiert, kann sich zumindest auf den Weg dahin machen.

(Foto: Simone Bretz/oh)

Wienand-Verlag: Gisela Geiger und Simone Bretz für das Museum Penzberg, "Heinrich Campendonk. Die Hinterglasbilder"; an der Museumskasse für 37 Euro, im Handel 44 Euro. www.museum-penzberg.de

© SZ vom 11.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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