Zeitgenössische Kunst:Wettleuchten in Münsing

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Michael Eckle hat jahrzehntelang nur blaue Bilder gemalt. Diese Zeiten sind vorbei. (Foto: Hartmut Pöstges)

Michael Eckle bringt mit der Schau "The Power of Color" Leben und Farbe in die Kunstszene am Starnberger See. An der großartigen Malerin Ruth Kohler kommt man da natürlich nicht vorbei.

Von Stephanie Schwaderer, Münsing

Der Herbst kann einpacken. Wer einen Farbrausch erleben, in Gelb, Orange, Pink, Rot und - immer wieder - Ultramarinblau eintauchen will, der muss nach Münsing fahren. "The Power of Color" heißt eine Ausstellung, zu der Michael Eckle in seinen Kunstraum an der Bachstraße einlädt. Dort präsentiert er eigene Werke sowie Arbeiten von Münsinger Künstlerinnen und Künstlern, die eines gemein haben: Sie strotzen vor Lust an der Farbe.

Die Namen der Ausstellenden sind auf der Einladung und im Katalog streng alphabetisch geordnet: Annamaria Bellmann, Michael Eckle, Annette Emrich, Ilse Frank, Christine Kolbinger und Fritz Wagner. An oberster Stelle steht bescheiden und doch ganz außer der Reihe: Ruth Kohler. "Ja natürlich", sagt Eckle, "sie ist die Grande Dame! Sie lebt seit 52 Jahren hier und hat so viele hier beeinflusst!" Die Ausstellung sei auch eine Art Hommage an sie.

Ruth Kohler legt noch einmal Hand an ihr Gemälde. (Foto: Michael Eckle/oh)

Dass er und Kohler spannungsvoll harmonieren, davon zeugt schon der erste, große, lichtdurchflutete Galerieraum. Wer ihn betritt, gerät in ein Kraftfeld, ein Wettleuchten, das schlagartig die Stimmung hebt. Von der rechten Wand her strahlt ein kalt-heißes Diptychon, das grob gesehen aus vier Streifen in Ultramarin und Knallrot besteht - unverkennbar ein Eckle. Direkt gegenüber: ein Großformat, das Pink, Orange und Lila mit einer solchen Kraft und Poesie pulsieren lässt, wie nur Kohler es vermag. Das sind die Pole, zwischen denen sich die Schau bewegt.

Eckle hat wie Kohler Malerei studiert und mehr als 30 Jahre lang ausschließlich monochrome Bilder in Ultramarinblau gemalt. Seit ein paar Jahren bricht er das magische Blau durch Leuchtfarben auf. "In Münsing tut sich was", sagt der 72-Jährige und schlüpft in einen weißen Overall. "Hier gibt es so viele Künstlerinnen und Künstler. Aber nirgends gibt es ein Forum für zeitgenössische Kunst." Die Ausstellung "Power of Color" bringe erstmals "exklusiven Galeriecharakter" in die Gemeinde. Mehr als ein Dutzend Kreative hätten gerne mitgemacht. Mit Kohler sei er jedoch übereingekommen, sich diesmal ganz auf Kunst zu konzentrieren, die ihre Kraft aus der Farbe bezieht.

So fügt sich auch eine filigrane Papierarbeit von Annamaria Bellmann stimmig in die Runde: Ein zartweißer Blätterkreis hebt sich von einem Hintergrund ab, der so blau ist, dass er von Eckle stammen könnte. Ein Gemälde wiederum, auf dem pinke und rote Flächen vor einem grünen Hintergrund wirbeln, würde man spontan Ruth Kohler zuordnen. Tatsächlich stammt es von Ilse Frank. "Sie war ja auch Ruths Schülerin", sagt Eckle.

Auch die Papierkünstlerin Annamaria Bellmann hat das Ultramarinblau für sich entdeckt. (Foto: Hartmut Pöstges)
Arbeiten von Christine Kolbinger (links und Mitte) und Ilse Frank (rechts). (Foto: Hartmut Pöstges)

Im hinteren Raum korrespondieren neue Arbeiten von Christine Kolbinger ganz wunderbar mit einem zweiten Gemälde Ilse Franks. Zudem gibt es dort eine abstrakte Malerei von Fritz Wagner und ein Murmelbild von Annette Emrich zu sehen. Auch hier wurde offenkundig sorgsam kuratiert. Mehrere Monate Arbeit und unzählige Diskussionen steckten in den Vorbereitungen, sagt Eckle. "Ruth ist ein kritischer Geist."

Da geht die Tür auf, und herein kommt die Grande Dame. "Ja wow!", ruft sie. "Schön!" Und in Richtung Eckle gewandt: "Hängen, das kann er, er ist ein alter Fuchs!" Ein paar Minuten später steht eine Sorgenfalte auf ihrer Stirn. An das gelbe Bild müsse sie unbedingt noch einmal ran, "da muss noch mehr Dunkelheit hinein". Und überhaupt: Sind ihre Gemälde neben Eckles Leuchtfarben nicht viel zu blass? "Das geht doch gar nicht!", ruft sie - und wirkt für einen Moment so, als würde sie die Bilder gleich abhängen und nach Hause tragen.

Eckle bittet ins Küchenkabinett, wo er einen besonderen Schatz präsentiert: ein Bild, das Herbert Achternbusch 2005 nach dem Tod von Annamirl Bierbichler auf ein Stück Teppich gemalt hat. Es zeigt ein Mädchen, das auf einer Schaukel durch die Nacht fliegt. "Annamirl Servus!" steht darüber.

Derweil hat Ruth Kohler den großen Galerieraum kurzerhand in ein Atelier rückverwandelt. Sie hat die Jacke ausgezogen und sich eine von Eckles Leuchtfarben geschnappt. Ihre Hand steckt in der Flasche. Dann zieht sie die in Neonpink getauchten Finger heraus und beginnt mit der Nacharbeit an ihrem Großformat. Ganz dicht steht sie vor der Leinwand, wischt impulsiv hier einen Strich, dort einen Schwung hin. Das hat etwas fast Tänzerisches. Wer käme auf den Gedanken, dass diese Frau 94 Jahre alt ist? Sie tritt einen Schritt zurück. "So ist es schon ein bisschen besser."

Michael Eckle und Ruth Kohler bringen Schwung in die Münsinger Kunstszene. (Foto: Hartmut Pöstges)

Ein paar Minuten später sitzt sie mit Eckle am Tisch und lässt ihren Blick durch den Raum schweifen. "Das tut meiner Seele gut", sagt sie. Eckle erwidert: "Farben wirken physisch und psychisch, man muss dieser verrückten Zeit etwas entgegensetzen: Optimismus, Freude, Schönheit." Kohler ergänzt: "Die Malerei wurde schon tausendmal totgesagt, sie ist nicht tot zu bekommen." Und dann spintisieren sie ein bisschen, wie ein Ruth-Kohler-Museum aussehen könnte. Vielleicht ein Anbau am Münsinger Bürgerhaus? "Ein weißer Kubus mit einer blauen Tür", sagt Kohler. Es könnte auch ein Turm sein, sagt Eckle. "Der Tower of Color."

"The Power of Color", Kunstraum Münsing, Bachstraße 7b, Vernissage am Freitag, 3. November, 19 Uhr, geöffnet an den Wochenenden 4./5. November und 11./12. November jeweils von 13 bis 18 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung (0151-173 40 706)

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