Lokal-Kultur in Bad Tölz:Ciao, Enzo

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Macht Schluss mit Tölz: Wirt Enzo Caggiano geht nach fast 40 Jahren in der Kurstadt wieder nach Sizilien zurück. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Nach fast 40 Jahren schließt Enzo Caggiano seine Pizzeria in der Tölzer Marktstraße. Ein herber Verlust, denn in der Kurstadt grassiert das Wirtshaussterben schon länger

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Seit einigen Wochen ist es in der Pizzeria "Da Enzo" ungemütlich. Möbel werden ausgeräumt, Arbeiter hasten durch die Räume. Eine Dame, die sich trotzdem reingetraut hat, wird freundlich abgewiesen: Nein, zu essen gebe es nichts mehr. Fast vier Jahrzehnte lang haben die Brüder Enzo und Donato Caggiano das italienische Restaurant in der Marktstraße geführt. Nun ist Schluss - aus Altersgründen, denn Enzo Caggiano ist 70, sein Bruder nur vier Jahre jünger. Bis Ende des Monats werden Einrichtung und Ausstattung bei einem "Gastro-Flohmarkt" verkauft, am 31. Oktober die Schlüssel übergeben. Das Haus, das einem privaten Eigentümer gehört, muss dringend saniert werden. Ob es dort wieder eine Gastronomie geben wird, ist ungewiss.

Die Brüder Caggiano, die aus einem Ort in der Nähe von Salerno stammen, haben Anfang der Achtzigerjahre den Klammerbräu übernommen und mit ihren Ehefrauen und einigen Angestellten als italienisches Restaurant plus Hotel mit 20 Zimmern weiter betrieben. Im Sommer prägten die meist gut besetzten Tische das Bild der Marktstraße. Nun steht ein Schild am Eingang: "Jeder Traum darf zu Ende gehen. Nach 37 Jahren im Klammerbräu gehen wir in den Ruhestand. Die Familie Caggiano sagt Grazie."

Mit der Pizzeria schließt ein Traditionslokal in der Kurstadt - wieder eines. Die Liste ist inzwischen lang: Das Starnbräu, der Leonhardi-Keller, das Marché, das Benvenuti in der Badstraße, die Trattoria Al Ponte, die Alte Schießstätte - alle geschlossen. "Wir haben eine sehr knappe Gastronomie in der Innenstadt", sagt Tourismuschefin Brita Hohenreiter. Dass in jüngster Zeit mit dem Starnbräu und dem Enzo gleich zwei Lokale in der Marktstraße aufgehört haben, sei eine "schwierige Situation"; besonders an Leonhardi werde sich die Lücke bemerkbar machen. Kneipen und Lokale seien wichtig, so Hohenreiter. Sie sorgten für eine "Wohlfühlatmosphäre" und verhinderten, dass Innenstädte veröden. Dass sich Gäste über mangelnde Einkehrmöglichkeiten in der Kurstadt beschweren, sei bisher noch nicht vorgekommen. "Aber von Einheimischen hört man das schon hin und wieder", sagt Hohenreiter. Wenn reihenweise Gaststätten schließen, litten nicht nur Tourismus und Wirtschaft. Dann brächen auch soziale Treffpunkte und ein Teil der Lebenskultur weg.

Die Stadt habe keine Einflussmöglichkeiten, sagt Hohenreiter, denn die Immobilien seien in Privateigentum. Man leiste aber Unterstützung bei der Beantragung von Fördergeldern für Sanierungsmaßnahmen. So unterstütze die neue Wirtschaftsförderin Sandra Kern derzeit den Eigentümer des Starnbräus. Das Lokal, das zwar eine Grillstation hatte, aber keine Küche und aus der Hofbräuhaus-Zentrale in München beliefert wurde, müsse wohl umgebaut werden. Andernfalls sei es schwierig, einen neuen Pächter zu finden. Auch eine überbordende Bürokratie, hohe Brandschutzauflagen und der Personalmangel machten es Wirten nicht leicht.

Das Wirtshaus zum Starnbräu in der Tölzer Fußgängerzone ist schon seit Jahresende geschlossen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Für Monika Poschenrieder ist das Wirtshaussterben "kein Tölzer Problem". In vielen Gemeinden grassiere das Siechtum in der Gastronomie. Als Beispiele nennt die Kreisvorsitzende des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) den Jägerwirt in Gaißach, den Gasthof Wiesweber am Stallauer Weiher oder den "Löwen" in Bichl.

Hubert Aiwanger, stellvertretender Ministerpräsident und bayerischer Wirtschaftsminister, hatte im Wahlkampf eine Stärkung der bayerischen Wirtshauskultur versprochen. "Kein Dorf ohne Wirtshaus", so lautete die Losung, die in ein "Gaststättenmodernisierungsprogramm" mündete, das im Mai gestartet wurde. Jährlich 15 Millionen Euro sind im Doppelhaushalt eingestellt; Gaststätten können Zuschüsse bis zu 200 000 Euro für Sanierungsmaßnahmen beantragen. Poschenrieder nennt diese Fördermöglichkeit, von der auch der Tölzer Starnbräu profitieren könnte, "eine schöne Sache". Bereits jetzt hingen aber schon 2500 Anträge bayernweit in der Warteschleife.

Nach Ansicht von Poschenrieder müsse noch ein anderer Punkt dringend geändert werden: Eine Absenkung der Mehrwertsteuer, die für Gaststätten bei 19 Prozent liegt. Für Imbisse gelte dagegen ein Satz von nur sieben Prozent. Es sei nicht akzeptabel, dass Fast-Food-Lokale und Coffee-to-go-Läden, die keine Toiletten vorhalten müssten und oft umweltschädliches Plastikgeschirr verwendeten, besser gestellt würden. In Nachbarländern wie Österreich, Frankreich und Italien gilt für Gaststätten ein Mehrwertsteuersatz von zehn Prozent. In den vergangenen Jahren sei in Deutschland einiges schiefgelaufen, kritisiert Poschenrieder. "Die Unterstützung der Bundespolitik fehlt".

Dass Pächter ständig wechseln oder ganz aufgeben, dass Kinder den elterlichen Gasthof nicht weiterführen wollen - das liege nicht an sinkenden Gästezahlen. Denn dass die Leute weniger ausgehen und die Gaststuben leer bleiben, kann Poschenrieder nicht bestätigen. "Wir haben gut gehende Betriebe, die schließen." Das Problem seien die hohen Kosten: 40 Prozent Lohnkostenanteil, 30 Prozent Warenkosten, 13 Prozent Energie, Pacht und nötige Investitionen - was da noch übrig bleibt, könne man sich ausrechnen. Um den selben Umsatz zu erzielen wie im Einzelhandel, seien in der Gastronomie sieben Mal so viele Mitarbeiter nötig. Ein weiteres Problem, denn der Personalmangel macht den Wirten zu schaffen. "Wir finden keine Arbeitskräfte mehr und Fachkräfte sowieso nicht", sagt Poschenrieder, die den Forellenhof Walgerfranz in Bad Tölz führt.

Das Image der Branche sei nicht gut, "und heute soll ja jeder unbedingt studieren". Verstehen kann die Dehoga-Kreisvorsitzende das nicht, denn in der Gastronomie werde nicht schlecht gezahlt, die Arbeit sei abwechslungsreich. Und Arbeitszeiten könnten durchaus so gestaltet werden, dass Angestellte nicht jedes Wochenende Dienst hätten. Jedenfalls müsse sich dringend etwas ändern, sagt Poschenrieder, denn das Wirtshaussterben sei "eine Katastrophe."

© SZ vom 23.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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