Geigenbau-Meisterin im Porträt:Lenggrieser Klangkunst für die Welt

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Katharina Neumüller ist Geigenbau-Meisterin mit einer Werkstatt in Lenggries. Ihr Kundenkreis wird zunehmend größer - und auch internationaler. (Foto: Gregor Miklik/oh)

Katharina Neumüller fertigt im Isarwinkel Bratschen und Violinen und hat damit ihre handwerkliche Nische gefunden. Ihren Betrieb führt sie mit beträchtlichem Erfolg, aber unprätentiös.

Von Gregor Miklik, Lenggries

Wenn berühmte Violinistinnen und Violinisten von ihren Instrumenten erzählen, sind das meist alte Modelle von Amati, Guarneri oder Stradivari. Aber der internationale Geigenbau-Wettbewerb in Mittenwald zeigt seit 1989, dass auch neu gebaute Instrumente klanglich überzeugen können. Auch für die Geigenbau-Meisterin Katharina Neumüller aus Lenggries steht der Klang im Vordergrund, "und mit dem muss ich mich sicher nicht verstecken", sagte die 43-Jährige.

Besuch im Lenggrieser Ortsteil Rieschenhöfe: An einem alten Bauernhaus findet sich ein moderner Anbau, im ersten Stock gibt es einen Ausstellungsraum mit etlichen Geigen und Bratschen, in dem laut Neumüller auch regelmäßig Hausmusik gespielt wird. Daneben ist ihre Werkstatt, die Fenster nach Norden sorgen für gleichmäßiges Licht. Es duftet - wenig überraschend - nach Holz. Während des Gesprächs bearbeitet Neumüller einen Geigenboden.

Die Entscheidung für den Beruf schien für die Lenggrieserin naheliegend, denn schon Vater und Großvater waren als Geigenbaumeister tätig. "Anfangs war diese Familientradition allerdings eher Motivation, mich nach etwas anderem umzusehen", erinnert sie sich. "Als junges Mädchen habe ich über 'Erzieherin' nachgedacht, dann über Kunsttherapie." Dafür allerdings brauchte man damals eine handwerkliche Ausbildung - so fing sie mit 18 Jahren in der Geigenbauschule in Mittenwald an. "Dort habe ich dann ganz schnell gemerkt, dass das mein Ding ist."

Katharina Neumüller führt eine Familientradition fort, auch wenn sie anfangs eher an einen anderen Beruf dachte. (Foto: Gregor Miklik/oh)

Nach Ende der Ausbildung war Neumüller dann ein gutes Jahrzehnt lang überwiegend in der Werkstatt ihres Vaters in Memmingen tätig, seit etwa zehn Jahren führt sie nur noch ihren eigenen Betrieb - mit beträchtlichem Erfolg, aber sehr unprätentiös, "ein Handwerk halt", kommentiert sie achselzuckend und erklärt: "Ich kann mich nicht verkünsteln, ich muss mich an Normen halten."

Manche Kunden wünschten sich jemanden, der ihnen eine Stradivari nachbaue, andere wollten technisch erläutert bekommen, warum ihre Geige gut klingen wird - "die kommen vermutlich beide nicht zu mir, ich biete bodenständiges Handwerk an, das auf Erfahrung und Intuition beruht." Auf diese Intuition allerdings könne sie sich mit jetzt 25 Berufsjahren inzwischen durchaus verlassen.

"Ich habe hier in Lenggries meine Nische gefunden", sagt sie. Mit einer Werkstatt in München hätte sie vermutlich deutlich mehr Publikumsverkehr, dadurch aber eben auch deutlich mehr Reparaturen und Sanierungen. Sie lehne auch in Lenggries keinen Reparaturwunsch ab, aber die seien hier halt selten, "und ich kann mich auf das konzentrieren, was ich am liebsten mache und am besten kann: den Neubau." Sie stünde aktuell bei rund 350 selbst gebauten Instrumenten - etwas mehr Bratschen als Geigen, nur einige wenige Celli. Es gibt ihr zufolge wenige Kolleginnen und Kollegen, die ähnlich viel bauen.

In ihrer Lenggrieser Werkstatt kann sich Neumüller auf das konzentrieren, was sie nach eigenen Angaben am besten kann: den Neubau von Instrumenten. (Foto: Gregor Miklik/oh)

Dies sei ein Privileg, denn Geigen seien sehr haltbar und sehr reparaturfreundlich; entsprechend sei der Markt für Reparaturen deutlich größer, als der für Neubauten. Sie fände es grundsätzlich positiv, dass man dank gekonnter Reparaturen heute noch viele schöne alte Instrumente hören könne. "Aber zum einen klingt nicht jede alte Violine gut, nur weil sie aus Italien kommt; und zweitens möchte ich lieber am Klang meiner eigenen Geigen und Bratschen arbeiten - die klingen nämlich auch gut" - allerdings erst nach 14 Tagen: So lange dauere es, bis ein Instrument gut eingespielt sei, "davor klingen die so ein bisschen kratzbürstig."

Fichtendecken und Ahornböden

Ihrer Wahrnehmung nach steige die Akzeptanz neu gebauter Instrumente kontinuierlich an - "im besten Fall trage ich dazu ja selbst mit bei", merkt sie verschmitzt an. Für die Decke ihrer Instrumente benötige sie Fichte, für die Zargen und den Boden Ahorn - bei den günstigeren Kindergeigen komme das Holz aus der Region, für die teureren Instrumente aus Südtirol. Die Stege ihrer Geigen und Bratschen beziehe sie aus Frankreich, Griffbretter, Saitenhalter, Kinnhalter und Wirbel kämen aus Deutschland, Bögen baue sie auch nicht selbst, das sei ein eigener Beruf.

Die Decken der Instrumente sind aus Fichtenholz, die Zargen und der Boden aus Ahorn. (Foto: Gregor Miklik/oh)

Neumüllers eigene Geigen kosten dann etwa 12 000 Euro, da steckten dann rund 100 Arbeitsstunden drin. Der Bau und Verkauf an ambitionierte und professionelle Musiker und Musikerinnen ist allerdings nur ein Teil von Neumüllers Geschäft: Da sie der Meinung ist, dass auch Kinder schon auf guten Instrumenten spielen sollten, damit sie möglichst viel Freude daran haben, baut sie auch Kindergeigen. "Nachdem kaum jemand für ein Kind ein hochwertiges Instrument kaufen möchte, vermiete ich sie - aktuell sind das ungefähr fünfzig, das sorgt für ein angenehmes Grundeinkommen." Auch in diesem Geschäft habe sie kaum Wettbewerb "und im besten Fall bahne ich außerdem den einen oder anderen späteren Kaufwunsch an."

Drei Dinge sind Neumüller wichtig in ihrem Beruf

Früh in ihrer Berufstätigkeit habe sich gezeigt, dass sie drei Dinge, die ihr wichtig waren, gut verbinden konnte: Das Sich-in-die-Arbeit-versenken, der Kontakt zu anderen Menschen und ein organisches Familienleben - was ihr Mann, ein Gitarrenbauer, der ebenfalls vor Ort arbeitet, sehr unterstützt habe. Ihr erstes Kind habe sie öfter mit in die Werkstatt genommen, im Laufstall oder auch in der Wippe auf dem Arbeitstisch - "drei Arbeitsstunden waren da immer drin, halt über den Tag verteilt", erinnert sich Neumüller. "Ich hab' schwerpunktmäßig vormittags gearbeitet, mein Mann überwiegend nachmittags."

Vieles konnte je nach Arbeitsmenge hin- und hergeschoben werden - und dann war da noch die Abstimmung mit ihrem zweiten Standbein: Bis 2013 pendelte Neumüller an drei Tagen pro Woche von Lenggries in den Memminger Betrieb ihres Vaters. Im Rückblick habe die Balance zwischen Kinderbetreuung und Beruf gut geklappt: "Mir war schon immer wichtig, dass wir mit den Kindern leben, nicht für die Kinder", sagt Neumüller. Inzwischen seien Sohn und Tochter so selbständig, dass sie nach Bedarf verreisen könne - und das müsse sie auch, sie habe ja von Anfang an darauf gesetzt, ihren Markt selbst zu erschaffen: "Ich möchte meine eigenen Instrumente bauen, also muss ich sie auch verkaufen und dort anbieten, wo sie gebraucht werden."

14 Tage dauert es, bis ein Instrument gut eingespielt ist, "davor klingen die so ein bisschen kratzbürstig." (Foto: Gregor Miklik/oh)

Am Anfang ihrer Selbständigkeit stand der Kontakt zu einem Bratschenprofessor in Österreich. Dieser sei sehr interessiert gewesen und habe sie auch beim Thema Klangentwicklung gut beraten. Nach der Vorführung einiger Instrumente habe der Professor sie offenbar empfohlen, die Studenten gingen dann an andere Unis oder Orchester, "so ist da über die Jahre ein großes und lebendiges Netzwerk entstanden." Eine ihrer Kundinnen sei jetzt Professorin in Madrid, "in Bilbao im Orchester sind zwei Instrumente von mir im Einsatz."

Erfahrungsgemäß käme ihre Kundschaft, weil sie irgendwo eine Geige oder Bratsche von Neumüller gehört hätten und sich genau diesen Klang wünschten. "Meine Bratschen klingen sehr kräftig, aber nicht eindimensional; die Tiefen sind kräftig, aber warm, die Höhen strahlen, alle Saiten produzieren die gleiche Klangqualität." Üblicherweise baue sie nicht auf Bestellungen, sondern die Leute kämen, probierten verschiedene Instrumente aus und nähmen dann eins zur Probe mit. "Individuelle Anfertigungen gibt's höchstens mal bezüglich der Holzmaserung oder der Lackierung."

Die Perspektive

An Wettbewerben nehme sie nicht mehr teil, "der Trend, dass die Instrumente so makellos wie aus der Maschine aussehen sollen, liegt mir eh' nicht so." Da ihr Netzwerk immer internationaler werde, treffe es sich gut, dass immer mehr klassische Reparaturbetriebe fremde Neubauten in Kommission anböten: "Ich habe jetzt ein Instrument in New York im Schaufenster stehen und arbeite daran, dass das auch in Wien, Kopenhagen und Bilbao gelingt."

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