Landwirtschaft:"Der Vorschlag ist schlimmer als erwartet"

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Die EU-Kommission plant eine deutliche Lockerung bei Gentechnik in Lebensmitteln. Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen gibt es daran Kritik. (Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa)

Die EU-Kommission schlägt vor, Verfahren der neuen Gentechnik mit konventionellen Züchtungsmethoden gleichzusetzen. Politiker und Landwirte aus der Region warnen vor den Auswirkungen des Patentrechts und einer Entwertung des Bio-Landbaus.

Von Sophia Coper, Bad Tölz-Wolfratshausen

Es sind so viele, dass sie einem fast nicht mehr ins Auge fallen. Jeder Streifzug durch den Supermarkt bedeutet, ein Labyrinth an verschiedenen Lebensmittelsiegeln zu durchkämmen — ohne am Ende zu wissen, was genau die Kennzeichen eigentlich versprechen. Anders verhielt es sich bislang mit dem Logo "Ohne Gentechnik". Klar und prägnant deklariert es in Deutschland seit 2009 Produkte, bei deren Herstellung gänzlich auf die Verwendung von genetisch veränderten Rohstoffen verzichtet wird.

Nun ist die Zukunft dieses Siegels ungewiss. Anfang Juli präsentierte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung, bestimmte Verfahren der neuen Gentechnik konventionellen Züchtungsmethoden gleichzustellen. Unter Berufung auf eine eigens in Auftrag gegebene Studie erklärte die Kommission, dass die neuartigen Methoden — gemeinhin unter dem Begriff "Geneditierung" bekannt — präziser und schneller als etablierte Techniken seien und das alte Recht somit überarbeitet gehöre. In Bezug auf die regionale Rinderzucht berichtete die SZ Bad Tölz-Wolfratshausen schon im Mai über mögliche Folgen für die Bauern und Bäuerinnen im Landkreis, die aktuelle Debatte beschränkt sich indes auf Pflanzen.

"Der Vorschlag ist schlimmer als erwartet", sagt Karl Bär, Bundestagsabgeordneter der Grünen für den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach. "Pflanzen mit bis zu 20 genetischen Veränderungen würden demnach nicht mehr unter die EU-Gentechnik fallen." Obwohl Bär die neue Forschung nicht per se ablehnt, warnt er vor der Anwendung in der Natur und steht der Argumentation der EU-Kommission skeptisch gegenüber. "Die Anpassung an den Klimawandel auf der Genom-Ebene bestreiten zu wollen, halte ich für verfehlt", erklärt er. Hitze und Dürre müsse vielmehr mit Landwirtschaftselementen wie Hecken und Bäumen entgegengewirkt werden. Zu den ökologischen Bedenken gesellen sich für Bär insbesondere Probleme rechtlicher Natur. "Es entstehen mehr Möglichkeiten, Dinge zu patentieren", sagt er, "und somit die berechtigte Sorge, dass der Zugang zu genetischem Material schwieriger wird." Auf diesen seien jedoch Züchter und Züchterinnen bei der Entwicklung neuer Sorten angewiesen. Züchterprivileg und Sortenschutz garantieren diesen Zugriff momentan nach wie vor, so Bär, doch mit zunehmender Patentierung entstünden hohe bürokratische Anforderungen und Abhängigkeiten von Großkonzernen. "Patentierte und konventionell gezüchtete Pflanzen überlappen sich teilweise", erklärt der Bundestagsabgeordnete. Es müssten nicht nur Lizenzgebühren entrichtet, sondern auch Aufwand betrieben werden, um sicherzugehen, welches genetische Material überhaupt noch verwendet werden dürfe.

Die Verordnung sei eventuell auch ein Problem für die menschliche Gesundheit

"Die Mängel der Verordnung dürfen nicht mit Kritik am Patentrecht vermischt werden", widerspricht hingegen Christoph Then. Er ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Direktor bei Test Biotech, einem Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie mit Sitz in München. Richtig sei zwar, dass der Vorschlag aus Brüssel die Problematik beschleunige, im Kern habe sie aber nichts damit zu tun. "Das muss im Patentrecht angegangen werden", sagt er. Konkrete Kritik übt Then an anderer Stelle: "Die Verordnung ist ein Problem für den Naturschutz, den Umweltschutz und eventuell auch für die menschliche Gesundheit", erklärt er. Die bisherige Regulierung werde so stark fragmentiert, dass nach formalen Kriterien für viele Pflanzen keine Risikobewertung mehr durchgeführt werden müsse und somit keine genauen Daten mehr zur Verfügung stünden. "Was da freigesetzt wird, wird unbegrenzt freigesetzt und kann spontan gekreuzt werden, ohne dass die Langzeitfolgen beobachtet werden können."

Kreisobmann Peter Fichtner vom Bayrischen Bauernverband (BBV) Bad Tölz-Wolfratshausen äußert ähnliche Bedenken. "Bei einem fehlerhaften Auto kann eine Rückholaktion gestartet werden. Bei der Pflanzenzucht geht das nicht mehr." Selbst wenn die Verwendung völlig harmlos sei, könnten Wind und Insekten geneditiertes Saatgut auf unbehandelte Felder weitertragen. "Das Label "Ohne Gentechnik" wäre von heute auf morgen völlig wertlos", so Fichtner, "das könnte dem Biolandbau das Genick brechen." Nichtsdestoweniger werde der Vorschlag der EU-Kommission im Landkreis nicht intensiv diskutiert, erklärt der Kreisobmann. "Bei uns im Grünland reichen die klassischen Zuchtmethoden völlig aus. In Ackerbauregionen ist das etwas anderes."

Ein Blick auf den benachbarten Landkreis Starnberg bestätigt dies. Anfang August erneuerte der dortige Kreistag einen früheren Beschluss, dass die Landwirtschaft auch in Zukunft gentechnikfrei bleiben müsse. "So ein fraktionsübergreifender Antrag wie in Starnberg ist bei uns nicht eingegangen", sagt Sabine Schmid, Pressesprecherin des Landratsamts Bad Tölz-Wolfratshausen. Die letzte Resolution zu dem Thema stamme aus dem Jahr 2009, wo sich der Landkreis verpflichtet habe, keine genetisch veränderten Organismen anzubauen oder zu verwenden.

So scheint der Vorschlag der EU-Kommission in Bad Tölz-Wolfratshausen noch keine großen Wellen geschlagen zu haben. Auch bei regionalen Betrieben wie dem Degerndorfer Futtermittelproduzenten Agrobs wird nur von einem geringen Effekt für die eigene Produktion ausgegangen, zu wenig sei von genetisch veränderten Grünlanderzeugnissen bekannt. Doch selbst wenn die Auswirkungen des Vorschlags sich für die Landwirtschaft in Bad Tölz-Wolfratshausen im Rahmen halten: Eins würde auf jeden Fall wegfallen, das Logo "Ohne Gentechnik" im Regal.

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