Sammel-Austellung:Gehäkelte Korallen und ein schwebender Wald

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Das große Korallenriff ist eine Häkel-Installation aus einem Projekt von Margret und Christine Wertheim und als Leihgabe des Frieder Burda Museums Baden-Baden in Lenggries zu sehen. (Foto: Manfred Neubauer)

Die 19. Lenggrieser Kunstwoche widmet sich dem Thema Natur. 18 Künstlerinnen und Künstler zeigen eindrucksvolle Bilder, Skulpturen, Installationen und Fotografien.

Von Petra Schneider, Lenggries

In der Kantine der ehemaligen Prinz-Heinrich-Kaserne wächst an einer Wand ein farbenprächtiges Korallenriff: Röhrenformen, Anemonen, Seeigel, fächerige Strukturen. Eine optische und haptische Insel in den kühlen, weiß gefliesten Räumen. Denn die Korallen sind weich, aus verschiedenen Stoffen und Wollen. Mehr als 4000 Häklerinnen aus Deutschland, Europa und Übersee haben an die 40 000 Korallenformen für das "Baden-Baden Satellite Reef" gestaltet, das auf Initiative der beiden australischen Künstlerinnen Margret und Christine Wertheim 2021 für das Frieder-Burda-Museum entstanden ist. Ein Ausschnitt ist nun als Leihgabe auf der diesjährigen Lenggrieser Kunstwoche zu sehen.

Zum zweiten Mal findet die Ausstellung, die der Kunstverein heuer zum 19. Mal organisiert hat, in der ehemaligen Kasernenkantine statt und nicht im Pfarrheim. 1600 Quadratmeter Fläche, mehr Ruhe für die Besucherinnen und Besucher - all das spricht nach Ansicht des Vorsitzenden Günter Unbescheid für diesen spannenden Ausstellungsort. Für einen kleinen Verein mit acht Mitgliedern sei die Organisation einer so großen Ausstellung in Räumen, für die Stromversorgung und Sanitäranlagen erst provisorisch hergestellt werden müssten, ein Kraftakt, sagt Mitorganisatorin Veronika Partenhauser. Gelohnt hat sich der Aufwand, denn gezeigt wird wieder eine anregende und hochkarätige Ausstellung, die dazu beitragen könnte, die Brauneckgemeinde auch als Kunst-Hotspot zu etablieren.

"Medusa" heißt diese Installation aus anmutigen Quallen von Anne Pincus. (Foto: Manfred Neubauer)

Neben den acht Mitgliedern hat die Lenggrieser Kunstvereinigung heuer zehn Gastkünstler mit teils internationalem Renommee gewinnen können. "Wir haben erstaunlich viele Rückmeldungen bekommen", erklärt Unbescheid. Auf seine Anfrage etwa habe der mehrfach ausgezeichnete Fotograf Olaf Otto Becker sofort zugesagt. Seit 30 Jahren dokumentiert Becker die Folgen von Klimaerwärmung und Umweltzerstörung. In Lenggries sind Fotografien aus Grönland zu sehen: Eisskulpturen, die sich majestätisch in diffusem Licht erheben, Flüsse aus Schmelzwasser, die sich durch Eislandschaften fressen.

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Das Thema der diesjährigen Ausstellung lautet "Natur". Ein breiter Rahmen, der viel Raum lässt und in verschiedenen Techniken wie Malerei, Grafik, Installationen oder Fotografie umgesetzt wurde. Draußen vor dem Eingang werden die Besucher von einem klassischen alpinen Motiv begrüßt: Zwei Gämsen auf einem Felssockel. Der Eindruck dieser harmonischen Szenerie wird gestört, denn die lebensgroßen Objekte sind aus Stahlstiften, die Augen aus kaltem Edelstahl. Böse blitzen diese Augen, bedrohlich stellen sich die Gämsen den Eindringlingen entgegen. "Rough Nature" heißt die Arbeit von Jakob Dobaiz, einem 23-jährigen Künstler aus Hallein.

"Rough Nature": Die Gämsen aus Stahlstiften von Jakob Dobaiz wirken bedrohlich. (Foto: Manfred Neubauer)

Ein Streifzug durch die Räume auf zwei Ebenen ist ein Erlebnis. Da gibt es zum Beispiel eine Kammer, die mit einem Vorhang verhängt ist. Beim Eintreten erhellt plötzlich Licht eine faszinierende Szenerie: Anmutige Medusen schweben in diesem Raum, weiß-silbrig aus Perlonfäden und Silberdrähten. "Swimming with Medusa" heißt die Installation der australischen Künstlerin Anne Pincus, die auch in der Arbeit "Persephone's Garden" das Verletzliche betont: Bodenlange Zylinder aus Seidenchiffon - ein schwebender Wald, der durch die Bewegung des Betrachters in Schwingungen versetzt wird.

Ein frei hängendes Objekt von Gertrud von Winckler dominiert einen großen Raum im Erdgeschoss: Ein Würfel, vernetzt und fein geknotet aus Vogelfangnetzen, der Schatten auf die weißen Stellwände wirft. Ein komplexes System, wie die Natur. Das Fließende zeigt auch Veronika Partenhauser in ihrer Videoinstallation "Grenzbereiche": Sie hat die Topographie der Berglandschaft zwischen Steinbachtal, Sunntraten und Rechelkopf aus kinetischem Sand nachgebildet. Digital bearbeitete Farb- und Musterprojektionen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten bringen diese Landschaft, die seit Jahrhunderten durch starre Besitzstrukturen gekennzeichnet sei, in Bewegung. Alles fließt, und die willkürlich der Natur aufgezwungenen Grenzziehungen verschieben sich.

Veronika Partenhauser hat in ihren Videoinstallationen private Waldgrenzen in Gaißach auf Sand projiziert. (Foto: Manfred Neubauer)

Einige Arbeiten stellen die Schönheit der Natur in den Mittelpunkt. Etwa die Fotografien von Klas Stöwer, der Eisstrukturen am Kranzerbach fotografiert hat und diese ebenso schönen, wie toten Strukturen mit dem farbstarken Zyklus "Flora" von Ecki Kober in Dialog bringt. Oder die Blätter aus Holz von Hermann Bigelmayr, die Größenverhältnisse und die Schwerkraft außer Kraft setzen und die Position Mensch-Natur neu definieren. Andere setzen sich mit dem Aspekt der Naturzerstörung auseinander. Etwa Paul Schwarzenberger, der die Vermüllung der Meere auf eindringliche Weise erfahrbar macht. In einer kleinen Kammer, in der ein Spiegel die Illusion eines Schachts erzeugt, sind Decken und Wände tapeziert mit einem beklemmenden Getümmel: gelbe Gummischlauchboote, Menschen, Plastikmüll. Auch Günter Unbescheid setzt sich in seinen Fotocollagen mit der geschundenen Natur und der Rolle des Menschen auseinander. In der Serie "Zu Asche zu Staub" scheint das Memento-Mori-Motiv auf. Bilder junger Frauen werden überlagert von Strukturen der zerfallenden Natur. "Wenn wir uns als Sterbliche wahrnehmen, werden wir demütiger mit unserer Umwelt umgehen", erklärt Unbescheid.

Kunstwoche Lenggries, Gebirgsjägerstraße 15, bis 9. Oktober. Geöffnet Montag bis Freitag 14 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 10 bis 18 Uhr. Vernissage Donnerstag, 15. September, 19 Uhr. Vortrag "Spurensuche" von Olaf Otto Becker: 23. September, 18 Uhr. Lange Nacht der Kunst: 1. Oktober ab 18 Uhr.

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