Atelier in Bad Tölz:"Kreativität ist ein Privileg"

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Annette Schreiner in ihrer "Kunstwerkstelle" in Bad Tölz. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Kunstpädagogin Annette Schreiner hat in einer alten Tankstelle eine "Kunstwerkstelle" eröffnet. Besucher können dort malen und töpfern, in der Bibliothek schmökern oder sich im Café stärken.

Von Veronica Bezold, Bad Tölz

Sie sei kein Tausendsassa, sagt Annette Schreiner. Lässig lehnt die 53-Jährige an einer Werkbank und lässt den Blick durch ihren neuen, sonnenlichtdurchfluteten Atelierraum schweifen. "Da schwingt immer auf so negative Weise mit, dass man sich in seinen eigenen Ideen verläuft." Und obwohl auch sie sich manchmal bremsen müsse, sei sie sich bei ihrem jetzigen Projekt vollkommen sicher gewesen.

Ständig sei sie an dem ehemaligen Tankstellengebäude an der Ludwigstraße 31 in Bad Tölz vorbeigelaufen. "Letztes Jahr habe ich dann auf einmal irgendwie anders auf dieses Objekt geguckt." Zwar hatte sich das Schild mit der Aufschrift "Zu vermieten!" damals eigentlich nur auf die Parkplätze vor dem Gebäude bezogen, trotzdem wählte sie die Nummer. Die Vermieterin war sofort begeistert von Schreiners Idee: ein Kunstatelier zum Mitmachen.

Annette Schreiner hat in der alten Tankstelle in der Ludwigstraße ihre "Kunstwerkstelle" samt angeschlossenen Café eingerichtet. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Schon kurze Zeit später wurde aus dem unhandlichen Begriff "Kunst- und Kulturbegegnungsstätte" und dem Ort des Geschehens, der alten Tankstelle, die "Kunstwerkstelle". Zum einen liege es ihr persönlich am Herzen, sagt Schreiner, dass Menschen "einfach mal wieder machen - und das ohne jeden Druck. Immerhin leben wir in einer Leistungsgesellschaft, wo das zu kurz kommt". Zum anderen will sie mit der Kunstwerkstelle natürlich auch ihr Geld verdienen.

Dafür bietet sie ihren Besuchern nicht nur den Raum, sondern auch allerlei Materialien zur freien Verwendung an: von Kreiden und Stiften über Hammer und Nagel bis hin zu Ton. "Alles, was man mit den Händen eben tun kann, ist möglich." Dennoch gebe es bei ihr keine "Materialschlacht" - im Gegenteil: "Es geht um Wertschätzung und Nachhaltigkeit", sagt die gebürtige Wolfratshauserin. Ihre Farben sind teils mit besonderem Quellwasser angemischt und mit Lavendel versetzt. Von Materialien wie Acrylfarben hält sie nichts. "So etwas produziert doch nur Sondermüll."

In dem kleinen Nebenraum des geräumigen Ateliers hat Schreiner einen Teil ihrer privaten Kunstbibliothek untergebracht. Hier kann man sich hinsetzen, in Büchern stöbern, Skizzen zeichnen und "mal raus aus dem Geschehen kommen", sagt die Kunstpädagogin. "Das muss man manchmal." Für musikalisch begabte Besucher steht sogar ein Klavier zur Verfügung.

In dem an die "Kunstwerkstelle" angeschlossenen Café werden die Besucher mit allen denkbaren Kaffeespezialitäten, Milchshakes, Muffins, Quiche und dem bekannten "Lausbua Eis" von Stephi Laus aus Dietramszell verwöhnt. "Das Erdbeereis ist wirklich sehr gut", sagt Schreiner. Unabhängig vom Atelier versorgt eine gute Freundin von ihr auch reine Café-Besucher - allerdings ausschließlich "to go". Das Zusammenspiel von Café und Atelier beschreibt Schreiner als "Win-Win-Situation". In der "Kunstwerkstelle" seien explizit alle Menschen willkommen. "Bei mir gilt: Egal ob du einen roten Punkt auf der Nase, 25 Piercings im linken Ohr, eine Sprachstörung oder einen Gehfehler hast - es ist doch total egal!"

Nach ihrem Schulabschluss hat Schreiner eine, damals noch sehr handwerksbasierte, Lehre zur Optikerin abgeschlossen. Dann studierte sie Kunstpädagogik, arbeitete an Filmsets in Berlin und kehrte schließlich nach Bayern zurück, wo sie mehrere Jahre an einer Montessori-Schule tätig war. "Mit Menschen kann ich umgehen - auch mit hochsensiblen und traumatisierten Menschen", sagt Schreiner, die auch mal mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten gearbeitet hat. Derzeit ist sie außerdem als Restauratorin für eine Münchener Firma tätig ist.

Besucher können freitags von 14.30 bis 17.30 Uhr ohne Anmeldung in der "Kunstwerkstelle" zur Atelierarbeit vorbeischauen. Abgerechnet wird nach Nutzungsdauer und benötigten Materialien - doch auch hier lasse sich miteinander reden. "Es mir viel lieber, wenn du mir nur das Materialgeld gibst, dafür aber hier stehst und etwas tust. Davon lebe ich zwar dann nicht sonderlich gut, aber der Glücksfaktor für mich ist größer." Die "Kunstwerkstelle" sei kein Ort, an dem man zahlt, sobald man über die Schwelle tritt. "Wenn der Input kommt", sagt Schreiner, "würde ich auch gerne Workshops anbieten, zum Beispiel zur Farbherstellung".

"Alles, was man mit den Händen eben tun kann, ist möglich", sagt Annette Schreiner. (Foto: Harry Wolfsbauer/Harry Wolfsbauer)

Außerdem sollen bald Mini-Kulturfestivals und "Supper Clubs", also künstlerische Arbeit in Kombination mit einem gemeinsamen Dinner, in der ehemaligen Tankstelle stattfinden. Wie bei den von ihr verwendeten Materialien zählt für die Kunstpädagogin auch hier die Qualität: "Fertigpasta mit Fertigsoße will ich nicht." Gute Zutaten und guter Wein sollen es sein. Für mögliche Events in ihrem Atelier will sie keine Profis, keine Schauspieler mit 20-jähriger Bühnenerfahrung engagieren. Sie möchte die Leute von der Straße in ihr Atelier holen. "Ich will sagen: 'Du kannst schreiben, du kannst lesen, du hast den Mut, dich hier hinzustellen und zu lesen? Dann lies!'" Es gebe so viele Menschen, die "grandiose Dinge an ihrem Küchentisch tun", die sie lieber in ihrem Atelier sehen wolle.

Die Leidenschaft für Kreativarbeit liegt Schreiner im Blut. Schon als Kleinkind habe sie sich mit Stift und Papier ausgedrückt. "Kreativität ist ein Privileg", sagt sie, denn die habe viel mit Freiheit zu tun. Es gehe um Begegnungen und vor allem um Humor. Mit der "Kunstwerkstelle" habe sie sich einen Traum erfüllt. "Es fügt sich alles", sagt Schreiner lächelnd und nippt an ihrem Kaffee aus der ateliereigenen Siebträgermaschine. "Ich habe so viel gemacht, ich bin so viel gelaufen und ich habe so lange diesen klassischen Lebenserhalt geführt." Nun sei es an der Zeit, mal wieder "die Spur zu wechseln".

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