Kunst aus Geretsried für die Welt:Zwischen Himmel und Erde

Lesezeit: 3 min

Wilhelm Holderied hat schon Kunst für den Münchner Flughafen geschaffen. Nun arbeitet er an einer Skulptur für das Kreisverwaltungsreferat

Von Anja Brandstäter, Geretsried

Zehn Zentimeter hoch und zehn Zentimeter breit ist der Entwurf für die Skulptur, die Wilhelm Holderied derzeit für das Kreisverwaltungsreferat München erstellt. Es ist ein 3D-Modell im Maßstab eins zu 40. Später wird es aus massivem Edelstahl sein, fünf Tonnen wiegen und 2,10 Meter in die Höhe ragen. Es heißt "Augenblick des Anderen". Gerade ist der Künstler dabei, die Spiralen seitlich so zu schließen, dass sich Kinder nicht verletzen können, wenn sie auf dem Kunstwerk herumkraxeln.

"Zwei runde Wellenrhythmen fließen über fünf Ringe in der Mitte zu einem verdoppelten Augen-Blick ineinander", erklärt der 81-jährige Künstler. "Diese Kreisbewegungen haben eine magnetische Harmonie und wechseln in einen verdoppelten Raum." Mit diesen Formen und Rhythmen will er eine Verbindung zwischen seinem Werk und den vielschichtigen Aufgaben des Kreisverwaltungsreferats sowie den unterschiedlichen Anliegen der Besucher herstellen. "Beim Vorbeigehen entsteht eine optische Bewegung. Das Licht fließt in den Abständen, so entsteht ein optisches Vexierspiel."

Frei von Höhenangst: Wilhelm Holderied auf seiner tonnenschweren Skulptur "Wolkensegler" in Geretsried. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Wilhelm Holderied gehört zu den international renommierten Künstlern, die auf der ganzen Welt Spuren hinterlassen haben. Er studierte an der Akademie der Bildenden Künste in München und war Meisterschüler von Josef Oberberger. Dieser wiederum war Meisterschüler von Olaf Gulbransson. Seit 20 Jahren arbeitet Holderied in Geretsried. Sein großes Atelier befindet sich in einem Dachgeschoss im hinteren Teil des Firmengeländes von Oli-Spezialanlagen an der Blumenstraße. Auf dem Parkplatz stehen einige seiner monumentalen Metall-Skulpturen und lassen den Stellplatz wie eine Open-Air-Galerie erscheinen. Da gibt es den "Wolkensegler" oder die "Moosgeistblüte". Sie ist 500 Kilo schwer, 1,29 Meter hoch, 1,23 Meter breit und aus Eisen, rot gespritzt.

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Das Atelier ist ein gemütlicher Ort der Poesie und der ungezügelten Schaffenskraft. Auf 240 Quadratmetern kann sich der Künstler frei entfalten. An den Wänden hängen farbenfrohe Kunstwerke, auf mehreren Tischen stehen Farbtöpfe, Pinsel und Stifte. Alles ist voll mit Kunst. Beim Eintreten fallen zunächst riesige Masken auf. Eine ist aus rot lackiertem Metall, sie wiegt 15 Kilo und ist etwa eineinhalb Meter hoch. An den Außenseiten sind Lampen angebracht. Zwei Symbole fallen ins Auge, die liegende Acht und das gleichschenklige Kreuz. Ersteres steht für Unendlichkeit, das zweite für Kommunikation.

Das Modell "Augenblick des Anderen". (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Wenn ein Kunstwerk eingeweiht wird, verbinde ich dieses Ereignis immer mit einer Performance", sagt Holderied. "Ich setze die Maske auf und spiele Flöte. Das verblüfft die Besucher." Er zieht die Schublade einer Kommode auf. Darin befinden sich 150 Flöten aus aller Welt in allen möglichen Größen.

Eines seiner bedeutendsten Kunstwerke und Wegzeichen hat er am Münchner Flughafen umgesetzt. Es heißt "Eine Insel für die Zeit" und sieht aus der Vogelperspektive aus wie eine liegende Acht, das Symbol für die Unendlichkeit. Hierfür wurde die Erde aufgebrochen, sodass auf einer Fläche von 270 auf 170 Meter Dämme von 3,40 Metern Höhe gezogen wurden. Das Bauwerk hat also nichts weggenommen oder hinzugefügt, sondern lediglich das Vorhandene umgeschichtet. "Die Idee war, am neuen Münchner Flughafen im Erdinger Moos eine große Skulptur in die Erde zu furchen, um der hektischen Betriebsamkeit eines Flughafens die nahezu ruhende, inselhafte Zeit des Moorgebietes gegenüberzustellen", erklärt er. "Das langsame, aber stetige Fließen der Zeit wird dabei gespiegelt von tiefen Furchen und aufgeschütteten Wällen, die als Wellentäler und Wellenberge in einem ausufernden Band verfließen." Eine Flugwegmarke soll es sein für die an- und abfliegenden Passagiere und Piloten. Seit 1994 wird das Erdzeichen von einem Freundeskreis gepflegt, mittlerweile wachsen dort 80 verschiedene Pflanzenarten.

Das Motiv der liegenden Acht findet sich in zahlreichen Werken Holderieds wieder. Es scheint, als ob er sich durch das Malen dem Werk annähert und es geistig durchdringt. Er verwendet klare, kräftige Farben. So auch auf den Gemälden, die er in seinem Atelier aufgehängt hat. Es sind verspielte Variationen zu dem Thema der Skulptur "Augenblick des Anderen".

Offenbar verfügt Holderied über eine unermüdliche Schöpferkraft. Der 81-jährige, zierliche Mann pendelt täglich von München nach Geretsried. Von Ruhestand keine Spur. Er schreibt Gedanken zu tagesaktuellen Themen in ein großes Buch, schöpft daraus Ideen, die er weltweit umsetzt und möchte nach der Pandemie mal wieder nach Mexiko reisen. Die Idee, Wegzeichen auf der Erde zu hinterlassen, bekam er bei einem Flug über Mexiko: Beim Blick aus dem Flugzeugfenster entdeckte er das so wunderbar gefaltete Hochland. Das regte ihn damals an, ein Orientierungszeichen der Kunst, eine astronomische Spur für den im Bau befindlichen neuen Münchner Flughafen auf der Erde zu hinterlegen.

Bei Vernissagen überrascht der Künstler seine Gäste gerne mit Masken und Flötenspiel. (Foto: Harry Wolfsbauer)

In Mexiko arbeitete er 2015 an dem Projekt "Ein Haus für das Licht der Sterne". "Ich nenne es Sternenschiff und Observatorium, das die Tag-und-Nacht-Gleiche am 20. März und am 23. September anzeigt", erklärt Holderied. Das Werk liegt im Botanischen Garten El Charco del Ingenio in San Miguel de Allende im Bundesstaat Guanajuato. Es besteht aus grauem Naturstein, misst 14 auf acht Meter und hat eine Höhe von sieben Meter.

Die Sternenforschung der Maya und die im späten Mittelalter beginnende Sternen- und Weltraumforschung in Europa hätten ihn schon immer sehr inspiriert. Mit dem "Sternenschiff" habe er "eine Brücke zwischen Himmel und Erde gebaut", erklärt er. "Einen poetischen Raum, dessen Stille diese Verbindung zwischen Erde und Sternenraum beschwört."

© SZ vom 30.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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