Besondere Berufe:Hoch hinaus am Seil

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Im Bergwacht-Zentrum Bad Tölz fanden Seilkletterwettkämpfe statt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

19 europäische Industrie- und Rettungskletterteams messen sich in Bad Tölz in unterschiedlichen Disziplinen.

Von Arnold Zimprich, Bad Tölz

Schiedsrichter Gary Bolton reißt die Arme hoch - keinen Tropfen Wasser hat Radoslaw Michalak bei der Bucket Challenge verloren. Michalak, in der Nähe des polnischen Łódź geboren, arbeitet als Industriekletterer auf Windrädern - und ist damit nicht der einzige seines Metiers, der beim diesjährigen internationalen Wettbewerb "Petzl Rope Trip" im Bergwacht-Zentrum auf der Tölzer Flinthöhe teilnimmt. Zwei Tage lang haben sich dort Industriekletterer, aber auch Teams der Bergwacht und Höhenrettung in Wettkampfdisziplinen gemessen, aber auch Erfahrungen ausgetauscht.

Chillen, bevor es wieder in die Höhe geht: Industriekletter-Teams aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kämpften um den Titel. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Bolton, in England aufgewachsen, wohnte eine Zeit lang in Neuseeland, sein Bruder ist Profikletterer. Schließlich verschlug es ihn nach Deutschland, wo er sich als Industriekletterer selbständig gemacht hat: "Ich arbeite in der Montage, Reinigung und als Problemlöser", lacht der Mittfünfziger. Er will weiter ausholen - da knackst und knirscht es und ein anderer Schiedsrichter meldet sich durch das Funkgerät. Der nächste Wettkampf-Teilnehmer ist mit seinem Zehn-Liter-Eimer nach mehreren waghalsigen Umstiegs-Manövern an der Hallendecke angekommen. "In zehn Minuten müssen die oben sein, sonst sind sie raus", erklärt Bolton.

Waghalsige Manöver in luftiger Höhe. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Petzl, ein Unternehmen aus dem französischen Crolles, ist der weltweit größte Hersteller von Kletterausrüstung, wozu nicht nur Sport - sondern auch Industriekletterausrüstung gehört. Beim Rope Trip messen sich 19 europäische Industriekletter-Teams, darunter Deutsche, Spanier, Schweizer, Engländer, Polen und Niederländer. Vier verschiedene Aufgaben müssen gelöst werden, darunter die Bucket Challenge, ein Montage-Wettbewerb, bei dem in luftiger Höhe kein Schräublein verloren gehen darf, sowie ein Geschicklichkeitsparcours. Die Aufgaben sind den Teams vor der Qualifikation nicht bekannt, für das Halbfinale und Finale werden die Aufgaben nochmals geändert, um den Anspruch möglichst hoch zu halten.

Jörg Janssen, Ausbilder bei der Berufsfeuerwehr Düsseldorf, gibt seinem Team mit durchdringender Stimme Kommandos - und verteilt Lob. "Auf geht's, Gerrit, sehr schön!" Wie alle Teams sind auch die Düsseldorfer zu dritt - und versuchen, ein 90 Kilogramm schweres, spitz zulaufendes Gewicht punktgenau auf einer Zielscheibe abzusetzen. Vorher muss mit dem Gewicht allerdings noch eine kleine Glocke geschlagen werden.

Die Decke im Bergwachtzentrum Bad Tölz ist 20 Meter hoch. (Foto: Harry Wolfsbauer)

All das an Seilen, die von der 20 Meter hohen Decke des Bergwacht-Zentrums für Sicherheit und Ausbildung (BW-ZSA) baumeln. Selbstverständlich ist der Parcours asymmetrisch angelegt, um die Schwierigkeit zu erhöhen. Und noch eine Schikane kommt hinzu: Die ganze Übung muss in einer halben Stunde so oft wie möglich bewältigt werden. "Mit unserem Berufsalltag kann man das hier nicht vergleichen", sagt Janssen. "Wir haben es eher mit der Rettung übergewichtiger Personen zu tun, rücken aus, wenn jemand einen Selbstmord androht und leisten bei komplizierten Rettungseinsätzen, beispielsweise in Treppenhäusern, Unterstützung."

In Deutschland gebe es etwa 2500 bis 3000 Industriekletterer, sagt Marek Proba, Leiter des Petzl Technical Institute, dessen deutscher Ableger in Obersöchering im Landkreis Weilheim-Schongau untergebracht ist. Petzl, dessen Wurzeln im Sportkletterbereich liegen, macht mit Ausrüstung für das Industrieklettern weltweit inzwischen mindestens so viel Umsatz wie mit dem Sport- und Freizeitklettern. "Besonders die Windkraft ist Wachstumsmarkt", sagt Proba.

Doch wie wird man Industriekletterer? "Zum Grundberuf, also zum Beispiel Dachdecker, absolviert man jeweils einwöchige Zusatzkurse", sagt Proba. Es gebe drei Ausbildungslevel - Basis sei das Beherrschen von Arbeiten in der Vertikalen, dazu komme in Level zwei das Arbeiten in der Horizontalen - und schließlich Level drei, das zu Überwachungsaufgaben oder Aufgaben in der Bauaufsicht berechtige.

Ohne die richtige Ausrüstung geht nichts. (Foto: Harry Wolfsbauer)

"Die Berufsgenossenschaften legen besonderen Wert auf die Absturzsicherung", so Proba. Bei Dachdeckern beispielsweise herrsche ein enormer Markt. "Sechshundert bis siebenhundert Leute sterben in Deutschland jährlich auf Baustellen, insbesondere bei niedrigen Fallhöhen", berichtet Christoph Driever, der beim 1100 Mitarbeiter zählenden Unternehmen Petzl für das Deutschland-Geschäft zuständig ist.

Doch heute geht es nicht um Unfälle, sondern um Spaß - und gut eingespielte Teams. "Am Ende des Tages kommt es auf Mega-Präzision an", sagt Driever. "Der Trainer kann vom Boden nicht mehr auf das Geschehen einwirken, Teamwork ist gefragt." Zu laut sei es in der Halle, die Entfernung zu den Teammitgliedern zu groß.

Dass die Industrie- und Rettungskletterei auch Frauensache ist, zeigt das Team des Bergwacht-Zentrums für Sicherheit und Ausbildung. Es besteht aus Anna Wiedenbauer, Kristina Kramm und Till Gudelius, der in der Bergwacht-Halle für die Technik verantwortlich ist.

Am Ende räumen die Vorjahresgewinner, das Team "Rope Sheperds" aus Hamburg, erneut ab. Auf dem zweiten Platz landet das Team "Toprope" aus der Schweiz, über Platz drei freuen sich "Marco und die starken Männer" aus Deutschland.

Freude nach großartiger Leistung. (Foto: Harry Wolfsbauer)
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