Bad Tölz-Wolfratshausen auf Instagram:"Bilder bestimmen unser Handeln"

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Ob Bergwelt, Seenlandschaft oder pittoreske Marktstraßen: Die Region zeigt sich fotogen. Doch die Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken bringt auch Schattenseiten mit sich - und ist ungleich verteilt.

Von Veronica Bezold, Bad Tölz-Wolfratshausen

"Heutzutage werden keine Postkarten mehr verschickt, sondern Bilder per Whatsapp", ist sich Daniel Weickel, Leiter der touristischen Abteilung in Kochel, sicher. Zudem nutzen etwa elf Millionen Deutsche die fotobasierte Plattform Instagram täglich. Da kam die Ankündigung der Stadt Bad Tölz 2020, eine neue Social-Media-Strategie fahren zu wollen, wenig überraschend. Das damalige Ziel: Vom elften Platz unter die Top Ten im Ranking der "fotogensten Instagram-Kleinstädte" des Reiseportals Travelcircus kommen. Zwar wurde dieses Ziel nicht erreicht, Bad Tölz hält sich nach wie vor auf Platz elf. Dennoch hat die Strategie Auswirkungen gehabt: "Durch diese Aktion haben wir uns im vergangenen Jahr zum Beispiel auf Mitarbeiterseite im Bereich Social Media verstärkt," erklärt die Tölzer stellvertretende Tourismusdirektorin Susanne Frey-Allgaier. So habe man nun die nötige "Manpower" und sei "aktiv dabei", Fotos zu teilen oder auch zu "reposten". Die Stadt Bad Tölz verfolge inzwischen in den sozialen Medien schlicht das Ziel der Imagepflege - und das funktioniere mit Bildern, worauf Instagram hauptsächlich ausgelegt ist, "unschlagbar", sagt Frey-Allgaier. Und Weickel weiß: "Schöne, per Social Media verbreitete Aufnahmen aus der Region sind schließlich auch Werbefaktor und Multiplikator."

Die Kosten für die zusätzlichen Großveranstaltungen erläuterte die stellvertretende Kurdirektorin Susanne Frey-Allgaier. (Foto: Manfred Neubauer)

Doch Social-Media-Nutzer sollten sich bewusst machen, dass das schöne Foto auf dem Bildschirm am Ende des Tages genau das ist: Werbung. Und dahinter unterschiedliche Bestrebungen stehen, die nicht zwingend die Realität abbilden müssen. Das bekommt beispielsweise die Bergwacht zu spüren. Während Besucher früher noch durch Wanderbücher und Zeitschriften auf bestimmte Ausflugsziele aufmerksam wurden, seien es heute die sozialen Medien. "Bilder bestimmen unser Handeln", weiß Roland Ampenberger, Sprecher der Bergwacht Bayern. Das bringe die Leute schneller auf Ideen. Zu sagen, Social-Media-Tourismus führe per se zu vermehrten Unfällen in den Bergen, sei zwar "zu kurz gegriffen". Dennoch komme es immer wieder vor, dass sich Wanderer auf in sozialen Medien verbreitete, nicht zuverlässige Routenführungen verließen. "Beispiel: Ich sehe den Gipfel der Zugspitze und darauf viele Leute stehen, will da hoch und verstehe aber nicht, dass erstens nebenan die Bahn ist und zweitens alle Anstiege zu Fuß ein gewisses Können verlangen," erklärt Ampenberger.

Eine Bank am Walchensee. (Foto: Claudia Koestler)

Dass die beeindruckende Natur im Fokus steht, das fehlt Daniel Weickel bei Bildern von Walchen-und Kochelsee häufig: "Oft wird der See zwar noch als Ort getagged oder in den Hashtags unter dem Bild erwähnt, aber als Naturraum spielt er keine Rolle mehr", bedauert der Leiter der touristischen Abteilung in Kochel. Insgesamt sechs verschiedene Typen von "Instagrammern" könne er vor allem an den beiden Seen beobachten: Typ eins mache ein Selfie und freue sich über die gute Zeit, die er erlebe. Typ zwei versuche, durch Posen mehr aus seinem Foto zu machen. Der dritte Typ suche sich das Seeufer nur als Hintergrund aus, um sich selbst zu profilieren. Das sei für Weickel der schlimmste Typ: "Es wird irgendein x-beliebiger Kalenderspruch genommen, eine Pose gemacht und der See ist nur noch Kulisse." Typ vier seien gewerbliche Influencer, also Personen mit einer hohen Follower-Anzahl in den sozialen Netzwerken, die mit den Fotos in der Kochler Natur ihr Geld verdienen wollten. Vor allem der fünfte und sechste Instagram-Typ würden zudem öfter Ärger bereiten. Weickel nennt sie die "Flexer" und die "Drohnenpiloten". Erstere würden insbesondere ihre Fahrzeuge, Autos oder Motorräder, vor der Naturkulisse präsentieren - und dafür werde auch mal direkt auf dem Kiesstrand geparkt. "Das kann man anzeigen. Das ist verboten - aber Hauptsache ein geiles Foto", sagt Weickel. Auch Drohnenpiloten müsse man immer wieder auf die Vorschriften aufmerksam machen. "Einige dieser Leute suchen einfach händeringend nach Klicks und Bestätigung und übertreten hierfür alle Regeln". Drohnenflüge sind ihm zufolge am Kochelsee verboten. Und obwohl es Abstandsregeln gebe, sei das Problem vor allem am Kesselberg "uferlos". "Die Leute unterschätzen, dass das Ding auch einfach runterfliegen kann und ignorieren die Konsequenzen." Weickel will, sagt er, stets den "richtigen Ton treffen", um sie zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Umgebung zu bewegen. Trotzdem fragt sich der Leiter der touristischen Abteilung bei seiner Arbeit immer wieder: "Warum reichen normale Bilder nicht mehr aus?" Umso mehr freue es ihn, wenn dann doch die Natur um den Walchen- und Kochelsee im Fokus eines Social-Media-Posts steht. Beliebt seien die Seeufer an sich, oder der Blick vom Herzogstand. Der Gipfel werde intern in der Gemeinde sogar schon "Insta-Spot" genannt, denn: "Hier kommt niemand daran vorbei, ohne ein Foto zu machen." Touristen hätten sogar bereits explizit bei der Tourist Information nachgefragt, wo dieses Fotomotiv zu finden sei.

Mindestens genauso begehrt bei fotohungrigen Instagram-Fans ist der Sylvensteinspeicher. "Das ist einfach der landschaftliche Reiz: Er erinnert schon fast an eine fjordartige Landschaft und hat eine wunderschöne Farbe", meint Natalia Glaser, Verantwortliche für Social Media bei der Tourist Information Lenggries. Hinzu komme noch die beeindruckende Umgebung des Stausees: Bis über 2000 Meter ragen die Berge um den See herum in den Himmel. "Der Sylvensteinspeicher hat einen hohen Freizeitwert für Einheimische und Touristen", so Glaser. Durch gezielte Besucherlenkung und Beschilderung versuche man dort, Gäste an ausgewiesenen Orte zu leiten.

Die Sylvensteinbrücke. (Foto: Manfred Neubauer)

Eines der Motive, die sich immer wieder auf Social Media finden, ist auch die Tölzer Marktstraße. Durch ihre einstige Tätigkeit im Reisebüro sei sie "schon viel rumgekommen", sagt Frey-Allgaier. Aus diesem Grund könne sie mit Sicherheit sagen: "Dieser vollkommene Straßenzug, der schon beinahe als Theaterkulisse anmutet, ist doch relativ einzigartig." Die Fassaden der großen Giebelhäuser aus dem 18. Jahrhundert sind oberbayerischen Bauernhäusern nachempfunden. Die Markstraße sei damit einfach ein "prädestiniertes Fotomotiv." Und bei noch einem "Instagram-Spot" hatte Bad Tölz wohl einfach Glück: Der Kalvarienberg bietet den perfekten Ausblick, und sein Gipfel wird deshalb nur allzu gerne als Fotokulisse genutzt. "Vor allem im Sommer kann man von hier aus sehr gut sehen, wie grün und umgeben von der Natur des Isartals Bad Tölz ist", beschreibt die stellvertretende Tourismusdirektorin. Auch die Stadt selbst lichte diesen Ort deshalb gerne für ihren eigenen Social-Media- und Internetauftritt ab. "Als Fotomotiv könnte so eine Kulisse nicht schöner sein."

Immer einen Besuch wert: die Marktstraße Bad Tölz. (Foto: Manfred Neubauer)

Doch es fällt auf: Je weiter nördlich man in die digitale Tölzer Region vordringt, desto seltener werden die eindrucksvollen Instagram-Posts. Im Gegensatz zu Bad Tölz, Lenggries oder Kochel wirken Geretsried, Wolfratshausen oder Icking derzeit noch weniger "instagramable". Woran das liegt, könne man nur mutmaßen, aber die Einwohnerzahl ist laut Michael Heigl, Social-Media-Verantwortlicher des Landkreises, keine Ausrede: "Dann müsste zum Beispiel Geretsried, als die größte Stadt im Landkreis, eigentlich viel weiter vorne sein - und die haben ja eigentlich auch die Isarauen." Immerhin findet sich im nördlichen Landkreis ein Spot, der schon beinahe zu einem Kult-Motiv geworden ist: der "Tree of Münsing." So wird der einsame Baum nahe der Wolfratshauser Autobahnausfahrt mittlerweile genannt. "Das ist eines der beliebtesten Ausflugsziele, weil es für Leute, die aus München und der Umgebung kommen, günstig gelegen ist", erklärt Hubert Kühn, Geschäftsleiter der Gemeinde Münsing. Zudem biete der Ort einen wunderbaren Ausblick in die Alpen und sei somit perfekt, "wenn man mal schnell in die Natur möchte." Kühn versteht, warum der Baum ein so beliebtes Fotomotiv ist: "Der ist einfach schön! Er hat diese gewisse Ausstrahlung - Kraftort sagt man da wohl heutzutage. Man kann dort gut auftanken."

Der "Tree of Münsing" bei der Autobahnausfahrt im Abendlicht. (Foto: Hartmut Pöstges)

Aller Internet-Beliebtheit zum Trotz hat das Tölzer Land kein Problem mit Übertourismus, sagt Andreas Wüstefeld vom Tourismus Tölzer Land. Denn "rein definitorisch wäre das mit zu vielen Übernachtungen verbunden", erklärt er. Wenn überhaupt, handle es sich stattdessen um ein sogenanntes Overcrowding-Problem. "An den Seen und Flüssen haben wir an schönen Sommertagen ein Zuviel an Tagesgästen." Allerdings sei auch dieses Phänomen in der Region lediglich sehr stark punktuell vorhanden und zeitlich limitiert. Hier seien bewusste Besucherlenkung und Ausflugsticker wichtige digitale Werkzeuge.

Im Gegensatz zum Tourismus Tölzer Land bespielt das Landratsamt seine Social-Media-Kanäle übrigens nicht mit touristischen Inhalten, sondern mit Themen von rein behördlicher Seite. "Unser primäres Ziel ist es, mit den Bürgern in Kontakt zu treten", fasst Heigl zusammen. "Unsere Informationen betreffen nicht nur Zeitungsleser, sondern natürlich auch jüngere Leute." Der Hauptfokus liege deshalb logischerweise auch hier bei Facebook und Instagram. Von der Terminvereinbarung für Kfz-Zulassungen über Anlaufstellen der Jugendhilfe bis hin zu Informationen über Schwangerschaftsberatungen - mit all diesen Inhalten versorge das Landratsamt die Bürger mittlerweile über die sozialen Netzwerke. Man wolle dabei auch diejenigen erreichen, die keine Print-Medien mehr nutzten.

Roland Ampenberger von der Bergwacht Bayern. (Foto: Manfred Neubauer)

Roland Ampenberger von der Bergwacht Bayern hat in Sachen Social-Media-Trends und neue Zielgruppen einen klaren Auftrag an die Tourismus-Beauftragten des Landkreises: "Man muss einfach den Unterschied zwischen einer Bergwanderung und einem Spaziergang im Stadtpark klar kommunizieren und sollte diesbezüglich auch keine falschen Erwartungen schüren." Nutzer der sozialen Medien sollten indes das Informieren und kritische Hinterfragen nicht sein lassen, so schön auch manche Bilder lockten: Denn vielleicht sei die Realität doch anders, oder "das Wunschziel doch noch drei Hausnummern zu hoch".

Ein Anfang dürfte inzwischen gemacht sein. Immerhin kooperieren die Betreiber der offiziellen Tölzer Kanäle auf den sozialen Medien bereits mit Influencerinnen wie Magdalena Kalus von @youareanadventurestory, um zum Beispiel auf die Risiken für unvorbereitete Wanderer in den Alpen aufmerksam zu machen. "Maggie ist mittlerweile unsere Naturbotschafterin, Partnerin und gute Freundin", erzählt Daniel Weickel. Auch nach dem Unfalltod einer 23-Jährigen am Herzogstand im Frühling dieses Jahres habe sie die Thematik aufgegriffen, um Prävention zu leisten. "Wir nutzen solche Chancen gerne, um die User mit wichtigen Botschaften zu erreichen", meint der Kochler Tourismusleiter. Er hofft, dass weitere Menschen ihre Reichweite nutzen, um positiven Einfluss zu nehmen. Für so eine kleine Region sei man in Kochel, schließt Weickel, jedenfalls schon Vorreiter.

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