Immobilien:Wohnungsnot abseits der Großstädte

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Die Häuser in der Wolfratshauser Margeritenstraße sollen Platz für Menschen bieten, die sich die übliche Miete nicht leisten können. Solch günstigen Wohnraum oder Sozialwohnungen gibt es jedoch viel zu wenig. (Foto: Hartmut Pöstges)
  • Nicht nur in den Großstädten fehlt es an Wohnraum, auch im Umland.
  • Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen etwa gibt es immer weniger Sozialwohnungen, dabei steigt der Bedarf.
  • Allein in den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl um fast 1000 Wohnungen eingebrochen.
  • Schon 2030 könnte es in diesem Landkreis nur noch 400 bis 500 Sozialwohnungen geben.

Von Pia Ratzesberger, Wolfratshausen

Jeden Tag erinnern die Kisten sie daran, dass dieses Haus nicht mehr ihr Zuhause ist. Claudia Sattler blickt hinüber zu den sechs großen Umzugskartons in der Ecke des Wohnzimmers, seit mehr als drei Monaten warten die schon dort. Das Sofa, der Fernseher, die Schreibtische der Kinder, das alles aber steht noch an seinem Platz. Ende April dieses Jahres hat Sattler gekündigt, doch sie wohnt noch immer in diesem Haus, dessen Zimmer sie am liebsten schon lange leergeräumt hätte, an deren Wänden noch immer die Vergangenheit klebt.

Die Räumungsklage ist zwar da, doch die 33-Jährige kann nicht ausziehen, denn sie findet keine Wohnung. Sattler und ihr Mann haben sich Anfang des Jahres getrennt. Ohne eigenes Einkommen und mit drei Kindern kann sie sich die Kaltmiete von 1400 Euro nun nicht mehr leisten, hat Anspruch auf eine Sozialwohnung. Das Problem ist nur: Es gibt keine. Nicht in Wolfratshausen, nicht in Geretsried. Nicht in der näheren Umgebung.

Mit jedem Jahr gibt es weniger Sozialwohnungen, die Bindungen laufen aus

Momentan gibt es im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen etwa 1500 bis 1600 Sozialwohnungen, man muss sagen: noch. Denn mit jedem Jahr werden es weniger, die Bindungen mit den Baugenossenschaften laufen aus. Zum Vergleich: Vor fünf Jahren waren es noch fast 1000 Sozialwohnungen mehr. Jahrelang aber wurden keine neue Wohnungen gebaut, die diese Lücke nun füllen könnten. "In den vergangenen acht Jahren sind nicht einmal 50 Wohnungen entstanden", sagt Peter Zimmermann, beim Landratsamt zuständig für den sozialen Wohnungsbau. Die Fördermittel gebe es zwar, doch keine freien Grundstücke für die Baugenossenschaften.

Zimmermann weiß, dass diese fehlenden Wohnungen nicht nur jetzt ein Problem sind, weil Menschen wie Claudia Sattler trotz Anspruchs keine Wohnung bekommen. Er weiß, dass das Problem in Zukunft noch viel größer sein wird. Zum einen, weil die Zahl der Sozialwohnungen schon im Jahr 2030 auf 400 bis 500 eingebrochen sein könnte. Zum anderen, weil die Nachfrage nach staatlich geförderten Wohnungen in dieser Zeit immens steigen wird - auch durch die Flüchtlinge, die mit anerkanntem Status die Gemeinschaftsunterkünfte verlassen müssen, auf dem freien Markt aber kaum eine Chance haben. Genau wie Claudia Sattler.

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In Königsdorf zum Beispiel hatte sie sich eine Wohnung angesehen, "relativ ab vom Schuss", sagt Sattler, während sie auf dem grauen Sofa sitzt, das Licht fällt schal durch die lila glänzenden Gardinen. Ihr Blick folgt der zweijährigen Tochter, die in Windeln gerade einen Stoffelefanten um den Couchtisch schleppt. "Aber selbst die Entfernung wäre mir egal gewesen", sagt Sattler, schwarze Haare, schwarze Bluse, ihre Augen umrandet ein dunkler Lidstrich. Zur Verstärkung hatte sie sich eine Freundin mitgenommen, um sich nicht gar so alleine zu fühlen neben den erfolgreichen Paaren mit doppeltem Einkommen und wohlhabenden Senioren in Rente. Letztendlich ging die Wohnung an einen älteren Herren. Für Sattler und ihre drei Kinder darf die Nettokaltmiete nicht mehr als 582 Euro betragen, mehr übernimmt das Job-Center nicht.

In einem Landkreis, in dem eine Einzimmerwohnung durchaus 550 Euro kosten kann, ist das nicht leicht. "Es muss eine Obergrenze geben und es stehen in den Zeitungen immer wieder Annoncen zu diesem Preis drin, sonst hätten wir diese Grenze nicht gesetzt", rechtfertigt sich Andreas Baumann, Geschäftsführer des Job-Centers Bad Tölz-Wolfratshausen. Claudia Sattler aber hat in ihrer Not selbst den Wolfratshauser Bürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW) schon auf Facebook angeschrieben, hat mit ihm gesprochen. Doch auch er habe nicht helfen können. "Jetzt laufe ich direkt in die Schuldenfalle", sagt Sattler. Im November wird sie ihre Miete wieder nicht zahlen können.

Auch Leute mit regulärem Einkommen finden keine Wohnung mehr

Wenn Ines Lobenstein Geschichten wie die von Claudia Sattler hört, sagt sie: "Wenn das so weitergeht, kann ich meine Arbeit nicht mehr richtig machen." Ihre Hände klopfen dabei zu Fäusten geballt auf die Tischplatte, sie hat keine Wohnungen mehr, die sie vermitteln könnte. Die Sozialpädagogin sitzt in ihrem Büro, im Obdachlosenheim der Caritas in Wolfratshausen, und sagt Sätze wie: "Auch ich fühle mich hilflos." Dabei sei es in der Wohnungslosenhilfe doch gerade ihr Job Hoffnung zu vermitteln. Früher seien die niedrigen Zinsen ein Anreiz für die Baugenossenschaften gewesen, Sozialwohnungen zu bauen, heute aber seien die Zinsen ohnehin niedrig. Durch die Nähe zu München könne jede Wohnung zudem ohne Probleme zu hohen Preisen vermietet werden. Dem bayerischen Landesamt für Statistik zufolge sind allein im vergangenen Jahr mehr als 1200 Menschen von München in den Kreis gezogen. Auch das treibt die Mieten nach oben.

"Es sind schon lange nicht mehr nur die Leute ohne Arbeit, die keine Wohnung finden, sondern etwa die alleinerziehende Verkäuferin mit 1000 Euro netto im Monat", sagt Lobenstein. Eine junge Frau in Ausbildung lebe momentan bei ihr im Obdachlosenheim, weil sie sich in Wolfratshausen kein Appartement leisten könne. Frei sei nun nichts mehr in der Unterkunft der Caritas. 13 Plätze gibt es, 13 Plätze sind belegt.

Wer keine Wohnung findet, für den bleibt das allerdings meist nicht das einzige Problem: Solange etwa Sattler nicht weiß, wo sie in Zukunft wohnen wird, ist es für sie schwer eine Arbeitsstelle zu finden. Sozialwohnung gibt es keine, ohne Arbeit hat sie auf dem freien Wohnungsmarkt wiederum kaum eine Chance. "Alleinerziehend, drei Kinder, kein Job, wer nimmt dich da schon", sagt Sattler. Dabei habe sie keine hohen Ansprüche mehr. "Ich nehme alles", sagt Sattler und blickt zu den Kisten hinüber. Die nämlich würde sie endlich gerne aus dem Haus tragen.

© SZ vom 03.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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