Im Geretsrieder "Hinterhalt":Seid ungehorsam!

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Auf den ersten Auftritt in musikalisch-literarischer Zweisamkeit: Konstantin Wecker (links) und Max Uthoff. (Foto: Hartmut Pöstges)

Max Uthoff und Konstantin Wecker treten erstmals im Duo auf und fordern ein anderes Schulsystem

Von Felicitas Amler, Geretsried

Der Rohrstock gilt als das Symbol überkommener Erziehungsmethoden - der sogenannten schwarzen Pädagogik. Längst abgeschafft. Und doch? Kinder sollten seinerzeit gebrochen werden, in ihrem Willen, ihren Bedürfnissen, ihrer Lust und Freiheit, ihren Ideen und Vorstellungen. Dass dies heute noch geschieht, wenn auch mit anderen Mitteln, beklagen Max Uthoff und Konstantin Wecker. Sie rufen dazu auf, das klassische Schulsystem in Frage zu stellen. Die beiden Künstler sind Botschafter der Demokratischen Schule. Für dieses Modell der Freiwilligkeit des Lernens und der Förderung von Empathie haben sie am Dienstagabend auf der Bühne des Geltinger "Hinterhalts" geworben.

Ein einzigartiger Auftritt. Der Liedermacher Wecker mit seiner süffigen, manchmal schwelgerisch-pathetischen Poesie und der Kabarettist Uthoff mit seiner intellektuellen, oft auch selbstironischen Prosa standen zum ersten Mal als Duo auf einer Bühne. Und ihr Programm (Wecker: "Richtig geplant haben wir eigentlich nichts") war mehr Kaleidoskop als Konzept - dennoch unterhaltsam und sehr lehrreich, psychologisch, pädagogisch, philosophisch und politisch. Einziger Fixpunkt war das Buch "Wider den Gehorsam" des von den Nazis verfolgten, in die USA geflohenen Schriftstellers und Psychoanalytikers Arno Gruen, aus dem Uthoff las und dessen Thesen Wecker zustimmte.

Wecker sang Wecker, vom "Willy" bis zum nie genug gehörten "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist", und Wecker sprach über Wecker mit seinen familiären und künstlerischen Erfahrungen, vom sanften, antiautoritären Vater, von Nazi-Lehrern in der Nachkriegsschulzeit, gemeinsamen Auftritten mit Esther Bejanaro und Arno Gruen ("Ich hab ihn Arno nennen dürfen"), vom Pazifismus und der Notwendigkeit, das Patriarchat abzuschaffen, genauso wie die Herrscher, die er als "maligne Psychopathen" bezeichnet. Was ihm Hoffnung gebe, sagte er, seien die jungen Leute etwa von "Fridays for Future" oder eine neue, aufkeimende Frauenbewegung in Südamerika, von der hierzulande kaum berichtet werde. Mit Arno Gruen teile er die Überzeugung, "dass der Mensch eigentlich als empathisches Wesen auf die Welt kommt".

"Geradezu ausgelöscht"

Uthoff unterstrich dies mit Passagen nicht nur aus Arno Gruens Werk "Wider den Gehorsam", dessen Grundaussage es ist, dass Gehorsam "das seelische Sein" der Kinder "geradezu auslöscht". Uthoff zitierte Wissenschaftler wie Rutger Bregman, der das berühmte Milgram-Experiment zu Reaktionen auf Autorität in Frage stellt, oder Publizisten wie Nils Minkmar, der die Gemeinsamkeiten populistischer Bewegungen in Europa und den USA beleuchtet. Seine These: Die Anhänger sind oft einsam.

Der Kabarettist sprach von der politischen Entwicklung der vergangenen dreißig, vierzig Jahre, vom Neoliberalismus, der zu einem Zerfallen der Gesellschaft geführt habe, und von einem Perfektionismus, der Ängste, Essstörungen und Depressionen mit sich bringe. Mit einem Appell ans Publikum, das klassische Schulsystem in Frage zu stellen, verband er die rhetorische Frage, wozu man Noten und Hausaufgaben brauche. "Bildungsökonomie", das sei doch ein Widerspruch in sich.

Der Rohrstock kam an diesem Abend im "Hinterhalt" auch vor. In einer Anekdote, die Arno Gruen offenbar oft und gern erzählt hat. Als er sechs Jahre alt war, ermahnte seine Volksschullehrerin die Klasse, sie sei zu undiszipliniert, weswegen ein Rohrstock gekauft werden müsse, und fragte, wer dies übernehmen wolle. 29 Zeigefinger seien hochgeschnellt, nur der des kleinen Arno nicht. Empathie statt Gehorsam war demnach ein Lebensthema Gruens.

Dem "Hinterhalt" hat der einzigartige Auftritt einmalige Klick-Zahlen beschert. Das Live-Streaming wurde am Abend an 7614 Bildschirmen verfolgt. Eine Zahl, die laut Filmtechniker Thorsten Thane noch nie erreicht wurde; alle anderen Aufzeichnungen hätten maximal 800 Sofortzugriffe gehabt. Ein Ereignis, das in jeder Hinsicht nach Fortsetzung verlangt - dann vielleicht mit etwas besser abgestimmter Planung. Das Saalpublikum jedenfalls forderte Zugabe.

Weitere Informationen unter www.demokratische-schule-muenchen.de

© SZ vom 30.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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