Gläubige setzen sich durch:Rettung für Kloster Reutberg

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Die Ordenskongregation im Vatikan erhält überraschend den Konvent der Franziskanerinnen und folgt damit dem Wunsch von 12 000 Gläubigen. Schwester Benedicta Tschugg wird als "Apostolische Kommissarin" eingesetzt.

Von Klaus Schieder, Sachsenkam

Gerald Ohlbaum zieht die Luft tief in seine Lungen ein und stößt sie lange wieder aus. Einen Moment schweigt der Vorsitzende vom Verein "Freunde des Klosters Reutberg", dann sagt er erleichtert: "Ich bin freudig erstaunt." Diese Gefühlslage zwischen Verblüffung und Fröhlichkeit trifft nach der überraschenden Entscheidung des Vatikans, den 400 Jahre alten Konvent der Franziskanerinnen auf dem Reutberg doch zu erhalten, auch auf alle anderen Mitglieder der Sachsenkamer Gruppe zu. "Es ist der Wille der Bevölkerung, es ist der Wille der Gläubigen", meint Hans Schneil (CSU), Bürgermeister von Sachsenkam. Auch die Antwort aus dem Erzbischöflichen Ordinariat München und Freising auf die Nachricht aus Rom wirkt ein wenig verdutzt: "Das Dekret ist so erlassen, das ist im Moment die Tatsache", sagt Pressesprecher Christoph Kappes.

Auf dem Reutberg leben momentan die beiden Ordensfrauen Faustina und Augustin vom regulativen Dritten Orden des Hl. Franziskus. Seit gut einer Woche ist noch eine andere Nonne da: Schwester Benedicta Tschugg von den Klarissen-Kapuzinerinnen aus dem Bethlehem-Kloster Koblenz wurde von der Ordenskongregation im Vatikan per Dekret als "Apostolische Kommissarin" eingesetzt. Sie hat damit die Rechte und Pflichten einer Oberin. Das heißt, sie untersteht alleine dem Heiligen Stuhl in Rom, ist den beiden Schwestern auf dem Reutberg gegenüber weisungsbefugt und hält in wirtschaftlichen Belangen weitgehend die Zügel in der Hand. Und nicht zuletzt kann sie neue Schwestern eingliedern oder als Novizinnen aufnehmen. Mit anderen Worten: Das Kloster ist wieder selbstbestimmt.

Das war es schon elf Jahre nicht mehr, weil dort zu wenige Ordensfrauen lebten. Über externe Verwalter ließ das Erzbistum die ökonomischen Aufgaben des Klosters erledigen, vor fünf Jahren bezeichnete auch die zuständige Religiosenkongregation in Rom die Auflösung des Konvents als unvermeidlich. Allerdings hatte es durchaus andere Orden, etwa aus Salzburg, gegeben, die bereit gewesen wären, Nonnen auf den Reutberg zu senden. Oder auch die eine oder anderen Interessentin, die gerne ins Kloster bei Sachsenkam eingetreten wäre. Aber dies ließ das Erzbistum unter Berufung auf Rom nicht zu. Auch Schwester Benedicta, die seit Mai 2017 auf dem Reutberg lebte, wurde vom Ordinariat im Januar zurück nach Koblenz geschickt.

Das Dekret aus dem Vatikan, das nun ihre Rückkehr vorschreibt, ist für die Erzdiözese "nicht transparent nachvollziehbar", wie Kappes sagt. Vor allem auch deshalb, weil Rom bislang keine Gründe für den überraschenden Schritt genannt hat. Von dort habe man bisher verlangt, die Auflösung des Klosters voranzutreiben und "den Angestellten und Vertragspartnern eine verlässliche Zukunftsperspektive" zu bieten, heißt es in der Stellungnahme der Erzdiözese. Die Verantwortung liege jetzt in Rom, an das Schwester Benedicta als Kommissarin in wichtigen Entscheidungen gebunden sei. "Wir wünschen, dass sich erfüllt, was man sich von dieser neuen Richtung verspricht."

Die hochbetagte Schwester Augustina (li.) und Schwester Faustina dürfen auf dem Reutberg bleiben. (Foto: Manfred_Neubauer)

Über das Motiv für den Sinneswandel kann auch die Sachsenkamer Gruppe nur Mutmaßungen anstellen. Einige Vertreter waren am 13. Oktober nach Rom gereist, nachdem sich die Ordenskongregation bereit erklärt hatte, sie zu empfangen. Angeführt wurde sie von Ulrich Rührmair, dem Sprecher und Kopf der Gruppe, der sein hundertseitiges Buch "Kloster Reutberg: Status quo und Perspektiven" an den Vatikan gesandt hatte. Auch er kennt die genauen Gründe für die Kehrtwende nicht, äußert aber eine vorsichtige Vermutung "Ich stelle die Frage in den Raum: Könnte man nicht den Gedanken zulassen, dass die Argumente, die von der Sachsenkamer Gruppe vorgebracht wurden, möglicherweise schlicht überzeugend und auch richtig waren?" Schließlich hätten ein paar Laien aus Sachsenkam doch bei Weitem nicht so viel Einfluss wie ein Reinhard Kardinal Marx.

Auch die 12 000 Unterschriften, die für den Erhalt des Konvents gesammelt wurden, dürften eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben. Dies glaubt Bürgermeister Schneil, der ebenfalls in Rom dabei war. Er meint, dass sich die katholische Kirche - vor dem Hintergrund des Missbrauchsskandals - "in der jetzigen Situation auch nicht mehr alles leisten" könne. Rührmair und Schneil loben indes die Atmosphäre in dem zweieinhalbstündigen Gespräch im Vatikan als offen und freundlich. Außerdem hätten sich die Gesprächspartner über die Vorgänge auf dem Reutberg genau unterrichtet gezeigt. "Wir waren sehr beeindruckt von diesem Gespräch", resümiert Helmut Rührmair, zweiter Vorsitzender der Freunde des Klosters Reutberg.

Mit der Entscheidung aus Rom ist die Zukunft des Konvents aber noch keineswegs gesichert. Dazu sind vor allem mehr Ordensfrauen erforderlich. "Wir sehen mit dem Dekret allein noch keine nachhaltige Entwicklungsperspektive für den Reutberg als lebendigen Standort für ein Ordensleben gegeben", heißt es aus dem Ordinariat. Die Gemeinde werde das Kloster aber unterstützen, verspricht Bürgermeister Schneil. "Eine Auffrischung ist nötig, mal schauen, ob sie vonstatten geht." Ein paar Schwestern aus einem anderen Orden, die eine oder andere Novizin, so könnte der Konvent "ein wenig aufgepäppelt" werden, meint Ohlbaum. "Das sind alles Dinge, die man noch klären muss, jetzt können wir erst einmal durchschnaufen."

Völlig unklar ist auch, ob das von der Erzdiözese geplante Seelsorgezentrum kommt. Demnach sollen einige Priester auf den Reutberg ziehen, um von dort aus in mehreren Pfarrgemeinden als Seelsorger zu arbeiten. Im Gespräch sind Patres von den Missionaren der Hl. Familie aus Dietramszell. Nach dem Dekret aus Rom betrachtet man dieses Vorhaben in München jedoch skeptisch. "Wir brauchen dazu verlässliche Rahmenbedingungen", sagt Pressesprecher Kappes. Dies sehe man im Moment nicht. "Damit erscheint uns Reutberg im Augenblick eher nicht als geeigneter Ort, um unsere Pläne für ein pastorales Zentrum dort zu realisieren."

Die Sachsenkamer Gruppe will darum kämpfen. Wenn die Geistlichen in der ganzen Region unterwegs und tagsüber nicht da seien, könnten Gläubige, die Trost auf dem Reutberg suchen, im Klosterladen bei den Schwestern ein "niederschwelliges Kontaktangebot" finden, sagt Ulrich Rührmair. Die Nonnen könnten durch ihr Gebet auch Segen für den Ort, die Gläubigen und die Priester selbst bewirken. Und etwas profaner: Wenn Konvent und pastorales Zentrum nebeneinander bestehen, sei rein logisch die Wahrscheinlichkeit um einiges höher, dass eines von beiden langfristig überlebe, und idealerweise eben beide, so Rührmair. Die Gespräche mit der Erzdiözese will er wieder ins Laufen bringen und sieht nach der Entscheidung aus Rom dafür gute Chancen. "Die Dialogbereitschaft im Ordinariat hat aus unserer Sicht sogar zugenommen, nicht etwa abgenommen", sagt er. Jetzt gelte aber erst einmal eines: "Durchatmen."

© SZ vom 06.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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