Entwidmungsgottesdienst:Abschied von "einem Stück Heimat"

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Letzte Amtshandlung in der Versöhnungskirche: Pfarrer Georg Bücheler spricht das Gebet zur Entwidmung. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die evangelische Versöhnungskirche in Geretsried ist nun ein Profanbau. Pfarrer Georg Bücheler erinnert an vielfältige Begegnungen und Nutzungen. Pfarrer Peter Samhammer hofft auf eine weltliche Wiederbelebung.

Von Felicitas Amler, Geretsried

Es gibt keine evangelische Versöhnungskirche mehr in Geretsried. Pfarrer Georg Bücheler hat am Sonntag in einem feierlichen, teils traurig-nachdenklichen, teils heiteren Akt das vor 53 Jahren geweihte Gotteshauses am Chamalièresplatz förmlich entwidmet, also profanisiert. Wie es mit dem einzigartigen, in sieben wabenförmige Elemente gegliederten Gebäude des Architekten Franz Lichtblau (1928-2019) weitergeht, hat die evangelische Kirche bisher in öffentlichen Erklärungen als nicht entschieden bezeichnet. Klar ist nur, dass sie das Anwesen in irgendeiner Form verwenden will, um Geld für die Petruskirche im Stadtzentrum zu gewinnen.

Im Gottesdienst wurde allerdings eine nicht unmaßgebliche Stimme laut, die den Wunsch nach einer weiteren, einer weltlichen Nutzung im Sinne der Versöhnung äußerte. Pfarrer Peter Samhammer, Sohn des Gründungspfarrers der Kirche, Heinrich Samhammer, sagte: "Es wäre schade, wenn dieses Lichtblau-Gebäude einfach abgerissen würde." Er nahm die Idee der Geretsrieder Architekturhistorikerin Kaija Voss auf, in Anlehnung an die Geretsrieder Partnerstadt Chamalières ein deutsch-französisches Begegnungszentrum daraus zu schaffen: "Das würde wunderbar passen."

Der Gedanke der Versöhnung zog sich auch durch alles, was Pfarrer Georg Bücheler zu seiner bisherigen Kirche äußerte; und er schien am Ende noch einmal in seiner Aufforderung zur Kollekte auf. Denn diese geht je zur Hälfte an die evangelische Kirche Geretsried und an die evangelischen Partnergemeinden des Dekanats in Palästina, in Jerusalem und der Westbank. Bücheler betonte, dass auch die Menschen dort unter dem aktuellen Krieg litten: "Wir wollen unseren Freunden in dieser schweren Zeit beistehen."

Großer Andrang draußen . . . (Foto: Hartmut Pöstges)
. . . und drinnen. Wenn die Versöhnungskirche immer so gut besucht gewesen wäre, müsste sie wohl nicht aufgegeben werden. (Foto: Hartmut Pöstges)

Bücheler erinnerte daran, dass die Versöhnungskirche für so viele Menschen "ein Stück Heimat" gewesen sei. Er zählte unterschiedliche Aktivitäten und Einrichtungen auf: Kindernest, Vorlesewettbewerb, Meditationsgruppe, Kaffeetreff und Ort für Menschen, denen es psychisch nicht gut ging. Und schließlich sei im Keller sogar über viele Jahre hinweg der einzige Übungsraum für Musikgruppen in Geretsried gewesen. Zur außergewöhnlichen Architektur ("Eine Kirche ohne Kreuz") sagte der Pfarrer, man sei der Zeit damals weit voraus gewesen: "Die Kirche als Ort, der in die Gesellschaft hineinwirken sollte."

Martin Ziegler, der lange Zeit im Kirchenvorstand tätig war, betonte, es sei immer Leben gewesen in der Versöhnungskirche. Er erinnerte an den Kirchenchor und den Posaunenchor. Aber er verschwieg auch die Probleme nicht: Das Flachdach sei bereits in den Siebzigern sanierungsbedürftig gewesen; die Landeskirche habe damals noch einen Zuschuss gegeben. Gleichzeitig habe sie aber auch erklärt, sich aus weiteren Unterstützungen für dieses, neben der Petruskirche zweite Gotteshaus zurückzuziehen. Ziegler skizzierte die Entwicklung, die nun letztlich zur Preisgabe der Versöhnungskirche führte: 1970 habe Geretsried 17 000 Einwohner und die evangelische Kirche zwischen 3500 und 4000 Mitglieder gehabt; 1982 seien es 20 000 Einwohner und 6000 Evangelische gewesen, heute 26 000 und 4300. Die Tendenz ist wie überall fallend.

Pfarrer Peter Samhammer ist der Sohn des Gründungspfarrers der Versöhnungskirche, Heinrich Samhammer. Er wünscht sich eine weltliche Nutzung des einzigartigen Gebäudes. (Foto: Hartmut Pöstges)

Dennoch hält Pfarrer Samhammer wenig davon, wenn sich die Kirche heutzutage auf "tolle Zentren" konzentriert. "Wir müssen zu den Menschen gehen, nicht die Menschen zu uns", sagte er. Zudem dürfe Kapital nicht der letzte Maßstab sein: "Es braucht eine größere Vision, eine Art Utopie." In einem deutsch-französischen Zentrum sähe er das Thema Versöhnung genauso gut umgesetzt wie einst in der Geretsrieder Kirche.

Peter Samhammer hat den Beginn der Versöhnungskirche als Kind miterlebt. Er erinnere sich an den Stolz in den Augen seines Vaters, sagte er. Zwar sei seine Familie bald nach München gegangen, andere aber seien mit der Versöhnungskirche aufgewachsen oder gar alt geworden. Für viele sei sie ein Ort der Begegnung, der Besinnung, der Ruhe und des Halts. Und auch wenn "der letzte Halt nicht in der Welt zu suchen" sei, auch nicht in einem Gotteshaus, sondern "allein in Gott selbst", so stehe doch gerade diese Kirche für Gemeinschaft und Offenheit. "Was für ein Signal! Was für ein Auftrag!", sagte Samhammer zur Architektur, die sich ohne riesigen Kirchturm "bescheiden, zurückhaltend hier reingeschmiegt" und Hierarchien aufgelöst habe.

Die Ökumene wird in Geretsried schon seit Jahrzehnten gelebt, so auch im Gottesdienst zur Entwidmung der Versöhnungskirche, in dem der katholische Pfarrer Andreas Vogelmeier (3. von links) an der Seite seines evangelischen Kollegen Georg Bücheler stand. (Foto: Felicitas Amler/oh)

Pfarrer Bücheler, der einige Passagen des Gottesdienstes gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Andreas Vogelmeier gestaltete, sagte am Ende seines Gebets zur Entwidmung: "Jedes Loslassen öffnet immer auch Raum für Neues." Was dies letztlich für das Gebäude am Chamalièresplatz bedeutet, blieb weiterhin offen.

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