Geretsried:Einsame Tänzerinnen

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Starke Szenen prägen das Stück, und Gioia Marischka, Anjuska Velarde Ramos und Judith Seibert sind starke Tänzerinnen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Dominik Halamek und Judith Seibert bringen das Tanztheater "Malala" um den todesmutigen Kampf einer pakistanischen Schülerin gegen die Taliban auf die Bühne. Mit 2-G-plus bleibt der "Hinterhalt" aber fast leer.

Von Susanne Hauck, Geretsried

Eigentlich ein toller Abend, wäre da nicht so gähnende Leere in der Kulturbühne "Hinterhalt". Die Tänzerinnen performen vor kaum einem Dutzend Zuschauern (aber immerhin vor dem Auge der Kamera, die das Stück für den "Hinterhalt"-Kanal aufzeichnet), das von Familienangehörigen und der Presse bestritten wird. Jugendliche, für die das Stück "Malala" eigentlich gedacht ist? Fehlanzeige. Die Hygieneregel 2-G-plus ist ein schwerer Schlag für die Kulturszene, auch wenn sie wohl unumgänglich ist. Aber offenbar hat kaum ein Geimpfter Lust, den Extra-Aufwand zu betreiben und sich unter Aufsicht am Eingang testen zu lassen, nur um sich einen netten Abend zu machen.

Kaum zu glauben, aber in der 30-jährigen Geschichte der Kulturbühne gab es bislang noch nie ein Tanztheater. Das geht nicht, fand Chefin Assunta Tammelleo und wandte sich deswegen an den Lokalmatador in Sachen Tanz, Dominik Halamek. Und so konnte am Samstag die erste Vorstellung im Rahmen des Pipapo-Festivals Premiere feiern.

Allerdings war der Abend mit dem Titel "Tanztheater von und mit Dominik Halamek" etwas zu vollmundig angekündigt. Halamek stand nur einmal auf der Bühne, und zwar, als es darum ging, das Publikum zu begrüßen. Der "Hinterhalt" und seine besondere Aura hätten ihn wahnsinnig beeindruckt, schwärmt er, die Kreativität sei sofort zu spüren gewesen. "Ich bin richtig verliebt", gesteht er später. Für ihn sei sofort klar gewesen: "Hier muss Tanztheater passieren." Das Stück "Malala" choreografierte jedoch nicht Halamek, sondern die Münchner freie Tänzerin und Tanzlehrerin Judith Seibert, mit der er seit der gemeinsamen Zeit an der Münchner Oper eng zusammenarbeitet.

Das Thema könnte angesichts der erschütternden Lage in Afghanistan und der Machtaneignung der Taliban nicht aktueller sein. Seibert setzt die wahre Geschichte des pakistanischen Mädchens Malala auf beeindruckende Weise in ein Tanzstück für ältere Kinder und Jugendliche um, das 2017 uraufgeführt wurde. Die Taliban terrorisieren Pakistan und verbieten den Mädchen den Schulbesuch. Als die 15-jährige Malala sich davon nicht einschüchtern lässt, stoppen die Taliban-Kämpfer den Bus, in dem sie auf dem Weg nach Hause sitzt, und schießen ihr in den Kopf. Sie überlebt schwer verletzt. Von England aus kämpft sie seitdem weiter für das Recht von Frauen auf Bildung, wofür sie 2014 den Friedensnobelpreis erhielt.

Das einstündige Stück hat viele starke Szenen, die den Zugang zu dem schwierigen Stoff erleichtern. Gioia Marischka zeigt in der Titelrolle, was sie kann, die Parts der anderen Figuren - Mitschülerinnen, Taliban und englische Doktoren - tanzen Anjuska Velarde Ramos und Judith Seibert auf gleich hohem Niveau und mit beeindruckender Kondition. Schon der Einstieg ist virtuos, wenn die drei als pakistanische Mädchen in schwarzen Pumphosen und bunten Schleiern zu orientalischer Musik, die mit modernen Beats versetzt ist, dynamisch und graziös zugleich über die Bühne wirbeln. Tanz- und Sprechszenen wechseln sich ab, sodass der rote Faden der Handlung nie verloren geht.

Nach der Darbietung sagt Halamek zur Corona-Lage: "Auch mir fällt das Kämpfen jetzt schwer. Aber wir spielen auch für fünf, und ich lasse mir den Glauben nicht nehmen." Der Tänzer und Choreograf sprudelt über vor Ideen, die "Hinterhalt"-Bühne mit ihrem intimen Charakter hat es ihm angetan. "Man ist so nah am Publikum, das gefällt mir besonders." Am liebsten würde er hier eine neue künstlerische Reihe entwickeln, und ein bis zwei Mal im Jahr zeitgenössisches und experimentelles Tanztheater etablieren. Auch sonst ist er kreativ wie eh und je, gerade entsteht die "Rocky Horror Picture Show auf Bairisch".

Mehr zu Pipapo unter hinterhalt.de/events

© SZ vom 29.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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