Kabarett im Geltinger "Hinterhalt":Tote hier, Waterside Living da

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Max Uthoff wird schon vor der ersten Pointe heftig bejubelt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Max Uthoff streift in seinem neuen Programm "Alles im Wunderland" durch eine Welt voller Gegensätze, Absonderlichkeiten und Paradoxa.

"Alles im Wunderland" heißt das ganz neue Programm von Max Uthoff, das er am Mittwoch im Rahmen des Pipapo-Festivals des Kulturvereins Isar-Loisach präsentiert. Uthoff ist einer der ganz Großen im deutschen Kabarett. Wer kennt ihn nicht aus dem Fernsehen, wo er zusammen mit Claus von Wagner die ZDF-Sendung "Die Anstalt" macht. Der "Hinterhalt" ist eine seiner ersten Stationen, eine große Sache für die Kleinkunstbühne, die denn auch restlos ausverkauft ist.

Uthoff betritt unter großem Jubel die Bühne. Der 56-Jährige, der darüber lacht, dass er noch vor zehn Jahren den Kabarett-Nachwuchspreis bekommen hat, bekennt sich zur Midlife-Crisis. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 78 Jahren habe er noch 7972 Tage vor sich, so begrüßt er launig die Zuschauer, es könne auch kürzer dauern, falls er im Lotto gewänne und an einer Tauchexpedition zur Titanic teilnähme. Die ersten Lacher.

Neulich wurde er von seiner Tochter darüber belehrt, was ein Moshpit ist, eine Art Kreistanz von Konzertbesuchern. Die wenigsten im Saal dürften wissen, was das ist, aber die Kernfrage, wie viel Zeit im Leben noch verbleibt und wofür man sie verschwendet, die treibt wohl auch sie um - und ob man all die ungelesenen Bücher, die sich daheim stapeln - in Uthoffs Fall sind es angeblich 287 Stück - überhaupt noch schafft.

Alles auf den Punkt gebracht

Nach dem Einstieg geht es fast zwei Stunden lang Schlag auf Schlag. Alle bekommen was ab, wenn auch meist nur im Streifschuss: Dienstwagenprivileg, Vermögensverteilung, Klimakrise, Social-Media-Hypes, Zuwanderung, Selbstoptimierung, Schulwahnsinn, Pflegeheimelend, Rammstein, Hamas ... Alles ist auf den Punkt gebracht, auf höchstem Niveau, ohne dumme Kalauer, überflüssigen Klamauk und lahme Pausenfüller.

"Alles im Wunderland" hat der Kabarettist sein Programm genannt, in Abwandlung des Kinderbuchklassikers von Lewis Carroll, in dem die Titelfigur Alice in eine Welt der Absonderlichkeiten und Paradoxa hineingerät. Und so bezieht sich der Titel auf all die Widersprüche, die man im Leben aushalten muss und die sich auch nicht auflösen lassen. Wie etwa die Bilder des Flüchtlingselends gegen die Hochglanzfotos der Münchner Luxuswohnungen. "Die Abtrennung von den Elenden und die Abtrennung von denen in Gated Communitys mit Pförtner, die sich vor dem Leben da draußen abschotten", wie es Uthoff formuliert.

Betroffenheit bei den Zuschauern macht sich bemerkbar, als er das Bootsunglück vor Griechenland ins Gedächtnis ruft, bei dem Hunderte Flüchtlinge umkamen. Die meisten von ihnen waren Frauen und Kinder, die deshalb keine Chance hatten, weil sie unter Deck untergebracht waren, wo sie - grausame Ironie - vor Übergriffen der Männer geschützt werden sollten. Er habe damals beim Lesen weinen müssen, gesteht er, aber ausgerechnet in dem Moment sei die Immobilienbeilage mit dem "Real Estate Porno" aus der Zeitung herausgefallen, wo die teuren Objekte Fantasienamen wie Parfums tragen, Wave oder Waterside Living etwa, und wo keine Gegenwart von Menschen die Ästhetik der Computersimulationen entwertet. Es ist ein starker Moment, der Uthoff da gelingt.

Wenn Monika Gruber von der Chaiselongue fällt

Und immer wieder legt er den Finger in die Wunde, dass die Menschen es sich zu bequem machen und Veränderungen oder Mehrdeutigkeiten nicht aushalten können oder wollen. Wie Monika Gruber. Wenn jemand in Berlin mit seinem zugeordneten Geschlecht nicht glücklich ist, "dann rutscht die 600 Kilometer weiter in Erding vor Schreck von der Chaiselongue".

An politischen Figuren beißt sich Uthoff diesmal nicht fest. Aiwanger, Söder, Wagenknecht, Spahn, die AfD-Leute bekommen mal schnell was auf die Mütze, dann wendet er sich dem nächsten Thema zu. Merz wird nie Kanzler, weil "Hendrik Wüst die besseren Anzüge hat". "Kanzler Olaf der Monotone" und die SPD müssen sich für die restriktive Flüchtlingspolitik schämen. Die FDP ist eh nur Zeitverschwendung.

Es ist ein Mammutprogramm, durch das Uthoff fast zwei Stunden lang wie ein Expresszug rauscht - ohne Zettel, ohne Einspieler, ohne Accessoires als Gedankenstütze, eine Meisterleistung an scharfzüngigen Beobachtungen, die nur so sprudeln. Nicht alle im Publikum kommen bei dem Tempo mit. Man möchte am liebsten den Finger heben und halt, halt rufen oder die Stopptaste drücken, um sich die eine oder andere messerscharfe Formulierung noch einmal zu Gemüte zu führen. Aber das geht leider nicht.

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