Aus dem Entwicklungs- und Planungsausschuss Geretsried:Hier schnarcht der Amtsschimmel

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Im "Rechtsdschungel", wie Bürgermeister Michael Müller es nennt, sammelt sich oft eine Menge Papier an. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Veränderungen an einem Bebauungsplan können nach öffentlicher Auslegung ein dickes Paket an Bürokratie nach sich ziehen.

Von Felicitas Amler, Geretsried

Selten genug nimmt an den Sitzungen des Geretsrieder Stadtrats und seiner Ausschüsse Publikum teil. Wenn, wie es am Dienstag der Fall war, ein halbes Dutzend am Rand des Saals sitzt, kann man sicher sein, dass persönliche Anliegen der Leute auf der Tagesordnung stehen. Diese wiederum werden nicht unbedingt zu Beginn abgehandelt, also heißt es schon mal warten. Und am Dienstag war diese Wartezeit im Entwicklungs- und Planungsausschuss derartig spannend, dass von den Seitensitzen plötzlich laut und vernehmlich ein Schnarchen zu hören war. Einem der Zuhörer war der Kopf in den Nacken gefallen und er war selig entschlummert.

Kein Wunder, ging es doch um ein Bündel von Einwänden und Stellungnahmen zu einigen Veränderungen am Bebauungsplan "Wohnen an der Banater Straße" (Heizen mit Pellets, neue Freiflächenplanung). Dieses ausgetüftelte Für und Wider misst, auf DIN-A-4-Papier ausgedruckt und übereinandergestapelt, stolze 4,5 Zentimeter in der Höhe, wie Stadtbaurat Rainer Goldstein zum Einstieg darlegte. Und obwohl er anschließend nur die wichtigsten Punkte einigermaßen konzis vortrug, dauerte es nahezu eine Stunde, bis abgestimmt werden konnte.

Dabei kamen frappante Studien, bizarre Normvorschriften und akribisch-detaillierte Untersuchungen zur Sprache. So sind laut Bundesbodenschutzgesetz "Schichtdicken" zu beachten. Die Bahn fordert "Sichtdreiecke" ein. Eine "mikroskalige Klimasimulation" war zu begutachten, und die brennende Frage der "bodennahen Durchlüftung" wurde erörtert. Eindrucksvoll auch die Beschreibung des "kleinräumigen bodennahen Strukturwindsystems", was allerdings in seiner Bedeutung noch übertroffen wurde von der "Fließpfadanalyse". Nicht zu vergessen die "tieffrequenten Schallübertragungen" und zu guter Letzt die "Körperschallentkoppelung".

Nun hatte Goldstein all dies keineswegs zur ironischen Unterhaltung der Stadträtinnen und -räte vorzutragen. Vielmehr betonte er, das "Abwägungskonvolut" sei aus Gründen der Rechtssicherheit mit Sorgfalt zu behandeln. Und Bürgermeister Michael Müller (CSU) wurde ebenfalls sehr ernst, als er zusammenfasste: "Willkommen im ganz normalen Bürokratiewahn in Deutschland!" Derartige Verfahren ließen sich längst nicht mehr ohne Rechtsbeistand abwickeln, sagte er. Denn es werde zwar allenthalben bekundet, dass Bürokratie abgebaut werden müsse, aber: "Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer."

Müller räumte ein, die Abstimmung über derartig komplexe Sachverhalte sei für ehrenamtliche Stadträtinnen und -räte "eine Zumutung". Diese hätten im "Rechtsdschungel" über etwas zu entscheiden, was sie verständlicherweise gar nicht mehr überblicken könnten. Niemand widersprach. Und einstimmig wurde den Abwägungen des Bauamts zugestimmt. Die Formulierung im Beschluss, wonach sich der Ausschuss "die beigefügte Abwägungsvorlage einschließlich der dort beigefügten Anlagen zu eigen" macht, entlockte dem Bürgermeister dann doch ein ironisches Räuspern. Und die gute Nachricht: Das Ganze muss zum endgültigen Beschluss ohnehin noch einmal im Plenum des Stadtrats vorgetragen und final abgestimmt werden. Schnarch.

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