Glentleiten:Der Klang der Feuchtwiese

Lesezeit: 3 min

Die Vielfalt und das Leben drohen aus unserem natürlichen Umfeld zu verschwinden. Das lässt sich in der Ausstellung "Land.schafft.Klang" eindrücklich erfahren. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Lage der Artenvielfalt ist alarmierend, global gesehen genauso wie mit Blick auf Bayerns Kulturlandschaften. Die Wanderausstellung "Land.schafft.Klang" illustriert die Entwicklung akustisch und eröffnet damit die neue Saison des Freilichtmuseums Glentleiten.

Von Paul Schäufele, Großweil

Nicht größer als ein Körnchen Schwarzkümmel und optisch einem solchen auch nicht unähnlich: Die Ruderwanze ist - im Verhältnis zu ihrer Körpergröße - das weltweit lauteste Tier. Durch Einsatz seiner Geschlechtsteile schafft es das Männchen auf die Lautstärke eines Symphonieorchesters, wovon man sich an einer der Medienstationen auf der Glentleiten selbst überzeugen kann. Denn die neue Ausstellung des Freilichtmuseums, die den Namen "Land.schafft.Klang" trägt und am Samstag eröffnet wird, lädt zum Lauschen ein. Wie klingt eine Feuchtwiese? Was sagt der Klang über den ökologischen Zustand aus? Die intelligent kuratierte und originell präsentierte Ausstellung beantwortet diese und andere Fragen in einem Netz aus Verweisen zwischen wissenschaftlicher Information und künstlerischer Erfahrung.

Damit hätte sich Museumsdirektorin Julia Schulte to Bühne keine bessere Ausstellung zum Beginn der neuen Saison im Freilichtmuseum wünschen können. Denn "Land.schafft.Klang" markiert den Nachhaltigkeits-Schwerpunkt des Museums, der auch in anderen Ausstellungen sichtbar werden soll. Von Mitte Juli an widmet sich die Ausstellung "Tierisch nützlich - der Mensch und sein Vieh" der Geschichte des Nutztiers und seiner (art-)gerechten Haltung. "Aufessen, um zu bewahren", wie Schulte to Bühne pointiert. Auch die nur wenige Tage nach der Ökoakustik-Ausstellung startende Schau "Gerettet" (Eröffnung am Dienstag, 26. März), in der die Sammlung des Zentrums für Trachtengewand nach dem Hagelschaden im Kloster Benediktbeuern eine neue Bühne bekommt, wendet sich punktuell dem Thema Nachhaltigkeit in Tracht und Mode zu.

Die Gäste dürfen sich durch große Bambusstangen bewegen und in die Welt der Öko-Akustik eintauchen. (Foto: Manfred Neubauer)
Die Klangerfahrung soll die Problematik des Artensterbens "vom Kopf ins Herz bringen". (Foto: Manfred Neubauer)

Doch erst einmal dürfen sich Besucherinnen und Besucher von "Land.schafft.Klang" in die Welt der Öko-Akustik versenken, die Klänge der Biophonie genießen und dabei auch einen Perspektivwechsel einnehmen. Die Gestalter Katharina Kuhlmann und Alfred Küng haben bewusst zahlreiche meterlange Bambus-Stäbe integriert. Man fühlt sich kleiner, quasi selbst als Käfer zwischen Grashalmen. In einer Reihe von Einzelstationen, die auf bestimmte Aspekte der Thematik von Mensch und Kulturlandschaft als akustisches Phänomen eingehen, können die Besucherinnen und Besucher direkt vergleichen, wie eine Streuobstwiese klingt (laut und vielfältig) im Gegensatz zu einer intensiv genutzten Vielschnittwiese (bestürzend still). Die Aufnahmen stammen von Charles Kenwright, der mit dem Mikrofon in der Hand die Wiesen abgehört hat.

Jährlich sterben 27 000 Arten aus

Verbindendes Thema der Stationen ist neben dem akustischen Erlebnis die Biodiversität, die auf diese Weise ganz direkt, sinnlich erfahrbar wird. "Wir wollten das Thema vom Kopf ins Herz bringen", sagt Lioba Degenfelder, die Initiatorin des Projekts. Das hat ihr Team, unterstützt von der Umweltethnologin Laura Kuen, geschafft. Zwar werden auch die Fakten präsentiert - jährlich sterben 27 000 Arten aus -, doch keine der Statistiken bleibt bei der Präsentation bloßen Zahlenmaterials stehen. Eine eindrucksvolle Umsetzung des Themas, die aufs Schönste die Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft zeigt, ist eine Station, an der Tierarten auf Kärtchen gedruckt in Reihen gehängt sind. Es sind Totenzettel, denn Kiebitz und Geburtshelferkröte stehen auf der Roten Liste gefährdeter Arten. Passend dazu leuchtet in der Mitte der Installation ein Ewiges Licht.

Lioba Degenfelder (links) hat die Ausstellung konzipiert. Zur Eröffnung sprachen auch Museumsleiterin Julia Schulte to Bühne und Rudolf Neumaier vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege. (Foto: Manfred Neubauer)

Musik dazu hat Evi Keglmaier komponiert, einen melancholischen Abschiedsgesang für Tierarten, die in der Natur schon verstummt sind oder bald verstummen könnten. In ihrem "Requiem für verschwundene Arten" kombiniert Keglmaier Aufnahmen der Tiere mit Tönen klassischer Instrumente wie Hackbrett und Bratsche. "Dazu hab' ich erst mal die verschiedenen Geräusche sortiert, nach Flötenartigem, Zirpen und so weiter", erklärt sie. Später habe sie die Klänge letztlich so ausgewogen einzusetzen versucht wie in einem traditionellen Ensemble. Bei der Finissage am Sonntag, 23. Juni, wird die Komponistin selbst spielen, unterstützt von der Sprecherin Ruth Geiersberger.

Die Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Bayerischen Landesverein für Heimatpflege, dessen Geschäftsführer Rudolf Neumaier die Einzigartigkeit des Unterfangens betont: "In den 122 Jahren des Vereins gab es so etwas noch nie, eine Ausstellung, die sich mit dem Thema Kulturlandschaft auseinandersetzt." Die Begeisterung wird noch gesteigert durch die Mobilität des Projekts. "Land.schafft.Klang" ist eine Wanderausstellung, die etwa zweieinhalb Jahre lang durch die bayerischen Regierungsbezirke touren wird.

Damit wird die Universalität des Themas betont. Die Biodiversität ist überall bedroht. Wer sich auf die Hörerfahrung der Ausstellung "Land.schafft.Klang" einlässt, wird es in der Folge nicht mehr ausblenden können, wenn die Wiesen immer stiller werden. "Man hört viel mehr hin", sagt Laura Kuen und deutet an, dass das eine zugleich erfüllende wie schmerzvolle Erfahrung sein kann: zu erkennen, wie eine Wiese klingt, sich an den Tönen des Tier-Orchesters zu freuen, aber gleichzeitig zu wissen, dass dieselbe Wiese vor fünfzig Jahren noch eine Vielzahl an weiteren Registern bespielen konnte.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: