Festakt in Wolfratshausen:Jubiläum in schwierigen Zeiten

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Buntes Fahnenmeer: die Tischdekoration beim Festakt der Europa-Union in der Wolfratshauser Flößerei. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die 70-Jahr-Feier des Kreisverbands der Europa-Union steht im Zeichen großer Konflikte und Herausforderungen.

Von Arnold Zimprich, Wolfratshausen

Seit 70 Jahren gibt es den Kreisverband Bad Tölz-Wolfratshausen der Europa-Union. Doch die Stimmung der Mitglieder und Freunde angesichts des Jubiläums ist nur bedingt feierlich. Beim Festakt im Wolfratshauser Gasthof Flößerei am Montag gab es jedenfalls ein zweigeteiltes Bild: Auf der einen Seite erinnerte der langjährige Kreisvorsitzende Jürgen Göbel mit einem Bildervortrag an die vielen Festivitäten, Ausflüge sowie Veranstaltungen mit prominenten Rednerinnen und Rednern; auf der anderen Seite mahnte der aktuelle Kreisvorsitzende Alexander Lippert, dass "das Trauma des Zweiten Weltkriegs gerade erst hinter uns lag", als der Kreisverband der Europa-Union am 26. September 1953 gegründet wurde - und der Frieden in Europa auch heute wieder bedroht ist.

Die Euphorie der europäischen Erfolgsgeschichte, die etwa die Römischen Verträge 1957 und der Vertrag von Maastricht 1992 entfacht haben mögen, ist mittlerweile gedämpft. "Das Umfeld, in dem wir uns bewegen, hat sich gewandelt", sagte Lippert. Nicht erst seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 sei Russland zum "Unsicherheitsfaktor" geworden, der Brexit 2016 und die Jahre der Trump-Administration in den USA hätten ihr Übriges getan. Als weitere Herausforderungen kämen die Klimakrise und der Aufstieg der BRICS-Staaten hinzu. "All das hat seine Spuren bei uns hinterlassen. Wir haben schon viel erreicht, aber es gibt noch viel zu tun", sagt Lippert. "Die Hauptaufgabe bleibt die Wahrung des Friedens."

"Die Hauptaufgabe bliebt die Bewahrung des Friedens", sagt der Kreisvorsitzende Alexander Lippert. (Foto: Hartmut Pöstges)

Als Festredner hatte der Kreisverband Bernd Posselt eingeladen. Der CSU-Politiker Posselt war von 1994 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments, ist Präsident der Paneuropa-Union Deutschland und Vorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft. In seiner Rede ging er auf die eigene Kindheit ein: "Krieg und Vertreibung saßen immer mit am Tisch", sagte Posselt. Er habe eine "anti-nationalistische Erziehung" genossen und 1991, als er in Slowenien tätig war, den "Angriffskrieg des Milosevic-Regimes" erlebt. "Es sind Freunde von mir an der Front gefallen", erzählte Posselt. "Ich musste mich als Vertriebener um Vertriebene kümmern."

Sein Fazit fiel pessimistisch aus: "Ich hatte nie die Illusion, dass es vorbei ist mit Krieg und Vertreibung", betonte Posselt. "Krieg ist der Normalzustand und Frieden die Ausnahme, das ist die Erkenntnis, wenn man sich mit Geschichte beschäftigt." Darum sei es wichtig, dass sich "jede Generation den Frieden wieder erkämpft".

Posselt erinnerte an eine Rede, die er 1999 im Europaparlament gehalten habe. "Ich habe damals schon gesagt: Putin wird seine stärkste Waffe einsetzen, Energie, Gazprom." Den zweiten Tschetschenienkrieg bezeichnete er als "blutigsten Wahlkampf der Welt". Als anti-russisch wollte sich der 67-Jährige aber nicht bezeichnen lassen. "Putin ist anti-russisch", sagte Posselt und listete auf, wie viele seiner Journalistenfreunde nicht mehr lebten, darunter Anna Politkovskaya und Boris Nemzow. Die 2002 im Bundestag gehaltene Rede Putins sei nichts weiter als eine Schmeichelei gewesen, um Deutschland und Frankreich auseinanderzutreiben und das transatlantische Bündnis zu gefährden.

Festakt mit Harfe: Die Gäste beim Festakt der Europa-Union. (Foto: Hartmut Pöstges)

Als "Meilenstein" bezeichnete Posselt hingegen das Memorandum von Budapest 1994, in dem der Ukraine, Weißrussland und Kasachstan im Zuge deren Beitritts zum Atomwaffensperrvertrag von den Schutzmächten Russland, den USA und Großbritannien Sicherheitsgarantien gegeben wurden. Es habe Hoffnung auf eine "friedliche Nachbarschaft" gemacht.

Verheerend sei auch die Lage im Nahen Osten. "Was sich im Moment abspielt, ist atemberaubend", sagte Posselt mit Blick auf den israelisch-palästinensischen Krieg. "Es ist eine unglaublich gefährliche Situation. Was alles an Chancen zerstört worden ist in Gaza!" Europa sei unmittelbar mit mehreren Kriegen und "Frozen Conflicts" wie in Nordmazedonien konfrontiert. Dem Jahr 2024 sehe er daher alles andere als gelassen entgegen. Am 9. Juli fänden die EU-Wahlen statt, dazu kämen die US-Wahlen im November. Die EU müsse endlich weg vom "unseligen Einstimmigkeitsprinzip", sagte der gebürtige Pforzheimer mit Blick auf Ungarn, das aufgrund seiner Sympathien für Russland maßgebliche Entscheidungen blockiere und verzögere.

Im Herbst 2024 sei es 70 Jahre her, dass Pläne für ein europäisches Verteidigungsbündnis scheiterten, erinnerte Posselt - und sprach sich für eine europäische Armee und mehr "präventive Diplomatie" aus. "Es ist höchste Zeit, dass etwas getan wird." Man sei "am Anfang einer vollständig neuen Weltordnung", auch Deutschland müsse Geopolitik wieder lernen. "Die Naivität, bei der Verteidigung auf die USA zu vertrauen, sollte aufhören."

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