Europawahl im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen:Stark, friedlich und geeint

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Für Alfred von Hofacker ist die Europäische Union der Schlüssel zum eigenen politischen Engagement. Der Sohn des Hitler-Attentäters Caesar von Hofacker warnt vor Nationalismus und Rechtspopulismus.

Von Susanne Hauck, Icking

Europa - das ist mehr als ein Wort, jedenfalls für den Ickinger Juristen Alfred von Hofacker. Es ist ein Schlüssel der Verheißung, der ihm in seinem Leben neue Türen aufgesperrt hat. "Europa war die Initialzündung für mein politisches Bewusstsein", blickt Hofacker nachdenklich zurück. "Ohne die Idee eines geeinten, friedlichen Kontinents hätte ich mich nie politisch engagiert." Hofacker ist der Sohn des Widerstandskämpfers Caesar von Hofacker, der maßgeblich am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt war und von den Nazis deswegen hingerichtet wurde.

Die extremen Auswüchse des Nationalismus unter Hitler haben der Familie tiefe Wunden zugefügt. Nach der Festnahme des Vaters rächten sich die Nazis an den Angehörigen mit Sippenhaft: Der neunjährige Alfred und eine jüngere sowie eine ältere Schwester kamen in ein Kinderheim im Harz, die Mutter und zwei ältere Geschwister wurden in Konzentrationslager verschleppt. Erst nach Kriegsende fanden die Hofackers wieder zusammen.

Befreit war er, und doch nicht frei: Das Ringen um die eigene Identität in einer Nachkriegsgesellschaft, in der die "Verräterkinder" noch lange Zeit gebrandmarkt wurden. Das schmerzhafte Aushaltenmüssen der Widersprüchlichkeit des Vaters, der vor dem Gang in den Widerstand ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus gewesen war. Und immer wieder die Auseinandersetzung mit Deutschland. Mit einem Wort wie "Vaterland" konnte Hofacker lange Zeit nichts anfangen. "Dieser Begriff war für mich und für viele meiner Generation negativ besetzt, wir hatten das Gefühl, er ist missbraucht und mit Füßen getreten worden."

Als junger Mann wollte er deshalb von der Politik nichts wissen. Er fing an, Jura zu studieren, zunächst in München, dann wechselte er in das kleine Tübingen. Mitte der Fünfzigerjahre war das. Eines Tages nahm ihn jemand auf ein Treffen der Bürgerinitiative "Europa-Union" mit, wo er sich endlich zugehörig fühlte, endlich politische Wurzeln schlug. Er lernte andere junge Menschen kennen, die überzeugte Europäer waren. "Das war das Schlüsselerlebnis für mich."

Hofacker, 84 Jahre, war jahrzehntelang SPD-Mitglied und zwölf Jahre lang Mitglied des Ickinger Gemeinderats, nur eines seiner zahlreichen Ehrenämter, die er im Lauf seines Lebens ausübte. Der Rechtsanwalt im Ruhestand lebt in Irschenhausen. Zusammen mit seiner Frau betreut er Flüchtlingsfamilien. Und er nutzt jede Gelegenheit, als Zeitzeuge vor Schulklassen zu sprechen und vor den Gefahren des Nationalismus zu warnen.

Im Juli jährt sich das Hitler-Attentat zum 75. Mal. Schon zum letzten Jahrestag schalteten 400 Nachkommen der verschiedenen Widerstandsgruppen eine aufsehenerregende Anzeige auf der Titelseite des Berliner "Tagesspiegel". Mit Blick auf die Rückwärtsentwicklung der Demokratie und den erstarkenden Rechtspopulismus meldeten sie sich mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für ein gemeinsames Europa zu Wort und beschworen das Vermächtnis ihrer Vorfahren. "Wir möchten an diesem Tag an den Mut und die visionäre Kraft unserer Eltern, (Ur)-Großeltern, Onkeln und Tanten erinnern und hoffen, dass nationale Alleingänge nicht das geeinte, starke, friedliche Europa gefährden, das sie für sich, uns und unsere Kinder erhofft hatten", heißt es in dem Beitrag.

"Natürlich habe ich diesen Appell aus tiefer Überzeugung mit unterschrieben", sagt Hofacker. Dass Europa vor so einer Zerreißprobe steht, bekümmert ihn zutiefst. Den nationalistischen Strömungen steht er äußerst skeptisch gegenüber. Für ihn gefährden sie das "europäische Haus", da sie das Fundament in Frage stellen. Eine mögliche Lösung sieht er im Schulterschluss der großen demokratischen Parteien: "Sie müssen in der Abwehr von populistischen Strömungen über die Parteigrenzen hinweg mehr Geschlossenheit an den Tag legen."

Das heißt aber keineswegs, dass Alfred von Hofacker der Europäischen Union kritiklos gegenübersteht. Dass der Ministerrat, in dem alle 28 Mitgliedsländer vertreten sind, über notwendige Reformen nur einstimmig entscheiden kann, mache es so schwierig, etwas zu verändern, so merkt er an. Und dass gerade die ehemaligen Ostblockstaaten wie Ungarn und Polen heute so negativ durch ihren Nationalismus auffallen, wundert ihn nicht. Denn er ist davon überzeugt: "Es war ein Fehler, diese Länder aus ökonomischen und verteidigungspolitischen Interessen so früh in die EU aufzunehmen, sie hätten nach der Loslösung von der Sowjetunion mehr Zeit gebraucht, ihre eigene Identität zu entwickeln."

Ein schöner Umstand der Geschichte ist es, dass die Entschädigung, die er als Verfolgter des NS-Regimes bekam, quasi die Eintrittskarte für Europa war. Das Geld benutzte er nämlich dafür, sich einen gebrauchten VW-Käfer zu kaufen. Und damit 1959 mit seiner Frau zu einer vorgezogenen Hochzeitsreise nach Spanien und Frankreich aufzubrechen.

© SZ vom 03.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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