Einzigartiger Laden in Bad Tölz:Darauf einen Riga Black Balsam

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In Bad Tölz hat sich Sandra Balcere einen Traum erfüllt: ein Geschäft mit Spezialitäten aus ihrer baltischen Heimat. Der einzige Laden in ganz Deutschland mit lettischer Feinkost lockt Kunden aus Nah und Fern an.

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Die kleinen, orange-verpackten Riegel aus dem Kühlregal schmecken für Sandra Balcere nach Kindheit: Frischer Quark, Vanillearoma, umhüllt mit Schokolade. "Karums" heißen die süßen Verführer. "Sehr klein, aber sehr viele Kalorien," sagt die 46-Jährige und lacht. "Lettische Leute lieben sie". Vor allem aber das Brot, schwarz wie die Nacht, aus Roggen und mit Malz, das am besten nur mit Butter schmeckt. Weil Balcere fand, dass die Leute im Oberland dieses lettische Brot unbedingt kennenlernen müssen, hat sie Anfang Mai einen kleinen Laden in der Tölzer Badstraße aufgemacht. Den einzigen Laden mit ausschließlich lettischen Lebensmitteln in ganz Deutschland, wie sie stolz erzählt.

Lettland? Ein eher unbekanntes Terrain, auch kulinarisch. Balcere reicht Kostproben von gerösteten Bohnen und getrockneten Früchten ohne Zucker, die gewalzt sind wie Bandnudeln. Es gibt Obstsäfte, die eine Bekannte aus ihrem Dorf macht, einen ganz speziellen Kümmelkäse, Elchpasteten, geräucherte Hähnchen oder Wolfsbarsche. Geräuchertes steht in Lettland ganz oben auf dem Speiseplan. Vieles ist hausgemacht und "natural", wie Balcere sagt, kräftig und ohne Chichi. Ihre Produkte werden ausschließlich in Lettland produziert, einmal im Monat kommt eine Lieferung. Die 46-Jährige - dunkler Kurzhaarschnitt, bunt lackierte Fingernägel - ist in einem kleinen Ort in der Nähe der Hafenstadt Liepaja an der Ostsee aufgewachsen. Von ihrer Heimat erzählt sie wenig; viel Grün, die Leute hielten oft Schafe und Ziegen zur Selbstversorgung. Arbeit gebe es wenig. Vor allem die Jungen zieht es deshalb fort. Auch Balcere, die mit ihrer Mutter nach Dublin zog und Arbeit als Supervisorin in einem 4-Sterne Hotel fand. Ihre Tochter Selena ist dort geboren. Aber weil das Wetter in Irland schlecht sei, "viel Regen", und ihre Tochter unter Asthma litt, habe ihr der Doktor geraten, umzuziehen. Ihre Cousine lebt in München, die Berge und das Klima, das habe ihr sehr gefallen. "An meinem 40. Geburtstag habe ich gedacht, es ist Zeit für einen Wechsel", erzählt sie. Balcere suchte Arbeit, fand einen Job als Kellnerin im "Alten Wirth" in Gelting, 2016 wechselte sie zum "Binderbräu" nach Bad Tölz. Deutsch, das sie recht gut spricht, habe sie quasi "auf der Straße" gelernt. Mit dem "Latvian Food Shop" hat sich Balcere einen lang gehegten Traum erfüllt. Ein eigener Laden, den sie noch um den Raum im Souterrain erweitern will. Denn das Geschäft läuft gut. Bereits zur Eröffnung, die sich wegen Corona und diverser Formalitäten länger hinzog als geplant, seien viele Leute gekommen: Aus München, wo es eine lettische Community gebe; manche seien 300, 400 Kilometer weit angereist, weil sie auf Facebook Werbung gemacht habe. "Ich warte seit 20 Jahren auf diesen Laden", das habe eine Landsmännin aus München bei der Eröffnung gesagt. Aber auch Tölzer, die sie vom "Binderbräu" kennen, schauen vorbei.

Lettisches Essen genieße im baltischen Raum einen guten Ruf. "Viele Russen sagen: Das beste Essen kommt aus Lettland", erzählt Balcere. Qualität ist ihr wichtig. Viele ihrer Produkte sind bio, einige mit dem "Grünen Löffel", einem lettischen Qualitätssiegel, ausgezeichnet.

Seit 2004 ist Lettland, das an Estland, Russland, Weißrussland und Litauen grenzt, in der EU, seit 2014 auch Mitglied der Eurozone. Knapp zwei Millionen Menschen leben in dem baltischen Land, das flächenmäßig kleiner als Bayern ist. Im Winter kann es bis zu minus 30 Grad kalt werden, erzählt Balcere, im Sommer 40 Grad heiß. Einige ihrer bayerischen Kunden hätten schon einmal Urlaub in Lettland gemacht, hat sie erstaunt festgestellt. Und es gebe auch junge Deutsche, die in Riga Medizin studieren, weil sie zuhause keinen Studienplatz bekommen. Einmal im Jahr schickt Balcere die inzwischen zehnjährige Selina, die akzentfrei deutsch spricht, für einen Monat in die alte Heimat. "Damit sie die Sprache nicht verlernt." Aber ihr Zuhause sei jetzt Bad Tölz, hier wollen sie bleiben. Zum Abschied holt Balcere schnell noch eine schwarze Flasche aus dem Regal: "Riga Black Balsam", einen lettischen Kräuterlikör, der in ihrer Heimat sehr beliebt sei. "Jeden Morgen ein Schlückchen, dann bleibt man gesund", sagt sie und schmunzelt.

© SZ vom 10.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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