Porträt:"Man ist nie fertig. Nie!" 

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Als Fünfjähriger schlich Josef Zilch heimlich zum Klavier. Mittlerweile testet er seit 90 Jahren aus, was sich mit den weißen und schwarzen Tasten alles anstellen lässt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Josef Zilch ist 95 Jahre alt und spielt nach wie vor fast jeden Tag Klavier. Ein Herzensanliegen des in Egling lebenden Komponisten ist es, dass auch junge Menschen Musik machen.

Von Enno Lug, Egling

Josef Zilch sitzt am Flügel im Wohnzimmer seines Hauses in Neufahrn bei Egling. Er klappt den Deckel auf, wirft einen Blick auf die Bilder seiner verstorbenen Frau, die vor ihm auf dem Instrument stehen, und beginnt zu spielen - mit einer Fingerfertigkeit, für die ihn viele Jungpianisten beneiden würden. Dabei ist er vor Kurzem 95 Jahre alt geworden. Trotzdem sitzt er noch fast täglich vor den Tasten. Die Noten lässt er inzwischen weg, er improvisiert gerne. Oft sei er gefragt worden, wie er seine Fertigkeiten erlernt habe. Die Antwort sei immer die gleiche gewesen: "Üben, üben, üben!"

Geboren wurde der Komponist und Dirigent am 29. Mai 1928 in der Stadt Schwandorf in der Oberpfalz. Seine Mutter war Geschäftsfrau, sein Vater Beamter. "An Geld mangelte es uns nicht", sagt Zilch. An seine erste richtige Begegnung mit einem Tasteninstrument erinnert er sich noch gut. "Als ich fünf Jahre alt war, stellten sich meine Eltern ein schwarzes Klavier ins Wohnzimmer". An das habe er sich nachts heimlich gesetzt und an den Tasten herumprobiert. Schließlich steckten ihn seine Eltern in den Klavierunterricht ins benachbarte Dominikanerkloster. "Ich war begabt, aber faul", erinnert sich Zilch an seine ersten Jahre als Schüler.

Seine Musikerkarriere nahm dann aber schnell Fahrt auf. Mit zehn Jahren spielte er bereits seine erste Maiandacht - und bekam Unterricht von Professor Max Sturm, einem teuren, renommierten Musikpädagogen. Bei ihm lernte er sieben Jahre, bis zu seiner Einberufung. Der Professor entdeckte, dass Zilch über das absolute Gehör verfügt. Sturm war es auch, der Zilch nach dem Krieg, als dieser sich mit Unterhaltungsmusik in amerikanischen Kneipen Geld verdiente, wieder zum Musikstudium brachte. "Er fragte mich damals: Was willst du machen, willst an einer Bar spielen oder doch etwas Gescheites werden?"

Die "Carmina Burana" hat Zilch mehr als 80 Mal dirigiert

Also studierte Zilch an der Hochschule in München Musik auf Lehramt und verdiente am Wochenende mit dem Orgelspiel in der Kirche sein Geld. Bis zu drei Mal spielte er an einigen Sonntagen. Nach dem sehr gut bestandenen Staatsexamen verschlug es ihn als Lehrer an das Gymnasium in Amberg, an dem er unter anderem das Orchester leitete. Auch gründete er dort außerschulisch einen Chor, mit dem er das erste Mal einen Teil der "Carmina Burana" aufführte. Die von Carl Orff vertonten Gesänge liegen ihm am Herzen, mehr als 80 Mal hat er sie dirigiert. "Ich kann sie von vorne bis hinten auswendig spielen", sagt er.

Die Zeitungen seien damals begeistert gewesen, erinnert er sich. "Sie haben geschrieben: Den hält es nicht lang in Amberg". Kurze Zeit nach der ersten Aufführung der "Carmina" stand gleich die zweite an: Beim Verbandstag des Richard-Wagner-Verbandes dirigierte Zilch das Fränkische Landesorchester (heute Nürnberger Sinfoniker) - vor den Augen des Komponisten Carl Orff. "Er lobte mich danach und sagte: So will ich die Carmina haben."

Die Zeitungen sollten Recht behalten. Nach zwölf Jahren am Gymnasium wechselte Zilch 1971 an die Musikhochschule in München und blieb dort 27 Jahre. Schon zwei Jahre nach seiner Ankunft leitete er den Lehrstuhl für Musikpädagogik und Dirigieren. Doch er lehrte nicht nur, sondern dirigierte auch weiter - auch international. "Außer in Neuseeland war ich überall", sagt er. Vor allem in Japan gastierte er oft, war insgesamt 28 Mal dort. Und auch das mit Erfolg: Als erster deutscher Komponist erhielt er an der Kunsthochschule Musashino den Titel "Professors honoris cause". "Ich habe viel Vertrauen erlebt in Japan", sagt Zilch. "Es war beeindruckend. Sie sind unerbittlich fleißig, da war alles picobello organisiert." Er war es, der die Städtefreundschaft zwischen Wolfratshausen und der japanischen Stadt Iruma einfädelte.

Für seine Hubertusmesse bekam er eine Goldene Schallplatte

Für sein Schaffen hat Zilch viele Preise gewonnen. "Ehrgeiz und Applaus spielen eine große Rolle", sagt er lachend. "Da wird man schon unbescheiden." Am meisten aufgegangen sei er immer im Dirigieren. "Wenn man das, was man sich vorstellt, im Klang wiederbekommt, überwältigt das so, dass man aufpassen muss, nicht die Spannung zu verlieren", erinnert er sich. "Und doch: Man ist nie fertig. Nie!" Diese Einstellung verhalf Zilch unter anderem zu einer Goldenen Schallplatte, die ihm für seine Hubertusmesse verliehen wurde. Auch das Verdienstkreuz erster Klasse der Bundesrepublik Deutschland wurde ihm 1991 überreicht. Besonders bewegend sei für ihn auch die Ernennung zum Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Schwandorf gewesen, erinnert er sich.

Für sein Schaffen hat Zilch viele Preise gewonnen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Seit 50 Jahren wohnt Josef Zilch nun schon in Neufahrn. Dort zog er hin, nachdem er die Stelle in München bekam. "Für mich war klar, dass ich aufs Land will, in der Stadt nicht bleiben kann", sagt er. Gleich zu Beginn schloss er mit dem damaligen Bürgermeister einen inoffiziellen, aber folgeträchtigen Handel ab: Zilch bekam das Jagdgebiet an der Schanzenstraße, wenn er dafür sonntags die Neufahrner Orgel spielte. Das macht er nun seit 50 Jahren.

Heute fährt er noch jeden Tag mit einem elektrischem Dreirad durch die Gemeinde oder spielt Schafkopfrunden mit alten Freunden. Zu seinem 95. Geburtstag sammelte er Spenden für den Kindergarten in Neufahrn, 3500 Euro kamen zusammen. Er will, dass die Kinder eine musikalische Früherziehung genießen können, dass sie früh Instrumente in die Hand kriegen. "Kinder kommen auf die Welt und finden von sich aus Melodien", sagt er. Heutige Musik für die Masse hält Zilch vor allem für "Krach" - "nur in Schnulzen, da finde ich noch ab und zu eine Melodie".

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