SZ-Serie Dorfdynastien:Saure Milch für den Kini

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Thomas und Irmgard Sebald führen den Staudachhof in Münsing. Ihre Familienchronik geht fast 400 Jahre zurück. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Familie Sebald ist schon seit dem 16. Jahrhundert in Münsing beheimatet und prägt das Dorf bis heute - nicht nur als Bio-Bauern.

Von Benjamin Engel, Münsing

Auf der Anhöhe südlich der Straße Richtung Ammerland bilden die Kirche Sankt Vitus und der Staudachhof ein kaum zu übersehendes, einheitliches Gebäudeensemble. Was so selbstverständlich zusammenzugehören scheint, bietet Raum für mehr als eine Geschichte. An einen Holztisch bei der Kirche soll einst König Ludwig II. (1845-1886) gesessen und um saure Milch gebeten haben. Die Bäuerin brachte ihm nach der Überlieferung der Familie Sebald das Getränk, beobachtete den bayerischen Monarchen, ohne ihn sofort zu erkennen. "Du bist doch der Kini", soll die Frau schließlich gesagt haben.

Mehr als eineinhalb Jahrhunderte später sitzen Irmgard und Thomas Sebald in der Stube des Staudachhofs. Wer mit den Landwirten die knapp 40 Seiten dicke Chronik auf dem Tisch vor ihnen aufschlägt, kann sich durch fast 400 Jahre Familienhistorie blättern - und stößt so auf die Anekdote mit König Ludwig II. Der Monarch besuchte Staudach öfter, hat für die Kirche Sankt Vitus das Gemälde der 14 Nothelfer gespendet, als Franz Graf von Pocci (1807-1876) den Sakralbau 1861 sanieren ließ. Für das Kirchlein waren die mit den Heiligen bemalten Holztafeln überdimensioniert, wurden geteilt und links und rechts des Langhauses an der Wand platziert.

Dass die heutige Generation der Sebalds so detailreich zurückblicken kann, liegt am geschichtsbegeisterten Großvater. "Er hat jahrzehntelang Urkunden gesammelt", sagt Irmgard Sebald. Auf dieser Basis hat der Sommergast und Oberstudienrat Max Lechner in Archiven weiter recherchiert und Ende der 1960er Jahre die Chronik geschrieben.

Auf dem Staudachhof betreiben Irmgard und ihr 53-jähriger Mann Thomas Sebald eine biologische Landwirtschaft. Um die 70 Kühe hält das Paar. Das Jungvieh wächst in Bairawies auf. Aus dem Ort auf der gegenüberliegenden Isartalseite stammt Irmgard Sebald, sie führt den Bio-Hof ihrer Familie weiter. "Wir haben zwei landwirtschaftliche Ökobetriebe", sagt sie. "Man braucht dafür Idealismus, ist immer gefordert." Schließlich gebe es für einen Landwirt an jedem Tag der Woche etwas zu tun. Beklagen möchte sich aber keiner der beiden Bauersleute. "Es ist ein schönes Leben, man ist selbständig im Umgang mit den Viechern und der Natur."

Während des Dreißigjährigen Krieges im 17. Jahrhundert taucht der Familienname Sebald erstmals in Münsing auf. Der Prälat des damaligen Beuerberger Augustiner Chorherrenstifts ernennt "Hanns Sebaldt" 1628 zum Klosterbader. Dieser Sebald-Vorfahre ist im Einflussbereich des Klosters medizinisch tätig. Mit Aderlassen und Schröpfen ist unter anderem sein Aufgabenspektrum in der Bestallungsurkunde beschrieben. Hanns Sebaldt verabreicht Arzneien, versorgt Brand- und Schnittwunden bis zu Knochenbrüchen. Er verdient gut, kann sich mehrere Anwesen in Münsing wie die Baderschmiede oder das Nigglgütl kaufen.

Der Bader hat mehrere Kinder, erwirbt für seinen Sohn Bernhard die Münsinger "Hueb" (jetzt wohl beim Rank). 1670 tauscht der vorherige Besitzer den alleinstehenden Staudachhof mit diesem Anwesen. So kommt die Familie Sebald dorthin. Auf dem Flur des Hauses im ersten Stock hängt der weitverzweigte Stammbaum hinter einem Glasrahmen. Das Gut muss beim Erwerb in der Zeit nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ziemlich baufällig gewesen sein, erzählt Irmgard Sebald. Immerhin berichtet die Chronik von vier zum Haus gehörenden Pferden, fünf Kühen, einem Jungrind, vier Schafen und zwei Bienenvölkern.

Kinderreich ist die Familie Sebald stets gewesen, ihre Nachkommen haben sich in Münsing und der Umgebung weitverzweigt. Zu den umtriebigsten und engagiertesten zählte wohl Matthias Sebald, der 1876 den Staudachhof übernahm. Mit seiner Frau Maria hatte er 14 Kinder. Matthias Sebald war Mitglied des Bezirksausschusses in Wolfratshausen, saß jahrelang im Gemeindeparlament, war als vereidigter Hagelschätzer bestellt und Geschworener in Schwurgerichtsverhandlungen.

Von 1876 an war Matthias Sebald 50 Jahre lang Kommandant der in dem selben Jahr vereinigten Feuerwehren von Ammerland und Münsing. Ebenso war er musikalisch interessiert, auch wenn er kein Instrument spielen konnte, nur ab und an zur Mundharmonika griff. Für seine Kinder kaufte er Noten und Instrumente. Doch so viel am Hof gesungen, gespielt und musiziert wurde, blieben auch die traurigen Seiten des Lebens kaum aus. Drei Söhne starben etwa im Ersten Weltkrieg.

Genauso wurde auf einem der größten Höfe Münsings hart gearbeitet. Der heutige Hofbesitzer Thomas Sebald kann sich noch erinnern, wie er als Kind am Speicher in den ehemaligen Schlafstätten der Knechte spielte. Kaum mehr als durch Holzbretter abgetrennte Kabäuschen und Strohsäcke als Bettunterlage habe es dort gegeben, schildert er. Sie arbeiteten in der damaligen Kiesgrube, sammelten mit dem Gespann den Müll in Ammerland ein.

Mit Thomas Wendler arbeitet und lebt auch heute wieder ein Knecht auf dem Staudachhof. Für Irmgard und Thomas Sebald ist er weit mehr als ein Beschäftigter. "Er gehört zur Familie", sagt Thomas Sebald. Wendler ist in Münsing bekannt, unter anderem ist er in der Wasserwacht aktiv und mit dem jetzigen Hofinhaber seit Langem sehr gut befreundet. "Er hat mir gesagt, wenn er in Rente geht, dann kommt er auf den Hof", erzählt Thomas Sebald. Irgendwann habe der Wendler das dann auch einfach gemacht.

Besondere Menschen spielen in der Familie eine wichtige Rolle. Jedes Jahr verbringt etwa Norbert Kolb einige Wochen auf dem Staudachhof. Seit er 1954 erstmals mit seiner Mutter, seinem Bruder und seinem Onkel - einem Pfarrer - auf Sommerfrische zum Urlaub dorthin kam, hat sich eine enge Freundschaft entwickelt.

Mit der Kamera hat Norbert Kolb leidenschaftlich am Hof und in der Umgebung fotografiert und so auch ein Stück Sebaldscher Familiengeschichte festgehalten. Viele Motive hätte er auch in Thomas Sebalds Leben gefunden. Mit 17 Jahren belebte dieser gemeinsam mit einigen Gleichaltrigen den Ammerlander Burschenverein. Sebald war in der Wasserwacht aktiv, in der Feuerwehr war er zwölf Jahre lang Kommandant. Im Ochsererverein zählte er zu den Gründungsvätern des alle vier Jahre stattfindenden Ochsenrennens.

Zwischen 2008 und 2014 war Thomas Sebald zudem kommunalpolitisch im Gemeinderat aktiv. Der Auslöser, sich für das Gremium zu engagieren, war für ihn der Wunsch nach einem größeren Feuerwehrhaus in Ammerland, sagt er. Irgendwann wurde Sebald das breite Engagement zu viel, so oft war er außer Haus. Wie schwer das manchmal für seine Familie gewesen sein mag, beschreibt seine Frau, mit der er seit 1998 verheiratet ist, mit einem kurzen Satz: "Mein Mann war 16 Jahre lang fort." Kaum weniger aktiv ist aber auch sie. Als Mesnerin pflegt sie die im 16. Jahrhundert erbaute Kirche Sankt Vitus - das frühere Ammerlander Gotteshaus.

Im Ort ist der Familienname Sebald verbreitet. Der heutige Hoffischer Matthias Sebald ist ein Cousin des jetzigen Inhabers des Stauchdachhofs. Die Eigentümerin des Ambacher Hotels Huber, Ingrid Sebald-Wendl, ist eine Cousine. Das vor allem auf Arbeitsbühnen spezialisierte Unternehmen Starnberger Mietgeräte leitet ebenfalls ein Sebald. Und mit dem 43-jährigen Georg Sebald sitzt als jüngster Bruder von Thomas Sebald seit dem vergangenen Frühjahr ebenso wieder ein Familienmitglied im Gemeinderat.

Auf dem Staudachhof ist derweil die nächste Generation herangewachsen. Irmgard und Thomas Sebald haben vier Kinder - drei Buben und ein Mädchen. Landwirtschaftlich interessiert seien alle ihre Kinder, sagen sie. Und so wird die Landwirtschaft auf dem Staudachhof auch weitergeführt werden.

© SZ vom 23.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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