Prozessbeginn im Mordfall Höfen:Beweislast auf 160 Seiten

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Im Fall des Raubmords mit zwei Toten und einer Schwerverletzten in Höfen bei Königsdorf beginnen bald die Verhandlungen. Beschuldigt werden vier Tatverdächtige, die Anklageschrift ist außergewöhnlich umfassend.

Von Claudia Koestler, Königsdorf

Etwa 16 Monate, nachdem der Doppelmord von Höfen bei Königsdorf die Bundesrepublik erschüttert hat, müssen sich die vier mutmaßlichen Täter vor Gericht verantworten. Nun steht fest: Der erste Verhandlungstag ist für Mittwoch, 27. Juni, angesetzt. Weitere werden am 3., 4. und 5. Juli folgen, insgesamt stehen vorläufig 17 Verhandlungstage bis in den Herbst auf der Agenda. Die Staatsanwaltschaft München II erhebt Anklage unter anderem wegen Mordes, erpresserischem Menschenraubes und besonders schwerem Raubes.

Über 160 Seiten umfasst die Anklageschrift, die derzeit noch unter Verschluss gehalten wird. "Allerdings sind das schon viele Seiten im Vergleich zu anderen Mordprozessen", sagt die stellvertretende Staatsanwältin Karin Jung dazu - und dieser Umstand spiegle die Beweislast wider.

Der Tat beschuldigt werden drei Männer und eine Frau mit polnischer Staatsbürgerschaft, die alle miteinander in Beziehungen stehen: eine zur Tatzeit 49-jährige Frau, ihr sechs Jahre jüngerer Bruder, ihr heute 25-jähriger Sohn sowie ein 32-jähriger Bekannter der beiden Männer.

In der Nacht vom 22. auf den 23. Februar 2017 sollen die drei Männer in das freistehende Einfamilienhaus in dem etwa 90-Einwohner zählenden Weiler südlich von Königsdorf eingebrochen sein. Die Hausbesitzerin, eine damals 76-jährige Witwe, hatte zu diesem Zeitpunkt Besuch von Bekannten, einem 81-jährigen Rentner aus Hagen und einer 76-jährige Rentnerin aus dem Raum Frankfurt. Unter massiver Gewalteinwirkung sollen die Täter die drei überwältigt haben. Bei einer späteren Pressekonferenz der Polizei war unter anderem von "Schlägen" die Rede.

Die Gewalteinwirkungen müssen so brutal gewesen sein, dass die beiden Bekannten der Hausbesitzerin starben. Die 76-jährige Königsdorferin wurde schwer verletzt und in akuter Lebensgefahr zurückgelassen. Die Täter hatten derweil Bargeld und diverse Wertgegenstände entwendet. Die ebenfalls mitangeklagte Frau soll zwar nicht bei dem tödlichen Raubüberfall dabei gewesen sein, aber laut Staatsanwaltschaft den Plan für die Tat entwickelt haben. Sie hatte offenbar im Jahr zuvor in jenem Haus als Pflegekraft gearbeitet.

Nachbarn war schließlich aufgefallen, dass etwas in dem Höfener Einfamilienhaus nicht stimmte und alarmierten die Polizei. Zu dem Zeitpunkt hatte die Hausbesitzerin jedoch bereits drei Tage hilflos und schwer verletzt im Haus verbracht. Nach ihrer Rettung startete die Polizei sofort eine groß angelegte Spurensuche. Für die Öffentlichkeit blieb das Motiv der brutalen Tat jedoch zunächst völlig im Unklaren, was insbesondere bei Nachbarn und in den umliegenden Dörfern große Ängste auslöste. Selbst Polizeipräsident Robert Kopp sprach von einem "sehr schockierenden Verbrechen", das "die Idylle in Höfen bei Königsdorf wirklich erschüttert hat". Die Polizei habe deshalb "nichts unversucht lassen wollen, um der Bevölkerung wieder Sicherheit geben zu können".

Kriminaltechnische Spuren wurden gesichert, Zeugen vernommen und zahlreichen Hinweisen nachgegangen, sogar einen Aufruf bei "Aktenzeichen XY... ungelöst" hatte es gegeben.

Jene Beamte, die die Umgebung des Tatortes gleich nach der Entdeckung des Verbrechens durchkämmt hatten, fanden letztlich den Schlüssel zur Aufklärung, nämlich eine DNA-Spur. Diese führte die Kriminalbeamten zu einem Verdächtigen, weil die Spur einen Treffer in der Polizei-Datenbank ergab: Sie gehörte zu einem 43-jährigen Mann, der bereits wegen Einbruchdiebstahls in Deutschland registriert ist. Ein Überwachungsvideo aus einer nahegelegenen Raststätte auf der A 95 aus der Tatnacht führte obendrein zu dem 32-jährigen Bekannten des Mannes. Und Nachbarn hatten der Polizei bereits bei den ersten Zeugenbefragungen den Hinweis auf die polnische Pflegekraft gegeben, die sich bei der Überprüfung als Schwester des 43-jährigen Tatverdächtigen entpuppte, dessen Spur am Tatort gefunden wurde. So setzte sich schließlich das Puzzle zu jenem dringend tatverdächtigen Quartett zusammen, das nun auf der Anklagebank sitzt. Durch einen internationalen Haftbefehl konnten alle vier innerhalb von fünf Wochen nach der Tat festgenommen werden. Seither sitzen sie in Deutschland in Untersuchungshaft. Dort hätten sie sich bisher zumindest "teilweise" zur Tat eingelassen, sagt die stellvertretende Staatsanwältin Karin Jung.

Im sonst so beschaulichen Königsdorf hatte die Tat tiefe Wunden geschlagen. Seither gebe es "dieses blöde Gefühl, nämlich dass es Situationen gibt, in denen man ohnmächtig ist", hatte Bürgermeister Anton Demmel (CSU) damals erklärt.

Dieses schockierende Erlebnis mitten im Herzen eines dörflichen Idylls gilt es seither zu verarbeiten. Die Hausbesitzerin habe sich nach Auskunft der Gemeinde inzwischen körperlich erholt, es gehe ihr "den Umständen entsprechend", sagt Demmel, der ihr kürzlich einen Besuch abgestattet hat. Seelisch aber habe das Verbrechen Spuren hinterlassen. Sie werde rund um die Uhr betreut. Dass Nachbarn und Dorfbewohnern ihr Schicksal weiter berührt, zeigt so manche kleine Geste: Kürzlich bei den Maiandachten wurden immer wieder Fürbitten für sie gehalten.

© SZ vom 08.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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