Historie eines Dorfes:In Gang gekommen

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Der Geschichtspfad Dietramszell an der Richterangerwiese unterhalb des Rathauses. (Foto: Manfred Neubauer)

Nach zehn Jahren der Aufarbeitung und Reflexion ist der Geschichtspfad in Dietramszell eröffnet. Ein Schwerpunkt wird dem Thema Hindenburg eingeräumt, das in der Gemeinde zu schweren Verwerfungen geführt hatte.

Von Petra Schneider, Dietramszell

Die Realisierung eines Geschichtspfads in Dietramszell hat beinahe selbst schon historische Dimensionen. Erste Überlegungen gab es bereits 2004 im Rahmen einer angestrebten Dorferneuerung. Neue Dynamik bekam das Projekt im November 2013: In einer Pattabstimmung hatten es die Gemeinderäte abgelehnt, sich von der Ehrenbürgerwürde für Hitler und Hindenburg zu distanzieren. Dieses Votum sorgte international für Empörung und führte in der Gemeinde dazu, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. In der Folge wurde die Idee eines Geschichtspfads wieder aufgegriffen. Zehn Jahre hat dieser Prozess gedauert, am Freitag wurde der Geschichtspfad auf dem neu angelegten Weg durch die Angerwiese nun eröffnet.

Auf 13 massiven Stelen aus Eichenholz ist die Geschichte der Gemeinde in zehn Themenbereichen kompakt und interessant aufbereitet. Der Weg beginnt mit einem allgemeinen Kapitel "Dietramszell - ein besonderer Ort". Er führt über Vor- und Frühgeschichte des 1098 gegründeten Orts, Klostergründung und dessen Grundherrschaft, zu Katastrophen wie Pest und Dreißigjährigem Krieg, die auch Dietramszell nicht verschonten. Säkularisation, die Entwicklung vom Klosterdorf zur politischen Gemeinde Anfang des 19. Jahrhunderts und die Situation während der beiden Weltkriege sind weitere Themen des Wegs, der mit der Gemeindegebietsreform 1972 und den Jahren bis 1978 endet.

Martin Stiefel (l.) und Wolfram Kastner 2014 bei der Entfernung der Hindenburg-Büste von Josef Thorak an der Außenwand des Klosters Dietramszell. (Foto: Manfred Neubauer)

Ein Schwerpunkt wird der Person Hindenburg eingeräumt: Drei der Stelen beschäftigen sich mit dem umstrittenen Generalfeldmarschall und Reichspräsidenten, der in den Jahren 1922 bis 1932 in Dietramszell seine Jagdurlaube verbrachte. Denn die Auseinandersetzung mit Hindenburg im Gefolge der fatalen Abstimmung im November 2013, der unentschlossene Umgang mit der Hindenburgbüste an der Klostermauer und deren Demontage durch den Münchner Aktionskünstler Wolfram Kastner 2014 hatten in der Gemeinde zu schweren Verwerfungen geführt. Eine der Hindenburg-Stelen, die differenziert dessen politischen Werdegang und seine Einstellung zu Hitler und dem Nationalsozialismus ausleuchtet, beschäftigt sich explizit mit den Ereignissen um die "Hindenburgbüste nach 1945".

Von links: Ronald Kühnemund, Michael Holzmann, Leni Gröbmair, Josef Hauser und Peter Oster. (Foto: Manfred Neubauer)

Bei der Eröffnung am Freitag begrüßte Bürgermeister Josef Hauser (FW) den promovierten Historiker Michael Holzmann, der die Federführung des 2018 gegründeten "Arbeitskreises Geschichte" übernahm und ehrenamtlich in gut vierjähriger Arbeit die Texte für die Infostelen verfasste. Auch die ehemalige Bürgermeisterin Leni Gröbmaier (BLD) war gekommen, in deren Amtszeit die Idee zu dem Projekt entstanden war. "Mich freut's, dass der Geschichtspfad nun zum Abschluss gekommen ist", sagte sie. Auch Peter Oster vom Amt für ländliche Entwicklung (ALE), das die Dorfneuerung und den Geschichtspfad zu 65 Prozent finanziert, lobte das Projekt. "Mich freut, wenn durch die Dorferneuerung nicht nur Erdmassen bewegt, sondern auch andere Aspekte angeregt werden", sagte Oster. Dies sei mit dem Geschichtspfad gelungen. Wenn die von der Gemeinde vorgesehene Baumpflanzungen für jeden Neugeborenenjahrgang entlang des Pfads noch gemacht und Bänke aufgestellt würden, "dann ist das ein toller Rahmen für den neu gestalteten Platz".

Bürgermeister Josef Hauser zeigt die erste Skizze des heuer eröffneten Geschichtspfads. (Foto: Manfred Neubauer)

Auch Bürgermeister Hauser findet den Standort im historischen Ortskern neben der Schule "gut gewählt". Denn so gebe es die Möglichkeit, den Geschichtspfad in Schulprojekte einzubauen. Dass dieser entstanden ist, "daran bin ich selbst auch schuld", räumte Hauser ein. Denn auch er hatte bei der Abstimmung 2013, damals noch als Gemeinderat, gegen eine Distanzierung gestimmt, mit der Begründung, die Ehrenbürgerwürde erlösche ohnehin mit dem Tod der jeweiligen Person. Diese Abstimmung sei der Grundstein dafür gewesen, "dass wir uns mit unserer Geschichte beschäftigen". Dies sei in den vergangenen Jahren ausführlich geschehen, sagte Hauser, "wir sind eine geschichtsinteressierte Gemeinde". Das zeige sich nicht zuletzt an den stets gut besuchten historischen Vorträgen von Holzmann.

"Die Gräber dürften aus der Zeit vor 1500 stammen", vermuztet der Historiker Michael Holzmann. (Foto: Manfred Neubauer)

Mit dem Geschichtspfad soll dieser Prozess aber nicht enden. Auf der Homepage der Gemeinde würden die Infotexte nach und nach ergänzt, erklärte Holzmann. Außerdem sollen auf den Stelen QR-Codes angebracht werden, mit denen die Langtexte abgerufen werden können. Er wolle im Januar auch wieder einen Vortrag anbieten, kündigte der Historiker an.

Die Kosten für den Geschichtspfad, bei dessen Gestaltung sich die Gemeinde am "Benediktusweg" in Benediktbeuern orientiert hat, waren überschaubar: Dank der Förderung durch das ALE, der Arbeit der Bauhofmitarbeiter und der Spende der Familie von Schilcher, die das Eichenholz für die Stelen zur Verfügung gestellt hat, blieben die Kosten "deutlich unter 10 000 Euro", sagte Hauser. Die Eröffnung sei eine Punktlandung; denn der Förderzeitraum ende zum 31. Dezember.

Dass das Holz für die Stelen von der Familie von Schilcher gespendet wurde, füge sich gut. Denn sie sei mit der Geschichte der Gemeinde eng verwoben. So verbrachte Hindenburg seine Jagdurlaube bei der Familie, auf deren Anwesen der Aktionskünstler Kastner die abgeschraubte Büste ablegte, um einen Reflexionsprozess in der Gemeinde anzuregen. Acht Jahre lagerte die Büste im Schilcher´schen Keller, ehe sie im September 2022 in den Bestand des Hauses der Bayerischen Geschichte in Regensburg aufgenommen wurde. Auch der Sockel wurde von der Klostermauer entfernt.

Aus dem Ortsbild ist die Historie damit aber nicht getilgt. Sie erfährt an zentraler Stelle und in repräsentativer Gestaltung auf dem Geschichtspfad eine gelungene Aufarbeitung.

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