Dietramszell:"Es geht um Barrierefreiheit im Denken"

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Waltraud Bauhof ist seit 1984 politisch aktiv. Nun kandidiert die 73-Jährige als Parteifreie auf der SPD-Liste für den Kreistag. Im Gespräch erklärt sie, warum Frauen sich oft immer noch nicht trauen, den Mund aufzumachen.

Von Alexandra Vecchiato

Waltraud Bauhof will sich weiterhin politisch engagieren. Statt für den Dietramszeller Gemeinderat tritt sie diesmal für den Kreistag an: Ihre Themen: Senioren und Asylbewerber. (Foto: Manfred Neubauer)

Sie selbst sagt von sich, dass ihre rheinische Art manchmal mit ihr durchgeht. Waltraud Bauhof ist mit ihren 73 Jahren umtriebig wie eh und je und obendrein keineswegs leise. Was sie denkt, das sagt sie. Am 16. März stellt sich die Parteifreie erneut zur Wahl. Sie will für die SPD einen Sitz im Kreistag gewinnen.

SZ: Wie lange sind Sie schon politisch tätig?

Waltraud Bauhof: 1984 habe ich das erste Mal für den Dietramszeller Gemeinderat kandidiert. Ich saß zwölf Jahre im Gemeinderat. Dann habe ich pausiert, weil ich das Gefühl hatte, dass dies meiner Familie besser tun würde. In dieser Zeit ist zudem mein Mann gestorben. 2002 haben mich junge Leute angesprochen, ich solle wieder kandidieren. Das habe ich auch gemacht und bin gewählt worden. Das sind demnach die zweiten zwölf Jahre im Gemeinderat, insgesamt also 24 Jahre.

Was war Ihre Motivation für die Kandidatur?

Der Auslöser war die damalige Situation in Dietramszell. Viele Fäden liefen bei einer Person oder in den Händen einer Familie ineinander. Das wollte ich unterbinden. Zur Erklärung ein Beispiel: Als ich 1974 nach Dietramszell gezogen bin, habe ich einen Kindergartenplatz gesucht. Ich ging zum Bürgermeister, wo mir seine Frau einen Vortrag hielt, man brauche im Dorf keinen Kindergarten und es wäre nicht richtig von mir, mein Kind in eine solche Einrichtung schicken zu wollen. Das war mein Einstieg hier in die Gemeinde. Damals habe ich mir gedacht, na, die sind aber arg boniert.

Sie sitzen als Parteifreie für die SPD im Gemeinderat. Warum sind Sie nie in die SPD eingetreten?

Weil ich in manchen Dingen nicht mit der SPD übereinstimme und weil ich mir vorbehalten wollte, meine Entscheidungen eigenständig zu treffen, ohne von einer Partei gesteuert zu werden. Ich stehe der SPD, seit ich wählen darf, sehr nahe. Damals schon allein aus Opposition zu meinen Eltern heraus, die CDU-Wähler waren. Das war es allerdings nicht allein. Ich bin der Überzeugung, dass die SPD die Partei ist, bei der ich mich einbringen kann.

Am 16. März treten Sie nicht mehr für den Gemeinderat an, sondern auf der SPD-Liste für den Kreistag. Wie kam das?

Ich bin angesprochen worden, ob ich dazu Lust hätte. Und die habe ich.

Wenn Sie in den Kreistag kommen, welche Themen stehen auf Ihrer Agenda?

Ich interessiere mich naturgemäß für Senioren und ihre Belange. Auch das Thema Asylbewerber liegt mir am Herzen. Ich möchte, dass diese Menschen bei uns angenommen werden. Wichtig ist mir zudem die Barrierefreiheit, allerdings nicht nur im Bau und auf den Straßen. Es geht um die Barrierefreiheit im Denken und Handeln, darum, warum sich Frauen nicht trauen, den Mund aufzumachen. Es geht um die Barrieren im Kopf, sie zu erkennen und gegen sie anzugehen. Das ist mein Ziel. Ich sage klar, was ich denke. Aber ich stelle mich auch der Kritik und lasse mich gerne überzeugen.

Sie sind der Politik nie überdrüssig geworden?

Ich hatte nach meinen ersten zwölf Jahren im Gemeinderat und mit Benno Lichtenegger als Bürgermeister das Gefühl, wir hatten die von uns angestrebte Veränderung herbeigeführt. Ich dachte für mich, ich habe alles gesagt, ich habe vieles erreicht. Aber 2002 dachte ich, irgendwo ist doch noch nicht alles gesagt.

Machen Frauen anders Politik?

Ja.

Inwiefern?

Wir entscheiden schneller aus dem Bauch heraus. Wir betrachten Probleme anders. Ich muss als Frau mit meinem Haushaltsgeld auskommen und ich muss entsprechend wirtschaften. So sehe ich das auch in Sachen Politik. Daher muss meiner Meinung nach das Hallenbad in Ascholding geschlossen werden. Das ist purer Luxus, den sich unsere Gemeinde nicht leisten kann. Das Schwimmbad ist immer ein Zuschussgeschäft gewesen, je älter die Anlage wird, desto teurer kommt es. Auch wenn der Arbeitskreis Hallenbad sich hervorragend engagiert, aber die Substanz, die ganze Technik ist marode. Und deshalb sage ich, wir müssen das Hallenbad schließen. Ich denke, so etwas kann ich als Frau leichter sagen als ein Mann. Ich habe den Eindruck, Männer glauben, sie verlieren bei solchen Aussagen ihr Gesicht.

Es sind immer noch mehr Männer als Frauen im Landkreis in politischen Gremien und Ämtern vertreten. Woran liegt das?

In Dietramszell - das ist das erste, was mir aufgefallen ist, als ich hierher gezogen bin - gehen Ehepaare ganz selten nebeneinander. Entweder der Mann geht voraus und die Frau hinterher oder umgekehrt. Das ist ein Schlaglicht. Die Frau ist die Zweite in dieser Beziehung. Oft höre ich, wenn es um Entscheidungen geht: Ja, sprich mit meinem Mann. Warum kann nicht die Frau darüber sprechen und entscheiden? Das liegt in der Erziehung, das sind Traditionen, die weitergegeben wurden. Die Frau darf zu ihrem Kaffeekränzchen gehen, sie darf soziale Arbeit machen, aber in der Politik will sich die Frau nicht zeigen - oder sie soll sich nicht zeigen, keine Ahnung. Obschon ich denke, dass Frauen viel mehr Ahnung von Politik am Ort haben, weil sie sich mit Themen wie Schule, Kindergarten oder Einkaufsmöglichkeiten täglich auseinandersetzen müssen.

Was im Kreistag entschieden wird, ist für viele Bürger abstrakt. Wie könnte man das ändern?

Ich darf ein Beispiel nennen. Ich bin seit einigen Jahren im Seniorenbeirat. Das ist die Seniorenvertretung auf Landkreisebene. Ich habe, ehe ich in dieses Gremium gewählt wurde, als Seniorenreferentin von Dietramszell die Sitzungen des Beirats besucht. Den Beiräten habe ich dann erklärt, dass ihre Beschlüsse noch so toll sein können, aber wenn keiner etwas davon erfährt, nutzen alle Bemühungen nichts. Das Ergebnis war, dass der Beirat die "Senioren-Info" herausgibt. In der vierteljährlich erscheinenden Broschüre steht alles, was im Beirat besprochen wurde.

Also muss der Landkreis mehr informieren?

Ja, das muss das Landratsamt machen, mehr mit den Bürgern kommunizieren, Entscheidungen besser erklären. Wäre dies der Fall gewesen, wäre die Debatte um die Zukunft des Lenggrieser Pflegeheims sicher nicht so eskaliert. Wenn ich rechtzeitig und gut erkläre, warum der Landkreis die Trägerschaft abgeben sollte, dass Details wie die Entlohnung der Mitarbeiter bei einer Übergabe vertraglich festgehalten werden können, dann wäre alles gut. Wir müssen viel mehr miteinander reden, auch wenn das Zeit in Anspruch nimmt. Der Bürger hat mich gewählt, er muss wissen, was ich denke.

© SZ vom 23.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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