Geiger und Lehrmeister:Lebendige Spur im Spiel

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Denes Zsigmondy, hier beim Üben mit Meisterschülerin Dorka Ujlaky, wäre heuer 100 Jahre alt geworden. (Foto: Arndt Pröhl)

Dénes Zsigmondy wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Die Holzhauser Musiktage lassen die Leidenschaft ihres Mitbegründers an einem Erinnerungsabend wieder aufleben.

Von Paul Schäufele, Münsing

Über Erinnerung und Gedächtnis ist viel gesagt und geschrieben worden. Worüber man sich meistens einig ist: Erinnern verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es ist nicht anders, wenn sich Menschen an ihre Weggefährten erinnern. Und so ist der Abend, den die Holzhauser Musiktage ihrem (Mit-)Gründer Dénes Zsigmondy als "Erinnerung an einen Großen" gewidmet haben, weil er in diesem Jahr hundert Jahre geworden wäre, genau das - ein Lebendigmachen des Vergangenen in der Gegenwart, um auf die Zukunft hinzuweisen.

Denn die plastische Erinnerungsarbeit, die vor allem Johannes Umbreit, inzwischen Künstlerischer Leiter des Festivals, leistet, macht nur einen Teil des Programms aus. Dazu gehört zum Beispiel das Porträt des Geigers, das seine Töchter Katalin und Barbara entfalten. Allerhand teilen sie mit über diese Biographie des zwanzigsten Jahrhunderts, zu der die Flucht vor der Wehrpflicht während des Zweiten Weltkriegs ebenso gehört wie das musikalische und eheliche Glück mit Anneliese Nissen, die Zsigmondy bei einer Brahms-Sonate kennenlernte.

Zu sehen und zu hören sind aber auch Mitschnitte lange verklungener Konzerte in Münsing, die ein gnädiger Kamerabesitzer vor 25 Jahren angefertigt hat. Interessant sind diese Videos, in denen Zsigmondy etwa den langsamen Satz aus Mozarts C-Dur-Sonate spielt, auch deshalb, weil auf den einschlägigen Internetseiten wenig von ihm zu finden ist. Das ist schade, denn in diesen Aufnahmen wird ein Künstler präsent, der mit unaufdringlicher Neugier die Partitur nach ihrem Ausdrucksgehalt befragt. Ohne jede Allüre und überflüssige Bewegung macht Dénes Zsigmondy Musik, die ganz von dem (Beethoven zugeschriebenen) Motto beseelt zu sein scheint, dass eine falsche Note unwichtig, fehlende Leidenschaft unverzeihlich sei.

Nichts anderes wird in den Film-Dokumenten deutlich, die Zsigmondy beim Unterricht zeigen. Der pädagogische Eros wird hier umgesetzt in das leidenschaftliche Interesse, der Schülerin und dem Schüler zu helfen, sich intensiver musikalisch auszudrücken. In drei Sprachen brummend, artikulierend, scherzend, hat er so seiner Schülerschar musikalisches Temperament eingeflößt. "Ich kenne keinen anderen Lehrer, der so viel Energie weitergeben konnte", sagt Johannes Umbreit. Man glaubt es ihm. Auch diesen Satz, angesichts der Lachsalven, die die offenen Unterrichtsstunden Zsigmondys begleitet haben: "Es hat Spaß gemacht."

Bei den Holzhauser Musiktagen Júlia und Ágnes Pusker, ehemlige Meisterschülerinnen, an ihre Mentor. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Jenseits des Unterhaltungswerts muss einiges hängen geblieben sein von diesen Stunden, denn aus den Eleven wurden Professoren, Konzertmeisterinnen, erfolgreiche Musiker. Mehrere Generationen an Weltklasse-Musizierenden sind aus der Zsigmondy-Schule hervorgegangen, wovon man sich am Erinnerungs-Abend überzeugen darf. Die Schwestern Júlia und Ágnes Pusker präsentieren eine Auswahl aus den 44 Duos für zwei Violinen ihres Landsmanns Béla Bartók, dessen Musik auch Dénes Zsigmondy geschätzt hat. Mit Fantasie und Freude am farbenreichen Gestalten der Miniaturen, sei es ein entfesselter Tanz oder eine grau-melancholische Weise, geben die Pusker-Schwestern einen Eindruck von der Spontaneität und dem Ideenreichtum, den ihr Lehrer mitentwickelt hat. Dazu passt die Anekdote, mit der die Schwestern ihren Auftritt abrunden. Eines schönen Tages, an dem Dénes Zsigmondy das Geigerinnen-Duo in Salzburg unterrichtet hat, kam er auf die Idee, den Unterrichtsraum ins Freie zu verlegen. Nicht genug, auf einen Berg sollte es gehen. Und so kam es, dass Júlia und Ágnes Pusker die Bartók-Duos auf dem Untersberg spielten, sekundiert von den Hinweisen ihres Lehrers.

Ebenso ins Bild passt die Erzählung vom Geiger Zsigmondy, der sich bei einem abendlichen Fange-Spiel nach einem Meisterkurs die Nase gebrochen hat. Mit echter Bewunderung für den damals schon älteren Zsigmondy, der noch laufen konnte wie der Wind, erzählt sie Wojciech Garbowski nach seiner Aufführung des Präludiums aus der Bach'schen E-Dur-Partita - hochenergetisch in jeder Note.

Das Weitergeben des Feuers ist Tradition bei den Holzhauser Musiktagen, auch über den Tod Dénes Zsigmondys im Jahr 2014 hinaus. Den Violin-Meisterkurs übernahm Ingolf Turban, Professor an der Münchner Musikhochschule. Er und Ulrike Schmitz, Konzertmeisterin der Münchner Symphoniker, würdigen ihren Lehrer mit Pablo de Sarasates "Navarra", blitzend und munter zwitschernd.

Damit wurden fünf ganz individuelle Geigerinnen und Geiger gehört, die das Erbe ihres Lehrers auf ihre Weise verkörpern. Unterschiedlich, aber geeint im unprätentiösen Zugang zum Stück und dem Willen, dieses so expressiv wie möglich zu zeigen. Und so ist die geburtstägliche "Erinnerung an einen Großen" nicht nur ein Fest für den Spiritus Rector der Holzhauser Musiktage, sondern auch ein Beweis dafür, dass die Lehrer in ihren Schülern weiterleben, im Gedächtnis, als Erinnerung. Aber auch als lebendige Spur im Spiel, die ihrerseits weiterverfolgt werden kann, zum Beispiel im Konzert, das Isabelle Faust am Sonntagabend in der Münsinger Loth Hof Tenne gestaltet.

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