Das Weihnachten der anderen:Alleine, aber nicht alleingelassen

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Für Menschen ohne Familien oder ohne Bleibe ist Heiligabend oft ein schwieriger Tag voller Erinnerungen an bessere Zeiten. In den Obdachlosenunterkünften im Landkreis kommen sie zusammen. Dort erhalten sie nicht nur ein Bett, sondern auch Ansprache und kleine Gaben.

Von Susanne Hauck, Bad Tölz-Wolfratshausen

Zusammen etwas Feines essen, den festlich geschmückten Christbaum bewundern, dann im Chor "Oh du fröhliche" singen - an Weihnachten fühlen sich die meisten im Kreis der Familie besonders gut aufgehoben. Die Bibel erzählt vom genauen Gegenteil eines trauten Abends: Maria und Josef kommen als Fremde in die Stadt Betlehem, sie finden keine Herberge.

Menschen ohne Bleibe sind es auch, die an Heiligabend vor der Tür vom Haus Sankt Jakobus in Bad Tölz stehen. Sie haben Hunger, sind ungewaschen und müde. Die Einrichtung mit acht Plätzen nimmt Obdachlose auf, die sonst nirgendwo unterkommen. Maximal 14 Tage dürfen sie bleiben. Spontane Ankunft ist kein Problem, das Haus hat 365 Tage im Jahr geöffnet. "Große Feierlichkeiten gibt es bei uns nicht, weil das nicht gewollt ist, aber wir haben einen Weihnachtsbaum und es steht etwas Leckeres auf dem Tisch", erzählt Caritas-Sozialpädagogin Barbara Stärz. Sie versucht, es den Gästen, fast immer sind es Männer, an Heiligabend schön zu machen: Wenn sie kochen wollen, geht Stärz zum Metzger und besorgt einen Braten. Ansonsten kauft sie ein paar Delikatessen in Dosen und dazu Baguette, Käse, Salami. Alkohol ist nicht verboten, "so lange sie sich an die Hausordnung halten".

Auch kleine Geschenke bereitet Stärz jedes Jahr vor. Gar nicht so einfach, das Richtige zu finden, denn die Männer sind ja ständig auf Achse und wollen nicht viel mitschleppen. Praktische Sachen kommen gut an: frische Socken und Unterwäsche, ein Taschenmesser, eine kleine Taschenlampe. Auch ein duftendes Aftershave fand schon Gefallen.

Die Menschen am Rand der Gesellschaft werden von den Tölzern nicht vergessen. In der Adventszeit stehen regelmäßig Kisten mit Obst und Süßigkeiten vor dem Haus in der Salzstraße. Sie werden anonym abgegeben, "das ist fast wie Wichteln", scherzt die Sozialpädagogin. Auch Geschäftsleute kämen vorbei und überbrächten Geldspenden.

Aber wie verläuft Heiligabend unter Menschen, die auch mal auf der Straße schlafen? Das sei jedes Jahr ganz verschieden, sagt Stärz. Manche würden zusammen essen und kämen miteinander ins Gespräch, andere wollten lieber allein sein. "Aber die Stimmung ist schon sehr verhalten."

Eine direkt fröhliche Sause habe dagegen in Wolfratshausen stattgefunden, erinnert sich Ines Lobenstein von der Caritas Wohnungslosenhilfe ans vergangene Jahr. In der Flößerstadt sieht die Situation anders aus. Das Obdachlosenheim nimmt keine Durchreisenden auf, sondern nur hier lebende Männer und Frauen, die ihre Bleibe verloren haben, die sich die teuren Mieten im Landkreis nicht mehr leisten können. Es sind Alleinerziehende, Arbeitslose, verarmte Rentner. Weihnachten haben die zehn Menschen im Alter zwischen 30 und 70 Jahren vergangenes Jahr zusammen gefeiert und dafür erst aus Muscheln eine Dekoration gebastelt, dann gekocht. Ein richtiges Festmahl mit zwei Gänsebraten, Knödeln und Blaukraut, dazu Bier. Nach dem Essen kam die Stimmung so in Schwung, dass noch Musik angemacht und getanzt wurde. Dieses Jahr aber hat sich nichts Gemeinsames ergeben. "Es sind nicht mehr dieselben Bewohner und die Harmonie ist wohl weniger gut", sagt Lobenstein. "Alle haben gesagt, dass sie mit den Leuten feiern wollen, die ihnen wichtig sind." Die von der Caritas finanzierten Geschenktüten hat Lobenstein bereits verteilt: eine Weihnachtskarte mit etwas Geld, ein Duschbad, selbstgemachte Marmelade und Plätzchen.

In der Notunterkunft Haus Klara in Geretsried läuft Weihnachten ähnlich wie in Wolfratshausen ab. "Manche feiern für sich, manche tun sich zusammen", berichtet Sozialpädagogin Christine von Pechmann. Auch hier gab es kleine Geschenke in Form von Lebensmittelgutscheinen. Sicher sei Weihnachten für Menschen ohne Wohnung emotional anstrengend. "Aber viele Ältere, gerade in den Großstädten, sind oft noch einsamer", gibt Lobenstein zu Bedenken. Sie sagt, dass ihre Klientel gut darin sei, ihre Gefühle zu verstecken, zu verdrängen.

"Sie essen, gehen ins Bett und sind froh, wenn die Feiertage wieder vorbei sind", ist die Erfahrung von Barbara Stärz vom Haus Jakobus. Für die meisten sei es ein trauriger und schwieriger Tag, die Erinnerung an bessere Zeiten werde übermächtig. Manche Männer würden ihren Frust mit Witzchen überspielen. Manche setzten sich aber auch zu den Mitarbeitern und fingen das Reden an. Es waren oft traurige Geschichten, die Barbara Stärz und ihre Kollegin Angelika Hertwig zu hören bekamen: zerbrochene Familien, Sucht, Alkohol. Dazu hat das jahrelange Leben auf der Straße meist tiefe Spuren in der Psyche der Menschen hinterlassen. Da sind die einen, die nie richtig Fuß gefasst haben, weil sie in einkommensschwachen und bildungsfernen Familien aufgewachsen sind. Da sind die anderen, denen es "an einem Punkt den Boden unter Füßen weggezogen hat ", wie Stärz es ausdrückt. Überdurchschnittlich oft seien Köche und Leute aus der Gastronomie dabei. Ihnen setze der stressige und schlecht bezahlte Job zu, was sie erst mit noch mehr Arbeit und dann mit Alkohol bekämpften. Es folge die Überschuldung, dann gehe die Frau und schließlich der Verlust der Wohnung. Die Abwärtsspirale endet in einer Kurzschlussreaktion: "Die schmeißen an einem Punkt alles hin und nehmen ihren Rucksack, weil es ihnen reicht." Die Hilfsbedürftigen kommen aus der Region oder sind Heimatlose von überallher, die sich von Herberge zu Herberge durchschlagen. Ihr Leben könnten sie meist noch selbst organisieren. "Sie schaffen es, den Hartz-IV-Tagessatz bei uns abzuholen, sich das Geld einzuteilen und ein Zugticket zu kaufen." Viel schlimmer dran seien EU-Ausländer aus Rumänien oder der Slowakei, die am Haus Jakobus vor der Tür stünden und keinen Anspruch auf Sozialhilfe hätten.

Im Haus Jakobus gemeinsam "Stille Nacht" singen? Stärz winkt ab. Das könne man vielleicht in einem anderen, schöneren Leben. "Aber wer so verloren ist, dem tut das viel zu weh."

© SZ vom 24.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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