Covid-19:Corona-Ampel springt auf Rot

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In Bad Tölz-Wolfratshausen ist nur noch ein einziges Intensivbett frei. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt in Wirklichkeit viel höhre als vom Robert-Koch-Institut angegeben. Von Samstag an gelten im Landkreis deshalb wieder strengere Einschränkungen im öffentlichen Leben

Von Felicitas Amler, Bad Tölz

Eine Inzidenz weit über 300 und mehr als 80 Prozent Auslastung der Intensivbetten: Die Corona-Ampel steht im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen auf Rot. Von Samstag an sollen verschärfte Maßnahmen gelten. Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler) hat am Donnerstag in einer Video-Pressekonferenz zusammen mit dem Münsinger Hausarzt und Kreis-Corona-Koordinator Jörg Lohse dargelegt, wie dramatisch die Situation ist. "Es ist nicht mehr fünf vor zwölf", sagte Lohse, "es ist zwölf."

Die Gesamtzahl der Covid-19-Infizierten lag am Donnerstag nach Auskunft des Tölzer Gesundheitsamts bei 1193 - mit Spitzenwerten in Lenggries (215), Bad Tölz und Dietramszell (je 109) sowie Geretsried (106). Die Sieben-Tage-Inzidenz liege "weit über 300", sagte Niedermaier. Dass sie in der Statistik des Robert-Koch-Instituts mit 136,5 angegeben werde, sei "objektiv falsch". Die Diskrepanz habe aber nur zum Teil mit der aktuell mangelhaften Bearbeitung der Fälle zu tun - etwa 400 seien noch zu erledigen. Es müsse in der Übermittlungskette außerdem ein bisher unentdeckter Fehler vorliegen. Der Landrat betonte aber, die Inzidenz liege sicher "weit über 300". Da gleichzeitig mehr als 80 Prozent der Intensivbetten im Rettungszweckverband mit den Landkreisen Weilheim-Schongau und Garmisch-Partenkirchen belegt seien, müssten nun die von der Staatsregierung dafür vorgesehenen Maßnahmen ergriffen werden: die 3-G-plus-Regel für Gastronomie, Beherbergungsbetriebe und körpernahe Dienstleistungen (Zugang nur für Geimpfte, Genesene und Getestete; für Ungeimpfte ein negativer PCR-Test), 2 G für Diskotheken und Clubs (nur Geimpfte und Genesene).

Gefälschte Impfpässe

Niedermaier sagte mehrmals nachdrücklich, er appelliere dringend an die Vernunft der Bevölkerung, sich coronakonform zu verhalten. "Mit einem gewissen Ärger im Bauch" habe er festgestellt, dass "auch bei uns gefälschte Impfpässe" eingesetzt würden. Auf Nachfrage sagte der Landrat, persönlich sei er - wie sein Münchner Amtskollege Christoph Göbel (CSU) - für eine Impfpflicht. Er sei froh, hier nicht in bundespolitischer Verantwortung zu stehen, kritisiere aber ausdrücklich "das Rumgeeiere vor der Bundestagswahl".

Corona-Koordinator Lohse sagte, die niedergelassenen Ärzte hätten mit Erschrecken seit etwa zwei Wochen "ein Ansteigen der Flut" festgestellt. Er glaube, die "Rasanz und Durchschlagskraft der Delta-Variante" seien unterschätzt worden. Die Hausarztpraxen seien jedenfalls am Limit, so Lohse. "Bei uns in den Praxen sind so viele Erkrankte wie noch nie und so viele Schwerkranke wie noch nie." Es handle sich jetzt um "eine Pandemie der jungen Leute". Besonders unter den Kindern sei eine erhöhte Infektionsrate festzustellen. Impfdurchbrüche seien dagegen vor allem bei den über 70-Jährigen hoch. Hier rate er zur dritten Impfung, für die man aber getrost das empfohlene halbe Jahr abwarten solle.

Auf die Frage, ob die Lockerungen zu früh gekommen seien, sagte Lohse: "Wir haben uns zu früh gelockert." Große Feiern, Partys, Stadelfeste - all dies hat nach Einschätzung auch des Landrats zu einem Anstieg der Infektionen beigetragen. In diesem Zusammenhang warnte Niedermaier davor, dass an Leonhardi in Bad Tölz bedenkenlos in Massenansammlungen gefeiert werden könnte. Die Leonhardifahrt ist zwar abgesagt, der Gottesdienst findet aber statt. Was sich anschließend in der Stadt abspielt, hängt von der Einsicht der Feierlustigen ab. Niedermaier warnte davor, "eine riesige Party" zu feiern und beschwor die Tölzer: "Bleibt's bitte vernünftig!"

Der Rettungszweckverband der drei Landkreise verfügt insgesamt über 91 Intensivbetten, davon sind 24 in den Krankenhäusern in Bad Tölz und Wolfratshausen. Hier ist derzeit nur noch ein einziges Intensivbett frei. Fünf sind mit Corona-Erkrankten belegt, die invasiv beatmet werden. Während der vorangegangenen Corona-Welle seien es noch 120 Betten gewesen, erklärte Niedermaier. Der Rückgang sei aber tatsächlich keiner der Betten - vielmehr der Mitarbeitenden. Das verfügbare Pflegepersonal habe sich um 20 Prozent reduziert. Die Leute seien "ziemlich mürbe und ausgelaugt", sagte er, gerade die Arbeit auf den Intensivstationen zehre an den Kräften. Im Übrigen, so Niedermaier, seien viele im medizinischen Bereich tätige Menschen, auch Ärztinnen und Ärzte, "stinksauer", weil sich immer noch so viele nicht impfen ließen. Im Landkreis liegt die Impfquote nach Auskunft von Florian Streidl, im Landratsamt für Katastrophenschutz zuständig, gerade einmal bei 58 Prozent. Dabei könne man hier, so Lohse, "spontimäßig" ins Impfzentrum gehen, das von Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr geöffnet sei.

Angst, Aggression und Frustration

Lohse macht im Zusammenhang mit der Frage des Impfens "große Emotionen" aus. Auf der einen Seite seien diejenigen, die "zum Teil mystische und mysteriöse Ängste" hätten, etwa vor Nebenwirkungen oder davor, keine Kinder mehr bekommen zu können. Auf der anderen Seite gebe es auch unter den Geimpften Menschen mit "Ungeduld, Aggression und Frustration".

Das Gesundheitsamt stockt nach den Worten seiner stellvertretenden Leiterin Dorothea Jörg immer wieder sein Personal auf, um die zunehmende Arbeit zu bewältigen. Zuletzt seien fünf "Ad-hoc-Kräfte" aus dem Finanzamt dazugekommen. Derzeit, so Landrat Niedermaier, seien im Bereich der Corona-Fallbearbeitung 60 Leute eingesetzt, manche zwar nur in Teilzeit, aber in Summe kommen man auf "30 Vollzeitäquivalente". Er rechne zuversichtlich damit, so der Landrat, dass die ausstehenden 400 Fälle bis zum Wochenende abgearbeitet würden. "Am Montag sind wir wieder auf der richtigen Spur."

Falls alle Intensivbetten im Rettungsverband belegt wären, müsste der zuständige Ärztliche Leiter Krankenhauskoordination, Martin Dotzer vom Klinikum Murnau, entscheiden, dass keine sogenannten elektiven Eingriffe mehr vorgenommen werden, also keine Operationen mehr, deren Termin nicht als unaufschiebbar gilt. Lohse sagte, dazu zählten auch Krebsoperationen. Er bat zu bedenken, was es für die Betroffenen bedeuten würde, wenn diese OPs "gecancelt" würden.

Mehr zu den Corona-Statistiken im Landkreis unter: www.lra-toelz.de/coronazahlen-toelwor

© SZ vom 05.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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