Spätfolgen von Corona:Einsam nach der Pandemie

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Junge Menschen und Einsamkeit: Zu diesem Thema tauschten sich Vertreter von Schulen, Jugendarbeit und medizinischen Einrichtungen beim Fachforum im Landratsamt aus. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Beschränkungen der Corona-Zeit sind vorbei, doch die seelischen Folgen für Kinder und Jugendliche sind nach wie vor zu spüren. Davon berichten Experten aus dem Landkreis bei dem Fachforum "Jugend(sozial)arbeit" in Bad Tölz.

Von Quirin Hacker, Bad Tölz

Die Seele junger Menschen leidet unter den Spätfolgen der Corona-Pandemie. So lässt sich das Ergebnis des Fachforums "Jugend(sozial)arbeit" beschreiben, zu dem das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen eingeladen hatte. Das Thema lautete: "Junge Menschen und Einsamkeit". Ziel sei es, Fachwissen auszutauschen und "den Zusammenhalt der Sozialpädagogen im Landkreis zu stärken," sagte Kreisjugendpflegerin Verena Peck, die das Forum moderierte, vor Vertretern von Schulen, der Jugendarbeit und von medizinischen Einrichtungen. Nach zwei Vorträgen in großer Runde tauschten sich die Teilnehmenden bei Workshops in kleineren Gruppen aus.

Zunächst stellte Stephan Gebrande, Leiter des Gesundheitsamtes vom Landkreis, den Einsamkeitsbericht vor. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat Einsamkeit dieses Jahr zum Präventionsthema erhoben. Damit will das Ministerium über die gesundheitlichen Risiken von lang andauernder Einsamkeit aufklären, das Thema entstigmatisieren. In diesem Zug ist der Einsamkeitsbericht entstanden, der Zahlen liefert, wie viele Menschen sich in Bayern einsam fühlen. Der Bericht ist im Internet öffentlich zugänglich.

Den Einsamkeitsbericht der Bayerischen Staatsregierung erläuterte Stephan Gebrande, Leiter des Gesundheitsamtes im Landkreis (Foto: Harry Wolfsbauer)

Einsamkeit sei zwar keine Krankheit, so Gebrande. Aber durch sie steige das Risiko für andere Erkrankungen, wie zum Beispiel Depression. "Einsame Menschen essen schlechter, bewegen sich weniger und haben ein schwächeres Immunsystem", erklärte der Leiter des Gesundheitsamts. Er hob hervor, dass die Verantwortung für die Vorsorge gegen Einsamkeit nicht nur beim Einzelnen liege, sondern von gesellschaftlichen Strukturen abgefangen werden müsse. Deshalb seien Jugendarbeit und Angebote von Schulpsychologen so wichtig. "Das Jugendzentrum sollte ein Ort sein, der Einsamkeit entgegenwirkt," findet auch Maria Sprenzel, die seit Oktober den Jugendclub Don Bosco in Benediktbeuern leitet.

"Gefühle von Einsamkeit, Isolation und Angst."

"Einsamkeit bezeichnet das subjektiv empfundene, negative Gefühl der Diskrepanz zwischen gewünschten und vorhandenen sozialen Beziehungen" - so definiert der Bericht diese Empfindung. Besonders einsam fühlen sich laut Bericht - neben älteren Menschen - Jugendliche und junge Erwachsene. Die im Bericht aufgegriffene SOEP-Studie stellte für die jüngste befragte Altersgruppe die höchste Einsamkeitsrate fest. Das ist eine Folge der Pandemie. 2017 gaben bayernweit 1,5 Prozent der 18- bis 25-Jährigen an, häufig oder sehr häufig einsam zu sein. 2021 waren es 31,7 Prozent. "Das Wegbrechen sozialer Kontakte durch die pandemiebedingte Schließung von Schulen und Kindertageseinrichtungen hat bei vielen jungen Menschen Gefühle von Einsamkeit, Isolation und Angst ausgelöst und psychischen Stress verursacht," zitierte Gebrande den Bericht. Die Besucherzahlen in den Jugendzentren hätten nach dem Ende der Beschränkungen nicht wieder das ursprüngliche Niveau erreicht.

Jüngere Patienten, schwerere Erkrankungen: Von den negativen Folgen der Pandemie berichtete Adelina Mannhart, leitende Oberärztin im Klinikbereich West des kbo-Heckscher-Klinikum. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Von den negativen Auswirkungen der Pandemie auf den seelischen Zustand von Kindern und Jugendlichen berichtete auch Adelina Mannhart im zweiten Vortrag des Forums. Sie ist leitende Oberärztin im Klinikbereich West des kbo-Heckscher-Klinikums, das sich an verschiedenen Standorten im Landkreis um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen kümmert. Durch die Kontaktbeschränkungen sei es zu einer Unterbrechung der Hilfestrukturen gekommen, weil viele Anlaufstellen schließen mussten. Nun gibt es mehr Patienten, längere Wartelisten und einen höheren Bedarf an Notfallversorgung. Außerdem konstatierte die Oberärztin jüngere Patienten und schwerere Erkrankungen.

Laut Mannhart fehlten während der Isolation Entwicklungsräume außerhalb des Elternhauses. Besonders hart habe es Familien getroffen, die Einschränkungen der Pandemie schlecht abfedern konnten. Dazu gehören Alleinerziehende, sozial Schwache, Kinder mit psychologischen Vorerkrankungen und Familien mit Migrationshintergrund.

"Einsamkeit und psychische Krankheitsbilder sind für uns Alltag."

Ferner haben durch die Pandemie digitale Medien im Alltag von Kindern und Jugendlichen an Bedeutung gewonnen. Bei einigen habe sich eine krankhafte Nutzung etabliert. Mannhart beschrieb das Bild des Hikikomori. Der Begriff kommt aus Japan und beschriebt Jugendliche - meistens Jungen -, die sich in ihr Zimmer zurückziehen und den Kontakt zu Familie und Gesellschaft auf ein Minimum begrenzen.

Das Thema des Forums fand Anklang bei den Teilnehmenden. "Einsamkeit und psychische Krankheitsbilder sind für uns Alltag," sagte Roswitha Rittinger, Leiterin des heilpädagogischen Jugendhauses Bad Tölz. Patrick Schmook, der in Geretsried als Streetworker in der aufsuchenden Jugendarbeit tätig ist, hat vom Forum die Erkenntnis mitgenommen, "dass sich Einsamkeit und psychische Erkrankungen gegenseitig bedingen. Für Maria Sprenzel war der Vernetzungsaspekt wichtig. "Es ist gut zu wissen, wer in den Nachbargemeinden in meinem Bereich tätig ist." Nun habe sie einen Überblick, welche Anlaufstellen es im Landkreis gibt, an die sie Jugendliche mit Depressionen weiterleiten kann.

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