Cornelia Irmer im Gespräch:"Ohne Frauen geht es auf Dauer nicht"

Lesezeit: 6 min

Die Geretsrieder Altbürgermeisterin spricht über Gleichstellung in der Politik. Ihr Rat an potenzielle Kandidatinnen zur Kommunalwahl: Mitreden und dazulernen.

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen/Geretsried

"Politik braucht Frauen - mischen Sie sich ein": Unter diesem Titel lädt die Gleichstellungsbeauftragte Karin Weiß zu einer Veranstaltung. Cornelia Irmer, Kreisrätin und Geretsrieder Altbürgermeisterin, hält dort ein Impulsreferat. Die SZ hat mit ihr über die Situation der Frauen in der Politik gesprochen.

SZ: Frau Irmer, Sie waren beruflich wie politisch in einer Spitzenposition. In welchem Bereich haben es Frauen nach Ihrer Erfahrung schwerer?

Cornelia Irmer: Leider immer noch in der Politik, ist mein Eindruck. Es ist noch nicht selbstverständlich, dass Frauen in der Politik auch herausgehobene Positionen bekleiden.

Liegt das an den Frauen oder an den Männern?

Sowohl als auch. Da gab's mal in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel, der endete sinngemäß so: "Er muss es zulassen, und sie muss loslassen." Das bringt es gut auf den Punkt. Männer müssen wirklich mehr Frauen zulassen und das für selbstverständlich erachten. Aber Frauen müssen auch viele ihrer Vorstellungen, Aufgabenstellungen loslassen.

Meinen Sie Kinder, Küche ...

Im Haushalt, in der Küche, in der Organisation des Alltags und so weiter. Ich denke, dass Männer das auch könnten. Man muss als Frau ein Stück weit loslassen, um sich einen Freiraum zu schaffen.

Sind familiäre Aufgaben der Hauptgrund für Frauen, nicht in die Politik zu gehen?

Es wird immer wieder als einer der Gründe angeführt. Und unbestritten ist: Die Doppelbelastung Familie und Beruf betrifft nach wie vor hauptsächlich Frauen. Auch in jüngeren Familien. Dann sagen Frauen oft: Ja, die Sitzungen sind abends, und da mag ich nicht weggehen. Und die sind dann so lang und so nervig, und dann reden so und so immer nur dieselben. Ja, klar (lacht): Wenn keine anderen hingehen, reden immer dieselben.

All das war für Sie offenbar kein Hindernis. Haben Sie einen besseren Mann?

Erstens habe ich einen sehr verständnisvollen Mann. Er hat mir sehr viel ermöglicht, einfach dadurch, dass er mich immer unterstützt hat. Der Rückhalt aus der Familie spielt eine große Rolle. Aber man muss in der Familie auch diskutieren. Wenn eine Frau nie zum Ausdruck bringt, dass sie sich für Politik interessiert und gern mitmischen würde - woher soll's der Rest der Familie wissen?

Wenn Sie eine Tochter hätten, die bei der nächsten Kommunalwahl gern kandidieren würde, was würden Sie ihr raten?

Erstens würde ich ihr zuraten, das zu tun, unbedingt. Zweitens würde ich ihr raten, mal im Freundinnenkreis darüber zu sprechen. Vielleicht findet sich die eine oder andere, die mitmacht. Und dann eben einfach mal Veranstaltungen besuchen, in denen kommunale Themen diskutiert werden, und sich da einbringen. Damit sie Erfahrungen sammeln kann: Wie ist denn das so, sich in einer Runde zu Wort zu melden? Wie ist es, wenn man unterbrochen wird, trotzdem den Faden nicht zu verlieren; wenn eine Gegenrede kommt, nachzudenken und zu überlegen: Mit welchen Positionen komme ich klar, mit welchen nicht? Das kann man ja trainieren.

Wie haben Sie das gelernt?

Ich mache jetzt 36 Jahre die Frauengruppe in der KAB, der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung, bin seit rund vierzig Jahren in der KAB, war da Bezirks- und auch Diözesanvorsitzende. Wir haben uns sehr viel mit gesellschafts- und sozialpolitischen Themen auseinandergesetzt. Und da fängt man an, das zu lernen: Erstens sich mit einem Thema zu befassen, und zweitens auch, sich in Diskussionsrunden zu Wort zu melden, den eigenen Standpunkt zu vertreten, zu erläutern. Das kam bei mir durchs Ehrenamt.

Raten Sie Frauen, die in die Politik gehen wollen, sich in einem Verein zu erproben?

Unbedingt! Also, ehrenamtliches Engagement bereichert nicht nur den Verein oder den Verband, sondern mich selbst in einem hohen Maß. Weil ich ja immer eine Rückmeldung bekomme: Wie erleben mich die anderen? Was finden sie gut, worüber freuen sie sich, was finden sie auch mal weniger gut? Daraus kann ich lernen. Daran wachse ich. Ich war zum Beispiel auch mal Elternbeirätin im Kindergarten, das fand ich auch interessant. Das waren so die ersten Schritte. Und dann traut man sich immer mehr.

Haben Sie Frauenfeindlichkeit in der Politik erfahren?

Ich persönlich nicht.

Woran, meinen Sie, lag das?

Vielleicht war ich durch den Beruf erprobt, weil ich da auch in erster Linie mit Männern zu tun hatte. Und ich denke, es liegt auch daran: Wenn eine Frau ein selbstbewusstes und selbstbestimmtes Auftreten hat, ist sie weniger angreifbar. Feindliche Strömungen kommen immer dann, wenn andere Menschen - nicht nur Männer - eine Unsicherheit spüren, wo man einhaken könnte.

Für Frauen, die überlegen, ob sie es wagen sollen, in die Politik zu gehen, nicht gerade ermutigend. Die haben dieses Selbstbewusstsein vielleicht noch nicht.

Aber es wächst mit jedem Auftritt. Und so, wie die Zeiten im Moment sind, denke ich, könnte es für Frauen sehr viel leichter sein, sich einzubringen, weil viele der Parteien oder politischen Gruppierungen schön langsam - sehr langsam! - kapieren, dass es ohne Frauen auf Dauer nicht mehr gehen wird. Also, es ist jetzt schon eine etwas größere Bereitschaft da, Frauen auch was werden zu lassen.

Der Landkreis spiegelt das nicht wider. Vor der Kommunalwahl 2008 gab es hier vier Bürgermeisterinnen, jetzt sind es nur noch zwei. In den Gemeinderäten sind mal zwei von 17 Mitgliedern Frauen, mal vier von 21.

(Stöhnt)

Also, besser geworden ist es nicht.

Leider nicht, nein.

Was müsste getan werden? Es gibt ja gezielte Versuche in der Erwachsenenbildung, Frauen für Mandate zu qualifizieren. Ist das nötig?

Dann wäre es für Männer auch nötig. Das ist ein Argument, das ich überhaupt nicht nachvollziehen kann: Wenn gerade Frauen sagen: "... aber wir wollen doch nur qualifizierte Frauen in der Politik." Da stellt sich mir immer sofort die Frage: Sind denn alle Männer, die kandidieren, qualifiziert? Stellt da jemand eine solche Frage? Frauen sind genauso wie Männer dafür qualifiziert, wenn sie eine Offenheit mitbringen, wenn sie Interesse haben, wenn sie bereit sind, die Erfahrungen aus ihrem Lebensbereich einzubringen. Und - das ist in meinen Augen das Wichtigste - wenn sie bereit sind, dazuzulernen. Jeden Tag, immer wieder aufs Neue. Qualifikation ist gut und wichtig, aber bitte für Frauen und Männer!

Was sagen Sie den Frauen bei der Veranstaltung "100 Jahre Frauenwahlrecht"?

Zuerst mache ich einen kurzen Rückblick, wie sich das Frauenwahlrecht in Deutschland entwickelt hat. Ich fange 1848 an, bei der Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt, wie dann die Bewegung wieder unterdrückt wurde, es ein Verbot für Frauen gab, politisch tätig zu sein, bis am Beginn des 20. Jahrhunderts die Bewegung so stark war und natürlich auch beeinflusst durch den Ersten Weltkrieg, dass man das einfach nicht mehr ignorieren konnte. Und dann die Zeit Weimarer Republik, Drittes Reich, wo die Frauen wieder rausgedrängt wurden und zurückgedrängt auf das tradierte Mutter- und Familienbild. Und dann noch so ganz kurz angerissen, was den Wenigsten bewusst ist, dass zwar im Grundgesetz steht, Männer und Frauen sind gleichberechtigt, aber wie lange es gedauert hat, bis es sich in allen Gesetzgebungsaspekten niedergeschlagen hat. Bis in die Siebzigerjahre hinein.

Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit zwanzig Jahren strafbar.

Ja! Oder jetzt diese unselige Diskussion über den Paragraf 219 a. Es ist nach wie vor die Bevormundung von Frauen. Als wären Frauen zu blöd, selber zu entscheiden, bei welchem Arzt oder welcher Ärztin sie was machen lassen.

Das sagen Sie als Katholikin?

Ja. Absolut.

In einem Interview der SZ vor elf Jahren sagten Sie: " Ich erlebe, dass sich Frauen für Kommunalpolitik interessieren, aber das an mir festmachen. Das Vorbild ist wichtig. Wir Frauen haben in Sachen Vorbilder Nachholbedarf, darum ist es so wichtig, dass Frauen kandidieren." - Wo sind die Vorbilder heute?

Ja, das frage ich mich auch, verflixt nochmal! Ich versuch's ja nach wie vor zu sein. Aber es müssten noch viel, viel mehr dazukommen. Also, ich sehe schon, dass Sonja Frank, Vera Kraus, Heidi Dodenhöft, Edith Peter bei uns im Stadtrat, dass die alle sich hinstellen und einstehen für ihre Dinge und da so richtig gut reingewachsen sind. Ich habe jetzt nicht alle Namen genannt, das soll die anderen Frauen im Stadtrat nicht schlechter erscheinen lassen, die machen es genau so gut.

Sonja Frank könnte ein noch besseres Vorbild sein, wenn es die Männer nicht vorgezogen hätten, drei Bürgermeister in dieser Stadt zu haben. Als Stellvertreter von Michael Müller wurden ja Hans Hopfner und Gerhard Meinl gewählt - und Sonja Frank unterlag. Hat sie nicht auch ein überzeugendes Auftreten?

Absolut. Sie kennt sich gut aus. Sie arbeitet sich in die Themen ein. Es ist das, was so wenig greifbar ist für uns Frauen: Was läuft da eigentlich ab, dass Männer sich gegenseitig immer wieder nach vorne schubsen?

Sie glauben, dass Männer gezielt Männer bevorzugen?

Ich glaube, dass das gar nicht immer mit sehr viel Überlegung abläuft, sondern so von innen raus kommt, ganz spontan - weil's halt auch immer so war.

Was ist Ihre Prognose für die nächste Kommunalwahl?

Meine Hoffnung ist, dass es wesentlich besser wird. Für eine Prognose ist es mir fast noch a bissl zu früh.

Und wenn Sie's gesamtgesellschaftlich anschauen: Gibt es eine Aufbruchstimmung?

Ein bisschen. Es ist ein zartes Pflänzchen, und wir würden es gern hegen und pflegen, dass es wächst.

© SZ vom 26.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: