SZ-Adventskalender 2023/2024:Abschied von der Beulenschleuder

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Für die Abholung und Lieferung gebrauchter Möbel benötigen Caritas-Kreisgeschäftsführer Wolfgang Schweiger und Fachdienstleiterin Eva-Maria Schatton einen zweiten Transporter. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Caritas braucht für ihren Möbelmarkt "Carisma" ein zweites Fahrzeug zum Abholen und Liefern. Obwohl die Kundenfrequenz in dem Geschäft in Geretsried zugenommen hat, kann das große Sozialprojekt nicht kostendeckend betrieben werden.

Von Klaus Schieder, Geretsried

Eine Stunde nach der Öffnung füllt sich der Möbelmarkt "Carisma" in Geretsried allmählich. Im großen Verkaufsraum im Souterrain schlendert ein junges Paar an offenen Regalen mit Tassen, Tellern, Schüsseln und allerlei Nippes vorbei, ein Mann und eine Frau sehen sich ganz hinten Sofas und Sessel an. Nahe der Kasse ist ein Tisch mit weihnachtlichen Accessoires dekoriert. Eine alte Schreibmaschine steht auf einer Kommode und wäre für zehn Euro zu haben. Ein wenig teurer ist der Bar-Schrank, der innen grün-samtene Einsätze für Flaschen und Gläser offenbart, was - nun ja - Geschmacksache ist. Aber gleich daneben steht ein Prachtstück: ein alter Bauernschrank aus dem Jahr 1793, nicht mehr ganz farbfrisch, aber noch gut erhalten. Preis: 380 Euro. Um solche Stücke aus dem ganzen Landkreis abzuholen oder zu liefern, benötigt die Caritas Bad Tölz-Wolfratshausen dringend ein zweites Fahrzeug. Bisher hat sie bloß noch einen Sprinter für den Möbeltransport. "Unsere alte Beulenschleuder hat den Geist aufgegeben", sagt Eva-Maria Schatton, Fachdienstleiterin der Caritas.

Neues Geschäft mit Laderampe, Aufzug, Büros und Lager

Die Beulenschleuder hätte noch gut zur früheren Carisma-Adresse gepasst. Vor knapp vier Jahren musste die Caritas ihren Möbelmarkt an der August-Moralt-Straße in Bad Tölz schließen, weil das Gebäude einem neuen Wohnblock wich. Der Laden war rund 450 Quadratmeter eng, die Kunden zwängten sich zwischen Schränken und Tischen hindurch, für die Mitarbeitenden gab es nur eine Toilette, die An- und Abfahrt war auf dem kleinen Parkplatz vor dem Eingang schwierig. Mehr als ein Jahr suchte die Caritas nach neuen Räumen, erst in Bad Tölz, schlussendlich ohne Erfolg.

Dann wurde sie in der Sudetenstraße 49 in Geretsried fündig. Weil sich darin schon vorher ein Möbelgeschäft befunden hatte, wurde für die Carisma-Beschäftigten nun vieles einfacher: Es gibt einen großen Parkplatz, eine Laderampe, einen Aufzug, Büros, ein Lager. "Wir haben hier auch die Möglichkeit, Möbel mal etwas aufzuwerten, zum Beispiel mit einem Holzmittel zu polieren", sagt Wolfgang Schweiger, Kreisgeschäftsführer der Caritas. Insgesamt stehen rund 950 Quadratmeter zur Verfügung.

An den gebrauchten Sesseln, Sofa und Tischen im Carisma-Markt lässt sich bisweilen der Möbelgeschmack vergangener Zeiten erkennen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Manchmal hat ein erzwungener Umzug eben auch Gutes. Der Eigentümer des Gebäudes, in dem die Caritas im Erdgeschoss auch ihren Kinderladen betreibt, sei "sehr wohlwollend" gewesen, sagt Schweiger. Er habe eigens eine Heizung im Keller eingebaut, den Brandschutz gesichert, den Umbau des Lagers vorgenommen. "Das war wirklich fair", sagt der Kreisgeschäftsführer. Die Caritas wiederum habe dafür einen Mietvertrag mit einer Laufzeit von zehn Jahren unterzeichnet. Und der Kinderladen, der vormals im Caritas-Zentrum angesiedelt war und stark reduzierte Öffnungszeiten hatte, habe hier sogar Schaufenster und dementsprechend Laufkundschaft, sagt Schatton. "Vom Sozialraum her ist das eine gute Lage." Schweiger ergänzt: "Geretsried ist die größte Stadt im Landkreis, mit Wolfratshausen nebenan, das Kundenpotenzial ist einfach größer."

Die etwa 30 Mitarbeitenden sind oft Langzeitarbeitslose oder psychisch Erkrankte

Carisma ist aber nicht bloß ein Möbelgeschäft mit preisreduzierter Ware. Es ist zunächst und vor allem ein Sozialprojekt, das beim Caritas-Fachdienst "Beschäftigung, Integration, Qualifizierung", kurz: BIQ, angesiedelt ist. Circa 30 Frauen und Männer, die vom Jobcenter in Bad Tölz zugewiesen wurden, arbeiten dort teils im Verkauf, teils in der Logistik. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Langzeitarbeitslose, die wieder an den Arbeitsalltag herangeführt und eine Tagesstruktur bekommen sollen. Oder auch um psychisch Erkrankte. Oder um Menschen mit sozialen Problemen. Jeder von ihnen habe "sein Päckchen zu tragen, aber im Team funktioniert es", sagt Fachdienstleiterin Schatton.

(Foto: SZ)

In der Logistik gibt es zwei Fahrer, die jeweils zwei weitere Beschäftigte mitnehmen, um Möbelspenden zu sichten, abzuholen oder abzuliefern. Da komme es auf körperliche Belastbarkeit und auch auf handwerkliches Geschick an, sagt Schweiger. Früher habe die Caritas sogar mal einen 7,5-Tonnen-Lastwagen besessen. Aber selbst wenn sie noch einen hätte, gäbe es inzwischen kaum jemanden, der ihn fahren dürfe oder sich dies dann zutraue. Im Verkauf wiederum gibt es eine Leiterin und einen Leiter, das Team kümmert sich nicht bloß um Kunden, sondern ist auch für Ordnung, Umräumen, Aussortieren und Abstauben zuständig.

In den Vitrinen werden auch manch kleine Dekorationen zum Verkauf angeboten. (Foto: Hartmut Pöstges)

Seit vor allem Frauen im Carisma-Markt arbeiten - in Tölz war es fast eine reine Männergesellschaft -, bemerkt Schweiger angenehme Veränderungen. "Wenn man hinschaut, sieht man viele kleine sympathische Dinge", erzählt er. Da steht hier mal ein Kerzenständer, dort eine Vase zur Dekoration - und die Kaffeeküche ist mittlerweile auch sauber. "Es ist schon ästhetischer", pflichtet Schatton bei. Für Männer wie Frauen aber gelte: "Sie erfahren hier Wertschätzung, und zwar nicht bloß von Sozialpädagogen, sondern von den Kunden, die ihnen Feedback geben und beispielsweise sagen, das habt ihr aber schön dekoriert."

"Der Kundenstamm hat sich deutlich erweitert."

Carisma ist auch nicht mehr bloß ein Laden, wo sich sozial Benachteiligte ein paar Gebrauchtmöbel kaufen können. Neben diesen Bestandskunden, wie Schweiger sagt, kämen Studenten bis aus München, viele Familien aus allen Bevölkerungsschichten und eine Zeit lang Geflüchtete aus der Ukraine, aber auch Besucher, die genug Geld für einen Einkauf in einem teuren Möbelmarkt hätten. "Der Kundenstamm hat sich deutlich erweitert", berichtet der Kreisgeschäftsführer. Der Grund dafür sei der Gedanke der Nachhaltigkeit und der damit verbundenen Renaissance des Gebrauchten. Die Caritas hat dies auch auf ihrem Eingangsschild in der Sudetenstraße 49 vermerkt: "Carisma - nachhaltig einkaufen."

Sogar alte Trimmgeräte gehören zum Sortiment des Carisma-Marktes. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Ware - vom Geschirr bis zur Eckbank - stammt zumeist aus Wohnungsauflösungen nach Todesfällen oder von Umzügen, manchmal auch einfach von Leuten, die sich etwas Neues kaufen und ihre alten Möbel abgeben möchten. Die Caritas sieht sich die Angebote genau an und nimmt beileibe nicht alles mit. "Seit man für die Entsorgung auf der Deponie zahlen muss, haben die Fälle zugenommen, wo Leute uns etwas andrehen wollten", erzählt Schatton. Aber kaputte oder zerrissene Sachen werden ebenso wenig abgenommen wie Unzeitgemäßes. Für solche Ladenhüter gibt es auch bei Carisma keinen Platz. "Wie jeder Laden brauchen wir einen Durchlauf", sagt Schweiger.

Der Erlös aus dem Verkauf reicht nicht aus, um den Möbelmarkt zu finanzieren. Die Caritas erhält vom Bezirk Oberbayern noch einen Zuschuss zu den Personalkosten und einen Pauschalbetrag pro Langzeitarbeitslosem vom Landratsamt. Hinzu kommen die schrumpfenden Eigenmittel der katholischen Kirche. Dennoch, sagt Schatton: "Das ist alles leider nicht kostendeckend." Außerdem könne man die Preise nicht einfach verteuern, sagt Schweiger. "Die Einnahmen, die wir generieren, sind immer noch fair." Und so bleibt eben kein Geld übrig für einen Nachfolger der Beulenschleuder.

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