Einmal hatte Markus Ertl eine unersprießliche Begegnung mit einem Busfahrer. Er hatte seinen Blindenstock benutzt, um den Einstieg in den Bus zu finden, und dabei auch ans Fahrzeug geklopft. "Da hat der Busfahrer mich geschimpft, warum ich seinen Bus verkratze", erzählt der Sprecher des Arbeitskreises für Menschen mit Behinderungen im Landkreis. Wäre der Zentrale Omnibus-Bahnhof (ZOB) am Isarkai in Bad Tölz so barrierefrei, wie er sein sollte, hätte Ertl seinen Stock gar nicht gebrauchen müssen. Denn gäbe es ein Einstiegsfeld für Sehbehinderte, "dann weiß ich, da hält der Bus". All diese Konjunktive ist das Aktionsbündnis "ÖPNV für alle" leid. Sein Schreiben an politische Gremien im Landkreis trägt die Überschrift: "Barrierefreie Bushaltestellen jetzt." Und dieses Jetzt besteht aus lauter Großbuchstaben.
Dem Aktionsbündnis gehören neben dem Arbeitskreis für Menschen mit Behinderungen auch der Seniorenbeirat Bad Tölz-Wolfratshausen und Ralph Seifert, Behindertenbeauftragter des Landkreises, an. Ihre Kritik: Seit 2013 schreibt das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) vor, dass sämtliche Bushaltestellen von Landkreisen, Städten und Gemeinden bis Anfang 2022 barrierefrei sein sollen. Passiert ist bisher jedoch nicht viel. 104 Bushaltestellen mit mehr als 50 Ein- und Umsteigern pro Werktag sind im Nahverkehrsplan des Landkreises aufgeführt. Bei den meisten steht unter der Rubrik "Barrierefrei" die Antwort: nein. Deshalb sei man "maximal enttäuscht über den aktuellen Stand", sagt Ertl. Für Seifert kommt es nun darauf an, Druck zu erzeugen: "Wir müssen die breite Öffentlichkeit wachrütteln, das ist unser Hauptanliegen."
"Man kann den Bahnhof nicht isoliert betrachten."
Der ZOB in Bad Tölz ist ein Beispiel für jene Haltestellen, die Ertl zufolge für behinderte Menschen "nicht nutzbar und inakzeptabel" sind. Da ist etwa das alte Kopfsteinpflaster: Ein Rollstuhlfahrer oder ein Senior mit Rollator kommt auf diesem Belag nur mit Mühe voran und womöglich zu spät zum Bus - zumal dann, wenn er bei Regen auf den überdachten Sitzplätzen gewartet hat, die weit von manchen Busbuchten entfernt sind. Da fehlt es außerdem an Bodenindikatoren und taktilen Leitelementen für Sehbehinderte. Dazu gehören kontrastreiche Orientierungsstreifen, kleine Korridore aus hellen Bodenplatten mit Rillen und Noppen. Und da sind auch die Wege hin zum ZOB nicht barrierefrei. "Man kann den Bahnhof nicht isoliert betrachten, auch das Umfeld muss barrierefrei sein", sagt Ertl.
Für ihn gibt es noch andere Haltestellen im Landkreis, die für Sehbehinderte problematisch sind. Am S-Bahnhof in Wolfratshausen mangle es an der "Durchgängigkeit" vom Bahnhofsvorplatz zu den Bushaltestellen an der Sauerlacher Straße. "Wenn ich es nicht wüsste, würde ich nicht finden, wo die Schnellbusse fahren." Am neuen Busstopp in Oberfischbach gebe es kein Bodenleitsystem. Die Haltestelle am Tölzer Maxlweiher, die vor den Kreisverkehr gesetzt wurde, sei "nicht auffindbar und nicht barrierefrei".
Mobilität ist für die Vertreter des Aktionsbündnisses eine gewichtige Komponente, damit Senioren und Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben führen können. Ansonsten bleibe man daheim eingesperrt oder müsse immer wieder jemanden fragen: Kannst du mich da hinfahren, sagt Seifert. Auf diese Beweglichkeit werde es künftig angesichts des demografischen Wandels noch mehr ankommen. Von barrierefreien Bushaltestellen profitieren für Hermann Lappus auch andere Bevölkerungsgruppen, etwa Eltern mit Kinderwagen oder verletzte Personen, die vorübergehend nicht Auto fahren können. "Ein barrierefreier Ausbau sollte für unsere Region, für all ihre Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Gäste als Qualitätsmerkmal angesehen werden", sagt er.
"Kommunen müssen vorher mit uns reden"
Das Aktionsbündnis fordert den Landkreis und die Kommunen auf, ihrer Verpflichtung bei den Bushaltestellen endlich nachzukommen. Wenn eine davon nicht barrierefrei umgestaltet werde, so sei dies die Ausnahme und eigens zu begründen, verlangen sie. Außerdem erwarten sie "Aussagen über erforderliche Maßnahmen und zeitliche Vorgaben". Der Tölzer Bürgermeister Ingo Mehner (CSU), der sich mit Vertretern des Bündnisses unlängst am ZOB getroffen hatte, vermochte noch keinen Zeitplan vorzulegen, wie Ertl berichtete. Aber er habe sich diesen Knotenpunkt angeschaut und wisse, "dass sie da was machen müssen".
Auch darauf kommt es Lappus, Ertl und Seifert an: Sie wollen gehört werden. Und zwar beizeiten. "Mehrmals ist uns schon von Kommunen angeboten worden, dass man drüberschaut, ob das so passt", berichtet Seifert. "Wir müssen da hinkommen, dass die Kommunen vorher mit uns reden." Ertl drückt dies so aus: "Wir möchten nicht gerne hinterher schimpfen, sondern vorher eingebunden sein."