Nach dem Ersten Weltkrieg war der Wille zum Neuanfang groß, trotz der wirtschaftlichen Not. Überall im Land entstanden in den 1920er- und 1930er-Jahren Wohnsiedlungen, Postämter, Verwaltungs- und Gewerbegebäude in neuem Stil: Schlicht, funktional, schnörkellos. "Wir wollen den kalten, organischen Bauleib schaffen, nackt und strahlend aus innerem Gesetz heraus, ohne Lügen und Verspieltheiten, der unsere Welt der Maschinen, Drähte und Schnellfahrzeuge bejaht", schrieb Bauhaus-Gründer Walter Gropius im Jahr 1923. Bayern war nicht das Zentrum dieser neuen Architektur-Welt, lieferte aber mit der "Postbauschule" einen wichtigen Beitrag. Prägend war der Architekt Robert Vorhoelzer, der etwa in Kochel am See das Verstärkeramt baute. Es wurde im Jahr 2020 abgerissen, das ehemalige Ferienheim von Emil Freymuth am Kochelseeufer fiel heuer den Baggern zum Opfer. Versäumnisse des Denkmalschutzes, ausgebliebene Sanierungen, mangelndes Wissen, fehlende Wertschätzung - all dies führt dazu, dass die Zeugnisse dieser weltweiten Architekturbewegung bedroht sind.
Die Ausstellung im Stadtmuseum mit dem Titel "Die Moderne der Welt zu Gast in Bad Tölz" will die Sensibilität für die besondere Architektur der Zwischenkriegsjahre schärfen. Etwa 50 Fotos des Berliner Fotografen Jean Molitor und Texte der in Geretsried lebenden Architekturhistorikerin Kaija Voss sowie Leihgaben und Objekte sind in den Räumen des Stadtmuseums zu sehen. Auf Initiative von Christof Botzenhart, Dritter Bürgermeister und Kulturbeauftragter der Stadt, und mit Unterstützung von Museumsleiterin Elisabeth Hinterstocker wurde die Ausstellung im Stadtmuseum konzipiert.
In den beiden vorderen Räumen sind Beispiele aus diversen Ländern zu sehen, im hinteren Raum liegt der Fokus auf Bayern, "dem Herzstück" der Ausstellung, wie Voss sagte. Zehn der insgesamt etwa 50 Fotografien sind aus dem Landkreis - von klassischen Bauhaus-Gebäuden bis zu Mischformen und Varianten aus den 1950er und 60er Jahren. Vor allem Bad Tölz hat sich in den 1920er Jahren mit großer Dynamik entwickelt: Der neue Bahnhof wurde gebaut, die Gewerbehalle, die heute den kleinen Kursaal beherbergt. Die Post, die Wetterwarte in der Badstraße mit dem schlichten Turm und die Wandelhalle, die mit 110 Metern Länge die größte in Europa war.
Seit 2009 ist der Fotograf Molitor weltweit unterwegs, um Zeugnisse der oftmals bedrohten Bauhaus-Ästhetik zu fotografieren und sie so wenigsten in Bildern zu bewahren. Die Schwarz-Weiß-Fotografien, immer im Querformat, sind gleichermaßen Kunst- und Dokumentarfotografien. Sie stellen die Gebäude in den Mittelpunkt, Menschen oder die Umgebung spielen keine Rolle. Elegant, meist in strahlendem Weiß, mit Flachdächern, geschwungenen Formen, abgerundeten Kanten und klaren Linien. Manches wirkt futuristisch, wie die Aufnahmen aus Tel Aviv, das mit über 4000 Gebäuden im Bauhaus-Stil zum Zentrum dieser internationalen Architekturbewegung wurde. "Bau1haus" heißt das frei finanzierte Projekt von Molitor, dem sich Voss 2016 mit Texten und Recherchen angeschlossen hat. Vier Bücher haben die beiden inzwischen veröffentlicht.
Bei der gut besuchten Eröffnung am Freitag erfuhr man viel Interessantes: Etwa, dass sich die Bayerische Postbauschule als Folge der Eingliederung der bayerischen Post in die Reichspost entwickelte. Quasi "als Trostpflaster" sei eine eigene Bauabteilung bewilligt worden, erklärte Voss. Junge Architekten wie Robert Vorhoelzer, Hanna Löv oder Theodor Fischer hätten den traditionellen Baustil entstaubt und den modernen Bauhaus-Stil für den ländlichen Raum angepasst. Zwischen 1920 und 1935 sind in Bayern 350 Bauten im Stil der Postbauschule entstanden.
In Bad Tölz wurde der neue Baustil im Badeteil umgesetzt. Hier sei das "neue Tölz mit neuer Architektur" entstanden, erklärte Museumsleiterin Hinterstocker. Das Zentrum auf der anderen Isarseite habe als der "Gabriel-von-Seidl-Teil" gegolten. Nach dem Tod Seidls im Jahr 1913 wurde der junge Architekt Theodor Fischer zum neuen Star-Architekten in der Kurstadt. Fischer baute unter anderem 1927 die Gewerbehalle mit den beiden Oberlichtbändern, die sich als mondäner Konsumtempel entwickelte - fast eine "Maximilianstraße von Bad Tölz", wie Hinterstocker erklärte. Fischer setzte sich auch dafür ein, dass der Neubau der Wandelhalle ausgeschrieben wurde. Einige der insgesamt 109 Bewerberentwürfe sind in der Ausstellung zu sehen.
Trotz der wirtschaftlich schlechten Situation sei in den 20er Jahren in Bad Tölz investiert und in großem Stil gebaut worden, sagte Botzenhart. "Man tat dies nicht nostalgisch, sondern selbstbewusst im Stile der damals modernen Architektur." Es sei zu wünschen, dass die Ausstellung nicht nur den architektonischen Wert zahlreicher Gebäude und deren Schutzwürdigkeit bewusst mache. Sie sei auch Ansporn: Dass der Mut und die Aufgeschlossenheit der Stadt von vor 100 Jahren dazu inspiriere, sich den Herausforderungen der Stadtentwicklung "mit der gleichen Dynamik, mit dem gleichen Selbstbewusstsein und mit der gleichen ästhetischen Offenheit" zu stellen.
Ausstellung bis 30. Oktober, Stadtmuseum Marktstraße 48, Bad Tölz. Geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr. Eintritt fünf Euro.