Ausstellung in Penzberg:Das Sichtbare im Unsichtbaren

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Das Campendonk-Museum entfaltet mit der Ausstellung Gerhard Fietz fast ein ganzes Jahrhundert Kulturgeschichte

Von Felicitas Amler, Penzberg

Schöner lässt sich Kunst kaum erklären: "Der Sinn meiner Bilder ist ihre Existenz", so schreibt der Maler Gerhard Fietz, "die Existenz einer verdichteten Anstrengung zur Bildgestalt, zum Werden des Sichtbaren aus dem Unsichtbaren." Diesem bildenden Künstler, der sich nebenbei auch als Formulierungskünstler erweist, ist die aktuelle Sonderausstellung im Penzberger Museum Campendonk gewidmet. Und die entfaltet ein einzigartiges Panorama - einen Blick auf die Kunstgeschichte fast des ganzen 20. Jahrhunderts, von der akademischen naturgetreuen Malerei über den Expressionismus bis zur radikalen Abstraktion. Wer die Schau vom ersten Raum im Erdgeschoss bis zum letzten unterm Dach durchwandert, dem erschließen sich neue Sehweisen.

Fietz, ein bedeutender Vertreter der gegenstandslosen Malerei, hat von 1910 bis 1997 gelebt und über Jahrzehnte hinweg gewirkt. Schon sein Oeuvre erlaubt daher den Blick in unterschiedliche Epochen. Doch Museumsleiterin Freia Oliv hat ein zusätzliches Fenster geöffnet. Sie ordnet Fietz in den Kreis seiner Lehrer und Kunstfreunde ein. Das weitet die Perspektive noch einmal. Und es schmückt die Ausstellung mit einigen höchst anziehungsstarken, weil prominenten Namen: Alexander Kanoldt, Oskar Schlemmer, Heinrich Nauen, Karl Schmidt-Rottluff. Oliv erklärt, sie habe "annähernd chronologisch gehängt", aber auch thematische, farbliche und formale Schwerpunkte gesetzt.

"Opulente Farbwelten"

Die Ausstellung beginnt mit einem Knalleffekt. Gerade hat man das erste Bild betrachtet, ein ruhiges, unschwer als solches zu erkennendes "Obststillleben mit Krügen und einer Weinflasche" Heinrich Nauens (um 1924) in gedeckten Rot-, Braun-, Blau- und Grüntönen. Da wird das Auge blitzartig abgelenkt von einem schmalen, hohen Bild auf der gegenüberliegenden Wand. Schreiendes Rot auf lila Hintergrund, dazu ein gelber Fleck - vielleicht eine Sonne? - und eine schwarze Form - ein Gesicht, ein Vogelkopf? Fietz hat zu seinen Arbeiten keine Titel geliefert. Man sehe also, was man sehen mag. Was freilich nicht zu übersehen ist: Es geht um Farbe. Freia Oliv spricht von den "opulenten Farbwelten des Spätwerks". Das genannte Gemälde stammt aus dem Jahr 1997.

Im Begleittext zur Ausstellung erfahren Wissbegierige mehr. Fietz habe sich bald abgewandt von dem, was er an der Akademie erlernt hatte, schreibt die Kuratorin. "Farbe als Phänomen eigenen Lebens" habe er zeigen, "eine Existenzform von Energien" spürbar machen wollen. Das Museum Penzberg ist in der glücklichen Lage, eine Fülle an frühen Arbeiten Fietz' zu besitzen: 77 Werke, welche die Ingeborg- und Dr.-Thomas-Lensch-Stiftung dem Haus bereits vor einigen Jahren als Dauerleihgabe überlassen hat. Freia Oliv und Mitkuratorin Carolin Koch haben dazu weitere Gemälde und Objekte als befristete Exponate gewonnen, aus der Erbengemeinschaft Gerhard Fietz, der Sparkassenstiftung Lüneburg, aus Privatsammlungen und Museen.

Neben Leinwand hat Fietz auch anderes bemalt. In der Penzberger Ausstellung finden sich reizvolle Stücke, darunter Steine, Keramiken, fliesenartige Tafeln, die mit schemenhaft hingeworfener Bemalung archaisch wirken, und afrikanisch anmutende farbkräftige Masken. Freia Oliv hat selbst eine große Freude an diesen Objekten, sie erzählt stolz und strahlend, wie sie die Transportkisten ausgepackt hat, nicht ahnend, was alles zum Vorschein kommen werde: "Es war, als ob man eine Schatztruhe öffnen würde."

Bemalte Objekte von Gerhard Fietz. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Mit dieser ansteckenden Begeisterung führt die Museumsleiterin auch durch die weiteren Räume und Kabinette des Hauses. Man lernt auf diesem Weg, dass Fietz, am 25. Juli 1910 in Breslau geboren, an drei Akademien studiert hat, in Breslau, Düsseldorf und Berlin, man erfährt von Aufenthalten im Riesengebirge, an der Ostsee und in Schlehderloh bei Icking, wohin er 1939 für zwei Jahre zog und nach Jahren als Soldat im Zweiten Weltkrieg in Russland für weitere fünf Jahre bis 1949 zurückkehrte. Fietz war Mitgründer der Künstlergruppe "Zen 49" in München, lehrte an Kunstschulen in Hamburg und Berlin-Schöneberg, wo er schließlich Professor und 1958 Beamter auf Lebenszeit wurde. Mit Preisen geehrt starb er 1997 im Alter von 86 Jahren in Göddingen.

Seine künstlerische Entwicklung ist in den Worten der Kuratorin "der Weg zur autonomen Gültigkeit des Bildes". Er ist geprägt von zunehmender Abstraktion bis zur "strengsten Geometrie", wie Oliv formuliert und im letzten Raum, unter dem Dach auf ganz wunderbare Weise demonstriert. Dort wird sichtbar, was der Künstler mit diesen Worten gemeint haben könnte: "Ich strebe danach, mein persönliches Leben und meine Handschrift so zurückzuhalten, dass die Eigengesetzlichkeit des Bildes sich frei entfalten kann. Das Bild hat seine eigene Individualität." Der Maler war mehr als 70 Jahre alt, als er dieses Ziel vollständig erreicht hatte. Wer den Abschlussraum der Ausstellung betritt, blickt auf vier Werke, die - so unterschiedlich sie in der Farbgebung sind - zusammengenommen einen eigenen Auf- und Ab-Rhythmus der Linien ergeben. Ganz links ein Bild mit starkem Kontrast in Feuerrot, Lila, Schwarz und Königsblau, ganz rechts eines in zartesten Rosé- und Gelbtönen. Vier Werke mit je eigener Individualität. Ein grandioser Schlussakzent in dieser sehenswerten Ausstellung.

Gerhard Fietz: "Formen Innerer Freiheit" , bis 27. Februar 2022, www.museum-penzberg.de

© SZ vom 01.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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