Integration Geflüchteter:"Ich helfe jetzt zurück"

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Im Helferkreis wird auch gefeiert. Hier ein Bild vom "WORld-Café" im Wolfratshauser Jugendzentrum La Vida. (Foto: Ines Lobenstein/oh)

Der Asylhelferkreis Wolfratshausen geht in sein zwölftes Jahr. Zu den ehrenamtlich Aktiven zählen längst auch Angekommene, denen einst geholfen wurde.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Als Ousama Almanla in Wolfratshausen ankam, war es Ende Juli 2015. Damals wussten weder er noch sonst jemand, dass dieses Jahr einmal beispielhaft werden würde für alle, die über Geflüchtete und Integration sprechen sollten. Als die Bürgermeister der Landkreiskommunen im November vergangenen Jahres in einem offenen Brief an Landtag und Bundestag erklärten, dass ihre Kommunen keine Kapazitäten mehr zur Unterbringung neuer Geflüchteter hätten, hieß es darin: "Eine Kraftanstrengung wie 2015 wird ein zweites Mal schwer zu leisten sein."

Für Ousama Almanla war 2015 ein schicksalhaftes Jahr: Am 1. Januar war er vor dem Krieg aus Aleppo in Syrien geflohen, auch um nicht beim Militär als Reservist eingezogen zu werden. Er hatte ein halbes Jahr in der Türkei und eine Zeit in Griechenland verbracht und war dann über die Schweiz nach Deutschland gereist, wo sie ihn, nach 20 Tagen in einer Schulaula in Neubiberg, nach Wolfratshausen schickten. Dort kam er gemeinsam mit zwei Familien in die notdürftig eingerichtete Unterkunft Am Wasen gegenüber vom Jugendhaus La Vida, einen Monat bevor Angela Merkel ihren heute historischen Satz "Wir schaffen das" sagte. Er konnte kein Deutsch, kannte niemanden.

Ousama Alamanla kam 2015 aus Syrien nach Wolfratshausen. Inzwischen hat er eine Festanstellung, eine Wohnung und den deutschen Pass. (Foto: Hartmut Pöstges)

Doch er hatte Glück. Denn in Wolfratshausen gab es damals bereits seit drei Jahren einen Helferkreis, in dem sich Bürger der Stadt um die Neuankömmlinge kümmerten. Im September lernte er dessen Leiterin Ines Lobenstein kennen, die ihm einen Raum im Obergeschoss am Obermarkt zeigte, in dem es einen Computer mit Internetanschluss gab. "Das war das Beste für mich", sagt Almanla heute. "Ich konnte jeden Tag hierher kommen und alleine Deutsch lernen im Internet." Und mehr noch: Die Mitglieder des Helferkreises hätten ihn bei "fast allem" geholfen - mit den Papieren, Kontakt zum Landratsamt und der Wohnungssuche, sagt Almanla. "Sie sind für mich wie eine Familie."

Der Asylhelferkreis Wolfratshausen, wie er offiziell heißt, ist heute eine Institution, die in der Stadt fest verwurzelt ist. 60 bis 80 Aktive kümmern sich um die Geflüchteten und ihre Belange in der Stadt, im Verteiler seien etwa 100 Mitglieder registriert, sagt die zweite Vorsitzende Ute Mitschke, die seit 2013 dabei ist. Der Helferkreis organisiert eine Kleiderkammer, in der gebrauchte Klammotten, aber auch Möbel und andere Dinge zu haben sind, die Hausaufgabenbetreuung, Deutschkurse für Gruppen oder Einzelne, die Radlwerkstatt und Kinderbetreuung am Nachmittag. Und bietet, mit den individuellen "Familienpaten" und "Integrationslotsen", Hilfe bei allen möglichen Fragen und Problemen im Alltag.

Im vergangenen Jahr ist der Helferkreis, der dem Nachbarschaftshilfeverein "Bürger für Bürger" angegliedert ist, zehn Jahre alt geworden. "Wir wollten das eigentlich groß feiern", sagt die Vorsitzende Ines Lobenstein. "Aber dann kam der Ukraine-Krieg, und wir hatten genug zu tun." Nun holen die Mitglieder das nach und feiern am Mittwoch, 20. September, ihr elfjähriges Bestehen im katholischen Pfarrzentrum (Beginn: 18.30 Uhr).

Ines Lobenstein koordiniert ehrenamtlich den Asylhelferkreis Wolfratshausen. Dort war sie auch in die Betreuung des jungen Mannes aus Afghanistan involviert, der bei der Kollision ums Leben kam. (Foto: Hartmut Pöstges)

Ines Lobenstein erinnert sich noch gut an die Anfänge. Die Wolfratshauserin, seit 2001 für die Wohnungslosenhilfe der Caritas tätig, hatte damals schon enge Kontakte zum Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen und war auch im Arbeitskreis Armut. "Irgendwann hieß es: 20 Flüchtlinge kommen in den Landkreis", erzählt sie und muss lächeln. "Da sind alle in Panik verfallen." Später habe sie einen Anruf vom Landratsamt erhalten, dass ein Bus mit Flüchtlingen in Wolfratshausen ankomme. Als die ausstiegen, sei ihr klar geworden, dass sie ehrenamtliche Helfer brauche. Es gab Aufrufe in den Zeitungen, im November das erste Treffen mit den ersten zehn Freiwilligen, einen Monat später seien es 20 gewesen.

Warum der Wolfratshauser Helferkreis heute noch einer der bestfunktionierenden im Landkreis ist, führt Lobenstein vor allem auf zwei Dinge zurück: einerseits auf die Fachstelle Asyl und Integration, die die Stadt 2016 geschaffen hat und die inzwischen mit Paulina Kisselbach besetzt ist. "Ohne die würden uns die Helfer wegbrechen", glaubt sie. Kisselbach kümmere sich um die anerkannten Flüchtlinge und nehme den Ehrenamtlichen viel ab. "Sonst wären wir Gehilfen der Bürokratie", sagt Lobenstein. "Aber wir wollen uns ja um die Menschen kümmern."

Zweitens gebe es das sogenannte Asylzentrum, Räume im Erdgeschoss zwischen Obermarkt und Loisachufer, die Stadt und Kirche zur Verfügung gestellt haben. "Das Gute ist, dass wir diese Basis haben", sagt Lobenstein. "Wenn wir diese Wohnung nicht hätten, würde vieles nicht funktionieren." Die Kleiderkammer, die Deutschkurse, aber auch die zahlreichen Gespräche, die Mitschke mit den Flüchtlingshelfern führt, damit die auch mal ihren Frust loswerden können. Den gebe es immer wieder, sagt Mitschke. Nicht nur bei drohenden Abschiebungen gut integrierter Geflüchteter, etwa 2017, als Afghanistan plötzlich als sicheres Herkunftsland eingestuft wurde. Sondern auch zwischen Helfern und ihren Schützlingen, die eben immer wieder ihre eigenen Entscheidungen träfen. "Man muss auch lernen loszulassen", sagt Mitschke. Zudem seien die Räume wichtig als neutraler Anlaufpunkt, damit Helfer und Geflüchtete sich nicht immer nur zu Hause treffen müssen. "Das Asylzentrum ist immer ab Nachmittag bis Abend ausgebucht."

Und was unterscheidet die Arbeit der Helfer heute zu der von 2015? Lobenstein muss nicht lange nachdenken: "Die Strukturen sind schon da", sagt sie. "Und das Untereinander funktioniert. Mittlerweile sind eigentlich von jeder Volksgruppe Leute da, die schon integriert sind und ihre Landsleute über die Möglichkeiten und Angebote informieren." Inzwischen nimmt man auch bei den Hefern vieles gelassener, weiß Ute Mitschke. "2015 haben wir an jede Tür geklopft", sagt sie. "Das können wir so nicht mehr machen."

Ute Mitschke arbeitet in Teilzeit bei der Sparkasse und ist zweite Vorsitzende des Wolfratshauser Helferkreises. (Foto: Hartmut Pöstges)

Ousama Almanla bekam damals über den evangelischen Pfarrer Florian Gruber eine kleine Wohnung und fand über ein Projekt in München bereits im März 2016 einen Job. Der Absolvent eines Wirtschaftsstudiums in Syrien arbeitete vier Jahre lang bei einer Firma für medizinische Geräte in München im Einkauf und der Logistik. "Ich hatte keinen Aufenthaltstitel, aber ich habe den Arbeitsvertrag unterschrieben", sagt Almanla, "die Chefin hat mir eine Chance gegeben." Heute bewohnt der 36-Jährige eine Zweizimmerwohnung in Wolfratshausen und arbeitet seit zwei Jahren bei einer Logistik-Firma in Gauting. Am 1. Juli dieses Jahres ist Almanla eingebürgert worden. Seinen nagelneuen deutschen Personalausweis zeigt er nicht ohne Stolz.

Längst ist er auch auf der aktiven Seite Teil des Helferkreises, wie zahlreiche andere gut integrierte Geflüchtete in Wolfratshausen. "Ich helfe jetzt zurück", sagt Almanla in seinem klaren, fast akzentfreien Deutsch. Bereits 2015 habe er erste Übersetzungen gemacht, danach sei er mit anderen Geflüchteten zum Arzt, ins Landratsamt, Jobcenter oder Krankenhaus gefahren, habe bei der Wohnungssuche geholfen. "Und wir haben immer zusammen gefeiert." Beim Sommerfest, beim Stadtfest und beim regelmäßig stattfindenden "WORld Cafe" im Jugendhaus habe er syrisches Essen gekocht, geputzt und die Kasse gemacht. "Ich mache eigentlich alles, wenn Frau Lobenstein Hilfe braucht." Als 2022 der Ukraine-Krieg ausgebrochen sei, habe er geholfen, die Hilfspakete für die Freundschaftsstadt Brody zu packen, die Bürgermeister Klaus Heilinglechner dann mit anderen per Lkw an die polnische Grenze gefahren habe. Auch habe er ukrainischen Familien schon beim Umzug geholfen. "Ich tue, was ich kann", sagt Almanla. "Ich gehöre jetzt zur Gesellschaft." Einen besseren Beleg für die erfogreiche Arbeit des Wolfratshauser Helferkreises kann man eigentlich kaum erbringen.

Der Asylhelferkreis sucht dringend Freiwillige, die sich in der Hausaufgabenbetreuung für Grundschulkinder, der Nachhilfe und bei Deutschkursen für Jugendliche und Erwachsene engagieren wollen. Melden können sie sich bei Ute Mitschke unter Telefon 0151/10744638.

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