17.800 Höhenmeter:Zwei Sportler, zwei Arme, drei Beine

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Der Penzberger Handicap-Radler Wolfgang Sacher startet mit seinem Freund Erich Winkler bei der Tour Transalp 2020

Von Alexandra Vecchiato, Penzberg

"Da könnte ich mich jetzt aufregen." Wolfgang Sacher ist verärgert. Die elektronische Schaltung an seinem Rennrad hat einen Wackelkontakt. Er kann keine Gänge wechseln. "Wenn dir das beim Rennen passiert, kannst einpacken", sagt er und hantiert an den Knöpfen herum. Schließlich möchte er noch eine Trainingsrunde absolvieren. In acht Wochen beginnt die Tour Transalp 2020. Gemeinsam mit Erich Winkler, ebenfalls ein Handicap-Radsportler, plant Sacher, dieses anspruchsvolle Jedermann-Rennradevent vom 21. bis 27. Juni zu absolvieren. Ihr Projekt nennen sie "2-2-3".

Zwei Sportler, zwei Arme und drei Beine - dafür steht der Projekttitel. Sacher verlor mit 15 Jahren bei einem Starkstromunfall den linken Arm. Und mehrere Zehen mussten amputiert werden. Jahre später begann er sich für den Radsport zu begeistern. Die Erfolge blieben nicht aus. 2006 wurde er unter anderem Weltmeister auf der Straße. Zwei Jahre später wurde sein Ehrgeiz mit einer Gold-, einer Silber- und einer Bronzemedaille in verschiedenen Disziplinen bei den Paralympics in Peking belohnt. 2014 beendete er seine Karriere.

Aus den Tagen des organisierten Behindertensports kennt der 53-jährige Penzberger den Handicap-Radsportler Erich Winkler aus Geisenhausen. "Er ist der Beste", sagt Sacher über seinen Freund. Als Winkler vorschlug, 2020 an der Transalp teilzunehmen, zögerte der Penzberger nicht. "Bei ihm kann ich nicht Nein sagen", meint Sacher.

Winkler verlor 2001 bei einem Motorradunfall den rechten Arm und das linke Bein. Auch er kann diverse Erfolge im Behindertenradsport vorweisen. Sein Ziel war es, dieses Jahr bei den Sommer-Paralympics in Tokio teilzunehmen. Doch selbst wenn die Spiele nicht wegen Corona auf das kommende Jahr verschoben worden wären, wäre Winkler nicht nach Japan geflogen. "Ich habe die Qualifizierung verpasst", erzählt der 51-Jährige. So kam ihm die Idee, stattdessen als Team mit Sacher bei der Transalp 2020 mitzumachen. "Wenn sie denn stattfindet", sagt Winkler. Noch ist die Tour nicht abgesagt. Eine Entscheidung soll bis Anfang Mai fallen. Da aber weder der Giro d'Italia noch die Tour de France stattfinden, könne er sich nicht vorstellen, dass es bei der Transalp anders sein werde. Wird das Jedermann-Radrennen wegen der Corona-Pandemie gecancelt, gehen die beiden Radsportler im kommenden Jahr an den Start. Das sei so mit den Sponsoren und den Veranstaltern abgemacht, betont Sacher.

Begleitet werden die Sportler von Betreuern, die sich unter anderem um das Gepäck kümmern. Sacher wird von seiner Lebensgefährtin Manuela Schäfer unterstützt. Ansonsten stelle er sich in den Dienst von seinem Freund Erich Winkler, betont der Penzberger, der als Kämmerer für die Gemeinde Schäftlarn arbeitet. Denn für Winkler sei die Transalp noch einmal eine ganz andere Herausforderung als für ihn.

Die Transalp gibt es als Tour für Rennradfahrer und für Mountainbiker. Die Rennradler sollen in diesem Jahr in Bruneck in Südtirol starten. Ziel ist Arco am Gardasee. 784 Kilometer gilt es zu bewältigen. Die Tour umfasst sieben Etappen mit 18 Pässen und fast 17 800 Höhenmetern. Etwa 1000 Teilnehmer (circa 500 Teams) werden erwartet. Vom Profi bis zum Hobbyfahrer ist alles dabei. Den Organisatoren gelinge es jedes Jahr, kaum bekannte Wege quer über die Alpen zu finden, sagt Sacher. "Auch wenn man nicht viel von der Schönheit der Landschaft mitbekommt." Das Rennen sei anspruchsvoll, betont Winkler. Beide haben bereits an der Transalp teilgenommen. Zwei Mal konnte Sacher die Tour nach schweren Stürzen nicht beenden. Das eine Mal sei er den Profis bergab "hinten nach". In einer Links-rechts-Kurve verlor Sacher die Kontrolle, geriet auf ein Geröllfeld und stürzte kopfüber. Dennoch ist er am nächsten Tag weitergefahren. Es folgte ein Sturz in einem Tunnel. "Das war es dann", erzählt Sacher. Unterschätzen dürfe man die Tour nicht, auch wenn es sich um ein Jedermann-Radrennen handle.

Ums Gewinnen gehe es bei einem Team mit zwei Handicap-Sportlern nicht, sagt der 53-Jährige. War die Transalp in früheren Jahren für den Penzberger eine Art der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft oder die Paralympics, so "freue er sich dieses Mal einfach nur", sagt Sacher. "Es geht ums Dabeisein." Und darum, seinem Freund ein guter Teamkollege zu sein. Winkler fährt sein Rennrad mit zwei Prothesen. "Ich fahre vor ihm. Er in meinem Windschatten. Wir bleiben zusammen." Nur wenn es um die Verpflegung geht, werde er vorausfahren, um auch für Winkler Getränke und anderes zu organisieren, sagt Sacher.

Erst Mitte März konnte der Penzberger wegen einer Verletzung mit dem Training für die Tour Transalp beginnen. Das ist ihm jedoch nicht anzumerken. Weil wegen der Corona-Krise ein Besuch im Fitnessstudio nicht möglich ist, trainiert er zu Hause. Ansonsten ist Sacher auf dem Fahrradsattel zu finden. Seine Hausrunde führt von Penzberg auf den Kesselberg. Dort am höchsten Punkt kehrt er um und radelt zurück in seine Heimatstadt. Das schafft Sacher in 50 Minuten. Wobei der Kesselberg im Vergleich zu den Pässen der Transalp "Pillepalle" sei. Im Übrigen radelt er in die Arbeit nach Schäftlarn. In die Pedale zu treten, sei letztlich das beste Training. Das bestätigt Winkler: "Der Körper muss sich daran gewöhnen." Da Sacher schneller als er auf dem Rad sei, müsse dieser sich zurücknehmen und "auf mich achten". Das werde interessant, so Winkler. Es fühle sich gut an, wieder aktiv zu sein, betont indes der Penzberger. 73 Kilo wiegt der 1,95-Meter-Mann, der auch Schirmherr der Aktion "Muskeln für Muskeln" ist. Für diese Initiative hofft Sacher, Spenden bei der Transalp zu generieren. "Wenn nicht heuer, dann 2021."

© SZ vom 25.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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