Wohnungsnot:Wo es um Grund und Boden geht

Wohnungsnot: Kämpfen für ihre Interessen: Florian Obersojer, Andreas Grünwald, Stefan Hausler und Martin Zech (von links) von der Initiative Heimatboden.

Kämpfen für ihre Interessen: Florian Obersojer, Andreas Grünwald, Stefan Hausler und Martin Zech (von links) von der Initiative Heimatboden.

(Foto: Robert Haas)
  • Mit einer sogenannten "Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme" (SEM) kann die Stadt als letztes Mittel über das Eigentum von Privatleuten verfügen - zur Not eben gegen deren Willen.
  • Im Münchner Norden wurde diese Woche eine solche SEM gekippt. Nach Bürgerprotesten ist die Idee vom Tisch.
  • Die Stadt setzt nun auf Kooperation. Das Vertrauen der Anwohner und Initiativen wie "Heimatboden" ist trotzdem schwer gestört.

Von Dominik Hutter

Es geht vor allem um Vertrauen - und das muss irgendwo unterwegs verloren gegangen sein. Der Daglfinger Landwirt Hans Oberfranz erinnert sich gut daran, wie er aus der Zeitung erfahren hat, dass sein Hühnerstall überplant wird. Und wie rasch und rigoros von Enteignungen die Rede gewesen sei, als in einer Eigentümerversammlung ein Vertreter des städtischen Planungsreferats über die sogenannte städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) gesprochen habe. "Knallhart" habe das geklungen, erklärt der Mann, der unter anderem Braugerste für Augustiner-Bräu anbaut.

Die SEM, ein spezielles Planungsinstrument für sehr große Neubaugebiete, sei eine "Enteignungssatzung". Als dann noch der Stadtrat den mittlerweile widerrufenen Beschluss fasste, das für mehrere zehntausend Menschen geplante Neubaugebiet Freiham lediglich mit einer Trambahn zu erschließen, klingelten bei den Stadtrandbewohnern alle Alarmglocken. "Die Lebensqualität ist schon jetzt im freien Fall", klagt der Feldmochinger Landwirt Martin Zech. Immer mehr Menschen, lange Staus, eine soziale Infrastruktur, die nicht mitwachse. Und dann zusätzlich ein riesiges Neubaugebiet, in Form der SEM?

Zumindest im Norden ist die SEM seit dieser Woche Geschichte. Vor knapp anderthalb Jahren ausgerufen, hat die aus dem Baugesetzbuch stammende Planungsvariante so viel Unmut hervorgerufen, dass Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) die Notbremse gezogen hat. Das 900 Hektar große Gebiet im Münchner Norden, in dem auch der Feldmochinger und der Fasaneriesee liegen, soll nun in einem noch zu entwickelnden Konsensmodell zusammen mit den Grundstückseigentümern überplant werden. Ohne das Druckmittel Enteignung, das freilich nur als Ultima Ratio gedacht war.

Die Debatte, auch im Nordosten die SEM zu kippen, hat bereits begonnen. Die in der Initiative "Heimatboden" zusammengeschlossenen Grundstückseigentümer fordern dies vehement, und auch in der Rathaus-CSU gibt es Sympathie für einen radikalen Schnitt. In der SPD ist dies erst einmal kein Thema. Die SEM im Nordosten ist planerisch schon sehr viel weiter fortgeschritten. Eine umfangreiche Bürgerbeteiligung ist vergleichsweise friedlich und konstruktiv abgelaufen, erste Konturen eines neuen Quartiers sind zumindest auf dem Papier erkennbar. Eigentlich ist es das Ziel einer SEM, mit den Grundstückseigentümern eine vernünftige und für die Mehrheit verträgliche Planung auf die Beine zu stellen. Samt Schulen, Kindergärten, Grünflächen und einer ausreichend dimensionierten Verkehrsanbindung.

Nur: Wenn das Vertrauen einmal weg ist, helfen offizielle Beteuerungen nicht weiter. Natürlich könnte auch das Neubaugebiet rund um Feldmoching und Ludwigsfeld noch vernünftig erschlossen und mit allem Notwendigen ausgestattet werden. Versäumnisse auf diesem Gebiet kann bislang niemand anprangern - im Norden gibt es ja noch nicht einmal grobe Planungen, wie das neue Quartier einmal aussehen könnte.

Im Nordosten, wo Oberfranz seinen Hof hat, ist immerhin bekannt, dass es eine neue U-Bahn geben soll. Nur: Die Landwirte wollen das der Stadt nicht mehr einfach so glauben. Nicht, solange das Schreckgespenst von Enteignungen im Raum steht. Eine Front hat sich aufgebaut, und die Grundstückseigentümer wollen erst wieder konstruktiv mitspielen, wenn auf Augenhöhe verhandelt werden kann. Ohne Drohung, im Notfall werde das Land einkassiert.

900 Hektar

umfasst das Gebiet der nun gekippten SEM im Münchner Norden. Die Flächen liegen rund um Feldmoching und reichen bis nach Ludwigsfeld und zur Fasanerie. Das Gebiet ist bewusst groß gewählt, um Grünflächen gleich mitplanen zu können. Die Grünplanung, so Stadtbaurätin Elisabeth Merk, ist ebenso wichtig wie der Wohnungsbau.

Streng genommen ist das, was derzeit im Münchner Norden und Nordosten passiert, ein Teil der überall in und um München tobenden Wachstumsdebatte. Wie viele neue Einwohner verträgt die Stadt noch, welche Grün- oder Brachflächen müssen geopfert werden, und was wäre die Alternative dazu? Diese Fragen stellen sich die Landwirte auch. Zech hofft, dass nun eine konstruktive Diskussion über Chancen und Schmerzen des Wachstums zustande kommt. Das böse Wort von der Enteignung aber hat die Stimmung vergiftet.

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