Neues Stadtviertel:Stadt verzichtet auf Enteignungen im Münchner Norden

Entwicklung Feldmoching

In Feldmoching finden sich noch viele Äcker. Hier könnte nach den Plänen der Stadt irgendwann ein großes Stadtviertel entstehen.

(Foto: Florian Peljak)
  • Auf einem 900 Hektar großen Areal in Feldmoching und Ludwigsfeld soll ein neues Viertel entstehen.
  • Die Stadt wollte sich dafür des Instruments der "städtebauliche Entwicklungsmaßnahme" bedienen, mit der Grundstücke auch enteignet werden können.
  • Doch nach Protesten der Bürger ist diese Idee nun vom Tisch, man setzt auf Kooperation.

Von Dominik Hutter

Das neue Stadtquartier im Münchner Norden soll ohne Enteignungen oder andere Zwangsmittel gegen die Grundstücksbesitzer entstehen. Darauf haben sich SPD und CSU geeinigt. Künftig solle in dem 900 Hektar großen Areal in Feldmoching und Ludwigsfeld nur noch im Konsens mit den Eigentümern geplant werden, erklärten Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Bürgermeister Josef Schmid (CSU).

Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM), ein aus dem Baugesetzbuch stammendes Instrument für Großplanungen, ist damit vom Tisch. Samt dem vor einigen Monaten von der Stadt verfügten Einfrieren der Bodenpreise. Grundstücke können nun wieder nach Marktwert verkauft werden.

Reiter brach noch eine Lanze für das umstrittene Instrument, das einen Aufstand der Grundstücksbesitzer ausgelöst hatte. "So böse ist die Maßnahme eigentlich gar nicht", sagte der SPD-Politiker, der schon vor Monaten beteuert hatte, Enteignungen seien als letztes Mittel zu verstehen und würden tunlichst vermieden.

Der Protest der Feldmochinger, die sich in der Initiative "Heimatboden" zusammengeschlossen hatten, "hat uns aber bewegt umzudenken". Offenkundig sei es nicht gelungen, die Menschen von den Plänen der Stadt zu überzeugen, sodass sich Angst vor Enteignungen breitgemacht habe. "Daran sind wir nicht schuldlos", räumte Reiter ein. Man wolle nun um Vertrauen werben. Kooperation stehe ganz oben auf der Agenda.

Das neue Planungsinstrument, das "kooperatives Stadtentwicklungsmodell" getauft wurde (Reiter hält "Kosmo" für eine griffige Abkürzung), soll in der übernächsten Woche im Stadtrat beraten werden. Ein Ja gilt angesichts der rot-schwarzen Stimmenmehrheit als wahrscheinlich. "Ich habe bereits im letzten Jahr gesagt, dass ich gegen die SEM bin, weil ich flächendeckende Enteignungen ablehne", sagte CSU-Bürgermeister Schmid, der sich nun bestätigt sieht. Allerdings sagte er mit Blick auf die Kritiker einer Bebauung auch: "Wer in der wachsenden Stadt glaubt, dass alles genauso bleibt, wie es ist, der irrt."

Planungszeit kann bis zu zehn Jahre dauern

"Kosmo" muss von Stadtbaurätin Elisabeth Merk erst noch im Detail ausgearbeitet werden. Dies dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen, konkrete Termine für eine Fertigstellung des neuen Quartiers gelten derzeit noch als utopisch. Bis zu zehn Jahre Planungszeit seien aber nicht unrealistisch, betont Merk. Die Grundidee der SEM bleibt bestehen: Bei einer derart großen Planung soll kein Flickenteppich entstehen - es geht darum, ein Stadtviertel aus einem Guss zu schaffen. Samt Straßen, Schulen, Grünflächen, einer U-Bahn und anderen wichtigen Einrichtungen. Man werde keineswegs alles zubauen, warb Reiter. Dies war allerdings auch mit der SEM nicht geplant.

Konkrete Pläne für das neue Viertel, in dem sich auch Naherholungsgebiete wie der Feldmochinger See und der Fasaneriesee befinden, liegen noch nicht vor. SPD und CSU versichern aber: Eine Hochhausstadt sei genauso wenig geplant wie ein Konglomerat von Einfamilienhäusern. Es gehe darum, eine gute Mischung zu schaffen. Und eine erkleckliche Zahl an Wohnungen. Denn die seien "derzeit wohl das größte Mangelgut der Stadt", so Reiter. Aber auch Landwirtschaft soll im Münchner Norden weiter betrieben werden.

Zwar fällt mit der Möglichkeit zu Enteignungen ein wesentliches Druckmittel weg. Die Stadtspitze, das machten Reiter und Schmid deutlich, erwartet sich aber trotzdem die Kooperationsbereitschaft der Grundstückseigentümer. Etwa 200 der zirka 400 bis 500 Immobilienbesitzer hätten bereits Bereitschaft signalisiert. Sie sollen wie bei der SEM (oder auch der in München erfundenen sozialgerechten Bodennutzung) für die soziale Infrastruktur mitzahlen, also etwa neue Kindergärten finanzieren, und zugleich möglichst gerecht von den Gewinnen profitieren - damit niemand benachteiligt ist, auf dessen Fläche kein lukratives Hochhaus, sondern eine Grünfläche entsteht.

Stadt will sich Vorkaufsrecht sichern

Um Grundstücksspekulation einzudämmen, denkt die Stadt darüber nach, sich ein Vorkaufsrecht zu sichern: Sollte jemand verkaufen wollen, kann sich die Stadt im Interesse des großen Ganzen das Areal sichern. Wer sich verweigert, so macht Reiter deutlich, kann auch kein Geld verdienen. Da die Stadt nicht enteignen will, werde man denen, die nicht mitmachen wollen, Tauschflächen anbieten.

Die Grünen befürchten nach dem Aus der SEM eine Preisexplosion. Es stelle sich die Frage, zu wessen Lasten dies gehen werde und wie preiswerter Wohnraum geschaffen werden soll, "wenn nun jeglicher begrenzender Preismechanismus wegfällt", kritisiert Stadtrat Paul Bickelbacher. Der Preissprung von landwirtschaftlicher Fläche zu Bauland sei riesig. Es sei unbegreiflich, dass SPD und CSU nun "ein bodenrechtliches Instrument aus der Hand geben anstatt sich vor Ort um Vertrauen zu bemühen". Die Initiative "Heimatboden" zeigte sich bereit zu Gesprächen "auf Augenhöhe", so Sprecher Martin Zech. Allerdings müsse die SEM im Nordosten nun auch gekippt werden.

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