Die Zukunft des Wohnens liegt in der Stärkung der Gemeinschaft, sagt Doris Hailer. Die Zukunft des Wohnens liegt in einer klugen Stadtplanung, sagt Peter Haimerl. Beide arbeiten auf ihre Weise daran, wie Wohnen auch im Jahr 2050 noch in dieser Stadt aussehen könnte. Doris Hailer lebt in einer Clusterwohnung in einem wohnbaugenossenschaftlichen Projekt im Domagkpark, Peter Haimerl ist Architekt und Professor für Stadtplanung. Die beiden sind sich nie begegnet, aber in einem Punkt einig: So, wie es momentan in München läuft, kann es nicht weitergehen.
Doris Hailer sitzt auf einer schokobraunen Couch neben ihrem 17 Jahre alten Sohn Niklas. Duftkerzen und im Raum verteilte sanfte Lichtquellen erzeugen eine heimelige Atmosphäre. Die Wohnung hat etwas mehr als 50 Quadratmeter, Niklas hat ein eigenes Zimmer, sein Essen bereitet er meist selbst in der kleinen Kochnische zu.
Wenn sie die Wohnungstür öffnet, steht Doris Hailer allerdings nicht auf dem Gang, sondern in einem großen Gemeinschaftsraum. Das ist das Prinzip des Clusterwohnens: eigene Rückzugsräume, geteilter Koch- und Wohnbereich mit anderen Menschen. Wie eine WG, nur für Erwachsene. "Ich hatte Sorge, mir in dieser Stadt die Miete irgendwann nicht mehr leisten zu können", sagt Doris Hailer. "Vor allem aber hatte ich Sorge, allein zu sein im Alter. Jeder sitzt in seiner Schachtel und weiß nichts vom anderen. Das will ich nicht."
Die Vierzimmerwohnung im Hasenbergl, die Hailer bis vor Kurzem mit ihren beiden Kindern und ihrem Exmann bewohnte, waren nach der Scheidung und dem Auszug der ältesten Tochter plötzlich viel zu groß, viel zu teuer. Sie erfuhr vom Bauprojekt der Genossenschaft "Wagnis", bewarb sich für eine der Clusterwohnungen - und wurde genommen.
138 Wohnungen unterschiedlicher Größe (darunter neun Clusterwohnungen) sind seit Planungsbeginn 2009 im Projekt mit dem Namen "Wagnis Art" in der Fritz-Winter-Straße im Domagkpark entstanden, entworfen und umgesetzt von "Bogevischs Büro", sowie "SHAG - Schindler/Hable Architekten". Dort sind im Frühjahr 2016 rund 200 Erwachsene und etwa 50 Kinder eingezogen. Die Wohnanlage umfasst fünf Gebäude im gleichen Stil, die untereinander mit Brücken verbunden sind.
Sie heißen wie die fünf Kontinente, in den Erdgeschossen befinden sich Künstlerateliers, ein Waschcafé, in dem die Bewohner Wäsche machen und währenddessen ratschen können, ein Werkraum, ein paar Arztpraxen. In der Mitte des Komplexes liegt ein etwas karger Platz, auf dem Dreiräder und Roller liegen, der, so hoffen die Bewohner, im nächsten Jahr grün sein wird. Dort sollen Feste stattfinden und Kinder spielen.
Viel spricht dafür, dass "Wagnis Art" ein zukunftsträchtiges Wohnmodell für München ist. Es bietet bezahlbaren Raum sowie die Vorteile einer kleinen Gemeinschaft. Es vereint somit das ambivalente Bedürfnis vieler Menschen, zwar in München, gleichzeitig aber in einem behüteten Umfeld zu leben, wo Kinder spielen und man seine Nachbarn kennt. Ein Dorf in der Großstadt, sozusagen. Auch der Sharing-Trend passt dazu: Man muss nicht mehr alles für sich allein haben, Räumlichkeiten oder Waschmaschinen kann man teilen, auf Unnötiges komplett verzichten.