Tiere in München:Rettet den Ruf der Wanzen

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Schwierige Namen haben die Wanzen: eine "Carpocoris purpureipennis"- Larve (l.) und eine "Coreus marginatus"- Larve (M.) mit zwei Grassamen in einem Glas. (Foto: Florian Peljak)

Etwa 400 Arten sind in München zu finden - und mit Ausnahme der Bettwanze sind sie alle eher harmlos. Eine Spurensuche nach den Tieren mit dem zweifelhaften Image.

Von Bernhard Hiergeist

Will man einem Tier begegnen, das "Mordwanze" heißt? Oder der "Grünen Stinkwanze" und der "Fleckigen Porenwanze"? Will man sich das Bett mit der Bettwanze teilen? Die Himbeeren aus dem Garten mit der Beerenwanze? Die Antwort dürfte in jedem Fall recht eindeutig lauten: Nein. Allen Kinderliedern und etwaigen sympathischen tanzenden Exemplaren zum Trotz: Wanzen haben keinen besonders guten Ruf.

Markus Bräu würde dem so nicht zustimmen. Der 57-Jährige ist das, was man wohl den inoffiziellen Wanzen-Beauftragten der Stadt nennen muss. Wenn es so ein Amt gäbe, wäre es wohl das seine. Kaum jemand kennt die Population so gut wie er. Und er weiß: Wanzen sind wichtig für das Ökosystem. Die vielen räuberischen Arten machen sich über Schädlinge wie Spinnmilben, Blattläuse oder andere Insekten und deren Larven her, die Nutzpflanzen befallen. Und mit Ausnahme der Bettwanze richten die Tiere keinen nennenswerten Schaden für den Menschen an.

Markus Bräu beschäftigt sich mit Wanzen und weiß, wie wichtig sie für das Ökosystem sind. (Foto: Florian Peljak)

An einem schwülen Vormittag im August steht er auf der Fröttmaninger Heide. An vielen Wochenenden strömen die Fußballfans von der U-Bahn zur Arena. Würden sie in die andere Richtung schauen, würden sie diese unscheinbare Heidefläche sehen, die aber streng geschützt ist und eine unglaubliche Artenvielfalt vorweist.

Hier wachsen seltene Gräser und Pilze. Fliegen, Mücken und anderes schwirrt herum. Bräu kennt sich aus, kann alles benennen: Grashüpfer, Hornisse, Sklavenameise, ein zerfledderter Falter sitzt auf einer Blume am Wegrand. "Ein uralter Idas-Bläuling", sagt Bräu. Also wie alt? "Ein paar Tage halt." Angetan haben es Bräu aber die Wanzen. Offiziell ist er Landschaftsökologe und arbeitet im städtischen Referat für Gesundheit und Umwelt. Seine Diplomarbeit schrieb er unter anderem über Wanzen, weil es zum Thema wenig Forschungsliteratur gab.

40 000 Wanzenarten sind weltweit bekannt, und es werden immer neue entdeckt. Sie leben auf dem Boden, auf Bäumen, eigentlich überall, manche Arten sogar auf dem offenen Meer. In Bayern sind etwa 800 nachgewiesen, die Hälfte davon auch auf Münchner Stadtgebiet. Wie viele genau derzeit hier leben, ist kaum zu ermitteln, aber einige Hundert werden es wohl sein. Wer soll die alle erforschen? Vielleicht haben sich deshalb für die wenigsten Wanzenarten richtige Namen durchgesetzt. "Bettwanze", "Stinkwanze" - mehr Namen kennt kaum jemand. Und für die allermeisten Arten stehen ohnehin nur wissenschaftliche Bezeichnungen zur Verfügung. "Dryophilocoris flavoquadrimaculatus - das zergeht einem doch fast auf der Zunge", sagt Bräu. Wenn es die Zeit zulässt, wandert er zum Beispiel auf der Fröttmaninger Heide, der Panzerwiese oder der Allacher Heide und versucht, Wanzennachweise zu finden.

2018 war ein "Super-Insektenjahr"

Aber was sind Wanzen eigentlich? Wichtig sei schon einmal, sie nicht mit Käfern zu verwechseln, sagt Bräu. Beide sind Untergruppen in der Klasse der Insekten. Das heißt: sechs Beine, zwei Fühler. Anders als Käfer haben Wanzen aber "stechend-saugende" Mundwerkzeuge und relativ auffällige Drüsen, aus denen sie ein sogenanntes Wehrsekret absondern, wenn sie sich bedroht fühlen. Das könne für manche Menschen unangenehm riechen, erklärt Bräu.

Bräu stapft durch niedriges Unterholz und schwingt seinen Kescher. 2018 war ein "Super-Insektenjahr", sagt er, aber im August ist es für die Wanzenbeobachtung schon fast zu spät. Im Netz finden sich darum Pflanzenteile, Samen, kleine Ästchen. Nur ganz vereinzelt: eine Wanze, vielleicht ein paar Millimeter groß, vielleicht einen Zentimeter. Bräu erspäht sie trotzdem und fängt sie schnell mit einem Glasröhrchen ein. Kennt er die Art, lässt er sie wieder frei. Will er sie näher bestimmen, nimmt er sie mit ins Labor.

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Auf unebenem Untergrund entkommen die Tiere häufig. Dann braucht Bräu den Exhaustor. Zwei Schläuche führen in ein Glas: An einem saugt Bräu, über den anderen gelangen die Wanzen dann in das Gefäß. Ein kleines Gitter verhindert, dass Bräu sie bis in den Mund saugt. Arten, die auf Bäumen leben, klopft er mit einem Stock von Ästen und fängt sie mit einem speziellen Schirm. Ein gängiges Vorgehen für Entomologen, Insektenkundler, sagt Bräu, aber es könne auf Zuschauer merkwürdig wirken. Einmal bürstete Bräu Baumstämme ab, um Rindenwanzen zu finden. Ein Spaziergänger sagte: "Wurde ja Zeit, dass die mal jemand sauber macht."

Wanzen haben zwar so gut wie alle Lebensbereiche erschlossen, aber die verschiedenen Arten haben teils spezielle Anforderungen. Darum gelten sie in der Biologie als gute Zeigerorganismen. Ihr Vorkommen kann auf ein bestimmtes Mikroklima hinweisen. Macroplax preyssleri etwa ist eine seltene Art. Sie lebt nur auf wenigen Quadratmetern Kiesboden, wo Sonnenröschen wachsen und sonst kaum etwas.

Die Zeit der Wanzen geht nun dem Ende entgegen. Sie ziehen sich allmählich zurück und überwintern bis zum Frühjahr. Auf der Heide in Fröttmaning pflückt Bräu noch eine Carpocoris fuscispinus von einer Flockenblume, so gut wie unsichtbar, weil sie sich farblich kaum von der Pflanze abhebt. Er beäugt sie kurz. Dann öffnet er die Hand und bringt sie auf eine Höhe mit der Blume. "Komm, geh rüber", sagt er zu Carpocoris fuscispinus. "Da bist du gut getarnt." Die Wanze springt ab und ist sogleich nicht mehr zu erkennen.

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Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, in Bayern seien etwa 800 Wanzenarten nachgewiesen, davon "lebt knapp die Hälfte auch auf Münchner Stadtgebiet". Das ist so nicht ganz korrekt: Vielmehr sind in Bayern etwa 800 Arten nachgewiesen, das schließt nicht gerade wenige Arten ein, die verschollen oder ausgestorben sind. Es gibt in Bayern derzeit also relativ sicher deutlich weniger Arten, eine genaue Zahl ist aber quasi nicht zu ermitteln. Wir bitten diese Ungenauigkeit zu entschuldigen.

Herr Bräu wies darauf hin, dass wegen des "inoffiziellen Wanzen-Beauftragten" vereinzelt Bürgeranfragen bei ihm eingingen. Falls das im Artikel nicht deutlich genug wurde: Ein solches Amt existiert nicht. Herr Bräu hat beim Umweltreferat ein breites Aufgabenspektrum, aber er ist nicht Ansprechpartner bei Problemen mit Wanzen als Schädlingen. In solchen Fällen wenden Sie sich bitte an einen Schädlingsbekämpfungsdienst.

© SZ vom 24.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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