Tiere:München, wie es zirpt, quakt und schuhut

Auch der Waldkauz, der Vogel des Jahres 2017, ist in München heimisch.

Auch der Waldkauz, Vogel des Jahres 2017, ist in München heimisch.

(Foto: dpa)

In der Stadt gibt es etwa 10 000 Tierarten, weit mehr als auf dem Land. Doch diese Vielfalt ist in Gefahr, denn wertvolle Flächen verschwinden.

Von Thomas Anlauf

Früh am Morgen zieht der Biber seine Bahn. Im Schlepptau hat er einen riesigen Ast mit saftig grünen Blättern, den er gut brauchen kann für sein Nahrungsfloß daheim. Wenn es ein bisschen mehr sein darf, nagt er auch mal einen ganzen Baum an der Eduard-Schmid-Straße um, schließlich ist er ja hier mit seiner Familie in der Biberburg zu Hause. Die Biber von der kleinen Isar kann man als echte Münchner Familie bezeichnen. Zwei Erwachsene und vier Kinder teilen sich in diesem Sommer das selbst gezimmerte Bauwerk an der Museumsinsel. Sie sind ziemlich tolerant gegenüber anderen Stadtbewohnern wie den Menschen, die oftmals nur ein paar Meter von der Biberburg entfernt sitzen und den Feierabend genießen.

Wer genau hinschaut, entdeckt hier am Flussufer nicht nur das zweitgrößte Nagetier der Welt. Eine Wacholderdrossel nascht reife Früchte vom Baum, am Morgen zieht ein mächtiger Wanderfalke seine Kreise über der Isar. Unten im Fluss ruht ein großer Huchen in seinem Versteck, und ein kleiner Schwalbenschwanz flattert übers Wasser. München ist ein Tierparadies: Hier leben nicht nur 1,6 Millionen Menschen, sondern auch Milliarden Tiere.

Das sind natürlich nicht nur Hunde, Katzen, Schafe, Pferde und Kühe. Etwa 10 000 Tierarten sind in der Landeshauptstadt heimisch, schätzt Münchens Umweltreferentin Stephanie Jacobs. "Die Millionenstadt München ist enorm artenreich und braucht den Vergleich mit ländlichen Regionen nicht zu scheuen. Zwischen 30 und 60 Prozent aller in Bayern beheimateten Arten findet man in München", sagt Jacobs. "Damit ist die Landeshauptstadt ein Hotspot biologischer Vielfalt auf relativ kleinem Raum, den wir erhalten müssen." Mehr als ein Fünftel aller Arten in ganz Deutschland kommen demnach in München vor - eine verblüffend hohe Zahl, wenn man sich die vielfältigen Naturlandschaften vom Wattenmeer bis zum Hochgebirge ins Gedächtnis ruft.

Selbst die Insel Rügen ist dreimal so groß wie die Fläche der Stadt mit ihren 310 Quadratkilometern. Doch München weist eine geografische Besonderheit auf, die sie wohl einzigartig unter den Millionenstädten macht. Sie liegt eingebettet zwischen dem voralpinen und dem tertiären Hügelland und ist somit eine Schnittstelle von Lebewesen verschiedenster Habitate. Dazu kommt die Isar, die als Gebirgsfluss mitten durch München fließt, und die trotz aller Hindernisse wie Wehre und Staustufen ein Highway für wilde Tiere und Pflanzen ist.

Eine Großstadt mit Hunderttausenden Autos und mehr als eineinhalb Millionen Menschen als Tierparadies? Martin Hänsel wiegt sich vor und zurück. Ja und nein, meint der stellvertretende Chef des Bundes Naturschutz in München. Es stimme schon, "der Lebensraum in München ist einfach besser als auf dem Land". Das Futterangebot sei größer, es gebe vielfältigere Unterschlupfmöglichkeiten für die Wildtiere als im Wald oder auf dem Feld und - so absurd es klingt: Die Tiere haben hier weniger Feinde.

Auf dem Land ist meist der Mensch der größte Feind des Tieres. Felder werden industrialisiert bewirtschaftet und mit Insektiziden bearbeitet, "auf denen bleibt nichts mehr übrig für Insekten", sagt Hänsel. Dabei sind sie die Proteinbasis in der Nahrungskette. Weniger Insekten bedeutet deshalb auch weniger Vögel auf dem Land - die Tiere fliegen dorthin, wo es mehr Nahrung gibt: nach München. Dort leben nach Angaben des Umweltreferats mehr als 100 Vogelarten, knapp 200 Bienenarten, 59 verschiedene Schmetterlinge und 37 Heuschrecken-Arten. Für größere Jäger stehen Mäuse und Ratten auf dem Speiseplan, in der Isar gibt es trotz des allgemeinen Artenschwunds Fische jeder Größe.

Tiere: Eines der wichtigsten Biotope Münchens ist die Fröttmaninger Heide - sie steht auch unter besonderem Schutz.

Eines der wichtigsten Biotope Münchens ist die Fröttmaninger Heide - sie steht auch unter besonderem Schutz.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Obwohl München wegen seiner vergleichsweise geringen Größe fast die wenigsten Grünflächen im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten hat, zählen die Biotope zu den besonders wertvollen. Die Allacher und die Langwieder Heide stehen ebenso unter europäischem Schutz wie die Fröttmaninger Heide und die Panzerwiese im Norden. Wenn in der Fußball-Arena die Fans grölen, kann man nebenan in der Fröttmaninger Heide eine der größten Laubfroschpopulationen Bayerns quaken hören. Hier gedeihen 350 Pflanzenarten, darunter Thymian, Fransenenzian, Königskerze und Natternkopf. Hier lebt auch noch die Blauflügelige Ödlandschrecke, die in ihrem Bestand in Deutschland als gefährdet gilt, in München aber so häufig vorkommt wie sonst nirgends in Bayern.

Umweltschützer sind zwar relativ zuversichtlich, dass große Biotope wie die Fröttmaninger Heide auch in Zukunft erhalten bleiben und somit ein Rückzugsgebiet für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten bieten. Doch Heinz Sedlmeier vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) beobachtet eine besorgniserregende Entwicklung. "Der Versiegelungsgrad in München ist mittlerweile schon so hoch, dass die Wildtiere allmählich wieder aus der Stadt gedrängt werden", sagt der LBV-Geschäftsführer. Waren einst große Teile des Stadtgebiets Niedermoore, verschwinden die ökologisch wertvollen Flächen am Rand von München immer mehr.

Viele Tiere finden Möglichkeiten, nah beim Menschen zu leben

"Die Heidelerche ist weg, genauso das Braunkehlchen - das war mal ein 08/15-Vogel", sagt Sedlmeier. In den vergangenen zwei Jahrzehnten seien viele Brachflächen Münchens zugebaut worden, "mit dem Allacher Rangierbahnhof fing es an", nun seien auch wertvolle Trockenrasenwiesen im Westen durch die Ansiedlung neuer Großbetriebe bedroht. "Nur die hochwertigsten Flächen zu schützen, genügt nicht", findet der Naturschützer. Es brauche auch in Zukunft Pufferzonen, grüne Achsen durch die Stadt, in denen sich die Tiere bewegen können. Großen Grünanlagen wie dem Riemer Park attestiert er, besonders "artenarm" zu sein, auch wenn es dort einige Blühwiesen gebe.

Und was ist mit dem Wohnraum für wilde Tiere? Noch finden viele Lebewesen vielfältige Möglichkeiten, auch in der Nähe des Menschen zu leben. Igel haben selbst in der dicht bebauten Innenstadt Reviere. Die im 19. Jahrhundert ausgestorbenen Biber vermehren sich an der Isar und der Würm so prächtig, dass nun sogar Bäume vor den ansonsten gutmütigen Nagern geschützt werden müssen. Im Waldfriedhof, dem mit 161 Hektar größten Friedhof der Stadt, leben Füchse mit ihren Jungen in Höhlen unter Grabsteinen, für die seltenen Wanderfalken sind mittlerweile an beinahe jeder Kirche sowie an den Kraftwerkstürmen im Münchner Süden Nisthilfen angebracht.

Laubfrosch

Der Laubfrosch.

(Foto: Christian Hager/dpa)

Zwischen zehn und 15 Paare nutzen das Angebot der Naturschützer und brüten dort. Die mächtigen alten Bäume im Englischen Garten und dem Nymphenburger Schlosspark dienen unter anderem Waldkäuzen als Heimat. Doch die Großbäume werden mit der Zeit immer weniger, weiß Martin Hänsel vom Bund Naturschutz. "Wir haben eine dramatische Abnahme an Altbäumen mit großen Höhlen für die Tiere", sagt er. Langfristig verschwänden sie, weil sie aus Sicherheitsgründen gefällt werden. Das sieht auch LBV-Chef Sedlmeier mit Sorge. "Man lässt die Bäume nicht mehr alt werden und wählt nur noch solche aus, die wenig Arbeit machen", sagt er. In Weiden etwa leben besonders viele Tierarten, doch die würden von der Stadt nicht mehr nachgepflanzt.

Die Folge ist ein echtes Münchner Phänomen: Auch im Tierreich der Stadt nimmt die Wohnungsnot zu. Privatgrundstücke werden immer kleiner und bieten Tieren kaum noch Schutz. Vergessene Ecken, Baulücken oder Brachflächen verschwinden zunehmend und werden bebaut. Und die Bäume, in denen Leben stattfindet, werden immer weniger.

Vogelexperte Manfred Siering, Vorsitzender der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern, besucht regelmäßig eine alte Buche im Englischen Garten, der zwar aus Sicherheitsgründen die Krone gekappt wurde, doch der Torso mit seiner Höhle blieb als Vogel-Wohnung stehen. Im Januar brütet dort in einer Baumhöhle ein Waldkauz seine Jungen aus, sobald die jungen Käuze aus dem Nest sind, zieht eine Mandarinente ein und schließlich wirft ein Gänsesäger diese Bewohnerin aus dem begehrten Baumhaus.

Umweltreferentin Jacobs will verhindern, dass der Artenreichtum in München zurückgeht. "Es muss uns allen Auftrag sein, die Artenvielfalt gerade in der Stadt als wertvollen Schatz zu bewahren", sagt sie. "Zukünftige Generationen sollen nicht erst die Stadt verlassen müssen, um den Reichtum der Natur entdecken und erleben zu können." Ihr Referat entwickelt derzeit federführend mit anderen städtischen Referaten eine Biodiversitätsstrategie, die angesichts der hohen Zuwachsraten bei den Einwohnern der Stadt die biologische Vielfalt auch für die Zukunft sichern soll. Das etwa 250 Seiten starke Strategiepapier soll noch in diesem Jahr dem Stadtrat vorgelegt werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: