Spezialbibliothek:Schatzhaus der Moden

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Salon Richtung Osten mit Durchblick zur Familienbibliothek. Rechts oben das Porträt von Rudolf Marggraff, Großvater von Hermine senior und Ahnherr mit kostümkundlicher Sammlerleidenschaft. (Foto: Florian Holzherr/Münchner Stadtmuseum)

Die Von Parish Kostümbibliothek in Nymphenburg wird nach dreijähriger Renovierung wieder eröffnet. Das Juwel des Münchner Jugendstils beherbergt die Lebenssammlung der beiden Hermines Von Parish.

Von Barbara Hordych, München

Die Geschichte der Von Parish Kostümbibliothek ist auch und vor allem die Geschichte der "beiden Hermines", sagt Esther Sünderhauf. Sie ist die Direktorin des jetzt wiederhergestellten Kleinods in Nymphenburg, das 1,5 Millionen Dokumente zur Kostümgeschichte beherbergt. Die Graphiken, Modezeitschriften, Fotografien, Bücher und Kaufhauskataloge haben Mutter Hermine Viktoria von Parish (München 1881 - Haar 1966) und Tochter Hermine "Harriet" von Parish (Rom 1907 - München 1998) erworben, mit einem enzyklopädischen Ansatz, "den sich so wohl heute niemand mehr zutrauen würde: Sie haben weltweit gesammelt, durch alle Jahrhunderte hindurch", sagt Sünderhauf bei einem Rundgang durch die Villa mit ihrem historischen Inventar. Konkret heißt das, dass die Modebild-Dokumente von der Perlenstickerei der Inuit über den Grasmantel von Ötzi bis zur heutigen Haute Couture reichen. Eine Sammlung, die für die Erforschung der Kostümgeschichte international von kulturhistorischer Bedeutung ist.

Die Heirat mit dem zwanzig Jahre älteren und vermögenden Edmund von Parish im Jahr 1906 versetzte Hermine senior nicht nur in die Lage, während ihrer Reisen durch Europa Exponate für ihre "Dokumentation" anzukaufen. Sondern sie investierte nach dessen Tod sein verbleibendes Erbe 1916 in den Erwerb der Villa in der Kemnatenstraße, die die Münchner Architektur- und Baufirma Gebrüder Rank für den aus Berlin zugezogenen Komponisten Friedrich Wilhelm von Schirach im Jahr 1900/1901 erbaut hatte. Fortan diente sie als Lebensmittelpunkt der beiden Frauen, "die sich alleine, ohne Mann, durch ein schwieriges Jahrhundert, mit zwei Kriegen und die Nachkriegszeit geschlagen haben".

Als sie nach dem zweiten Weltkrieg Flüchtlinge in der Villa aufnehmen sollten, fragten sie die Amerikaner entsetzt, wo sie dann ihre Sammlung aufbewahren sollten, erzählt Sünderhauf. "Na, im Garten, hieß die lapidare Antwort." Bevor es dazu kam, gründeten sie im ersten Stock die "Von Parish Schule für freie und angewandte Kunst", in der Dozenten der Akademie unterrichteten.

Die 80-jährige Hermine von Parish in ihrem gewohnten grauen Arbeitskittel in der Familienbibliothek, 1987. (Foto: Wolfgang Pulver/Münchner Stadtmuseum)

Ein Foto von Hermine Junior zeigt diese in einem grauen Arbeitskittel. "Sie hielt nicht viel davon, sich selbst aufwendig zu kleiden, auch wenn sie sich mit Mode aus aller Welt beschäftigte. Wenn Besucher kamen, legte sie als Zugeständnis lediglich Perlen- oder Diamantohrringe an", erklärt Sünderhauf. Generationen von Studierenden hat sie von 1946 bis 1974 als Dozentin und Schulleiterin geprägt, "die sie für ihren reichen Wissensfundus und als großartige Inspirationsquelle geschätzt haben", sagt Sünderhauf.

Im Salon hängt das Bildnis des Ahnen, auf den die Sammlerleidenschaft der beiden Hermines zurückgehen dürfte: Rudolf Marggraff, der Großvater von Hermine senior, lebte als Professor für Kunstgeschichte in München und legte als "Kunstberater für Ludwig I. eine kostümkundliche Sammlung an, die Hermine als Kind noch gesehen haben muss und einen tiefen Eindruck bei ihr hinterließ". Doch die Sammlung ging größtenteils verloren - eine Leerstelle, die die Enkelin (und später auch die Urenkelin) fortan wieder füllen wollte.

Das Verhältnis der beiden Hermines war wohl kompliziert, bei aller Einigkeit in puncto Sammlerleidenschaft. Die Mutter zog ihre Tochter schon mit 13 Jahren zur Arbeit in der Dokumentation heran. Auch bei den Künstlerpuppen, die sie in den 1920er Jahren in ihrer Manufaktur herstellte, half sie mit. Den Wunsch, Operngesang zu studieren, ließ die Tochter bald fallen. "Man darf sich vorstellen, dass Hermine Junior erst nach dem Tod der Mutter, im Alter von 63 Jahren, aufblühte."

Juwel des Münchner Jugendstils: Die Außenansicht der Villa, die die Gebrüder Rank für den aus Berlin zugezogenen Komponisten Friedrich Wilhelm von Schirach im Jahr 1900/1901 erbauten. (Foto: Florian Holzherr/Münchner Stadtmuseum)

1970 übergab sie die Sammlung an das Münchner Stadtmuseum und öffnete das Haus für die Öffentlichkeit. Wer nutzt die Spezialbibliothek? "Das sind beispielsweise Leute, die für historische Filme recherchieren. Wenn eine Filmszene gedreht werden soll, die in den Fünfzigerjahren in einer Straßenbahn spielt, müssen sie wissen, wie die Schaffner und die Fahrer gekleidet waren. Wir hatten aber auch schon mal Polizeibeamte hier, die ein Täterprofil erstellen mussten und dafür wissen wollten, wie man sich in der Gothic-Szene kleidet", sagt Sünderhauf.

Besonders freut sie sich über die Entscheidung des Baureferats, die Villa in ihrem originalen Erscheinungsbild zu sanieren. Das trat bei den Renovierungsarbeiten zutage. "Der Salon war beispielsweise mit Schwermetallregalen bestückt, die auf beiden Seiten eine Tür zum Nebenraum verbargen." Die schwarz lackierte Tür und die indigoblaue Wandbespannung belegten, dass die Jugendstilvilla ursprünglich in viel dunkleren Farben gehalten war. Zusammen mit dem roten Terrakottaboden ergab das einen Landhausstil. "Die Villa lag früher einmal am Stadtrand von München, mit Feldern drumherum. Die Häuserzeilen kamen erst in den Dreißigerjahren hinzu."

Mode im Wandel der Jahrhunderte: Titelblatt der Zeitschrift Juno, französische Ausgabe, Innsbruck, Sommer 1934. (Foto: Münchner Stadtmuseum)

Mit nur zweieinhalb festen Mitarbeitern betreut Sünderhauf derzeit die Sammlung, die nun wieder, nach vorheriger Anmeldung, für Besucher geöffnet ist. Am Tag des offenen Denkmals war der Andrang groß. "Aus geplanten drei Führungen wurden 13", sagt Sünderhauf. Ihr Traum? "Dass irgendwann im Garten ein zusätzlicher Magazinbau errichtet wird." Vielleicht war sie doch gar nicht so verkehrt, die Idee der Amerikaner damals.

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