Familiengeschichte:Mein Opa, der Nazi

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Sophia von Dahlwitz hat bisher vor allem Krimis geschrieben. Dass sie sich jetzt der eigenen Familiengeschichte gewidmet hat, nehmen ihr einige Verwandte sehr übel. (Foto: Thomas Dashuber)

Sophia von Dahlwitz wollte einen Liebesroman schreiben. Dann fand sie heraus, dass ihr Großvater glühender Hitlerfreund war, der auf dem Obersalzberg ein- und ausging.

Von Martina Scherf

Sophia von Dahlwitz hat eines Tages ihren Namen gegoogelt. Macht man ja irgendwann einmal, gerade als Autorin. Sie suchte ihren wahren Namen - von Dahlwitz ist ein Künstlername - und stieß schon nach wenigen Klicks auf die Biografie ihres Großvaters: Generalmajor der Wehrmacht, Ritterkreuzträger, wichtiger Stratege in Hitlers Vernichtungskrieg. Antisemit der ersten Stunde. "Da wurde mir schlecht", sagt Sophia von Dahlwitz. Ihre Familie hatte das Andenken an den freundlichen Großvater, der 1942 mit dem Flugzeug an der Ostfront abstürzte, immer hochgehalten.

Aufgewühlt recherchierte die Münchner Autorin weiter und befragte ihre Eltern. "Die Familie deines Großvaters waren reizende Menschen, aber sehr antisemitisch", sagte ihre Mutter. Großvater sei kein wirklicher Nazi gewesen, er habe nur seinen Job gemacht, sagte ihr Vater. Ihm zuliebe hat sie das Pseudonym verwendet. Der Familienverband - alter preußischer Adel mit einer Ahnengalerie bis ins 17. Jahrhundert - pflegt Tradition und Zusammenhalt. Viele Offiziere sind darunter, die beiden Weltkriege werden in der Chronologie eher als Naturkatastrophe behandelt, in deren Folge Schlösser und Ländereien verloren gingen. Von Schuld oder Verantwortung ist nicht die Rede.

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Doch Schuld ist das Schlüsselwort in Sophia von Dahlwitz' Roman. "Ich fühle diese Schuld", sagt sie, "das wird man nicht los". Die Geschichte klebt an einem wie eine zweite Haut. Die Autorin sitzt an einem kleinen Bistrotisch inmitten des Trubels der Frankfurter Buchmesse. Acht Romane hat sie schon unter ihrem echten Namen veröffentlicht, vor allem Krimis, mehrere wurden verfilmt. Schwarzes Haar, schwarze Brille, modische Bluse, sie wirkt selbstbewusst und unbefangen. Doch wenn sie über die Recherchen zu dem Buch spricht, das jetzt vor ihr liegt, wird klar: Sie hat sich da etwas von der Seele geschrieben.

"Ich wollte eigentlich einen Liebesroman schreiben", erzählt sie, "und dann ist mir das plötzlich reingegrätscht". Der Großvater. Der Hitlerfreund, der auf dem Obersalzberg ein- und ausging. Der schon beim Putsch 1923 an der Münchner Feldherrnhalle dabei war, "und er war so glücklich, dabei zu sein". Das hat sie einem Brief entnommen, den sie im Nachlass fand.

In einem Fotoalbum "mit einem Einband, der aussah wie Menschenhaut", entdeckte sie ein Foto, "das zeigt einen Mann, vielleicht war er Jude, der mit erhobenen Armen direkt auf meinen Großvater zukam". Wurde er erschossen? Die Gräuel der Wehrmacht an Zivilisten sind dokumentiert. "Es ist schrecklich. Das Foto ging mir nicht mehr aus dem Kopf."

Ausgerechnet der Großvater der Autorin, bleibt seltsam undeutlich

Sophia von Dahlwitz hat nun versucht, beides in einen Roman zu packen: die Liebesgeschichte vor der Kulisse des preußischen Schlosses und ihre eigene Auseinandersetzung mit ihrem Nazi-Großvater. Ein widersprüchliches Unternehmen, das nicht gelingen konnte. Als Krimiautorin weiß sie zwar, wie man prägnante Figuren zeichnet und Spannung aufbaut. Alle Protagonisten des Romans mit dem unverfänglichen Titel "Das Licht zwischen den Zeiten" (Droemer Verlag) sind ihren Familienmitgliedern nachempfunden, sagt sie. Auch die beiden Halbgeschwister, die zusammen aufwachsen und sich verlieben, ohne zu wissen, dass der Bruder kein Adoptivsohn, sondern das Produkt eines Seitensprungs seiner Mutter ist - sie gehen später gemeinsam nach Amerika. Auch der Arzt und Lebemann, der die versehrten Heimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg behandelt und in Berlin in die Straßenschlachten der Weimarer Republik gerät. Auch Justus, ein entfernter Cousin, der die jüngste Tochter der Familie heiratet. Eben jener Justus, der dann als glühender Faschist beim Hitlerputsch dabei ist.

Doch damit endet der Roman, und ausgerechnet Justus, der Großvater der Autorin, bleibt seltsam undeutlich. Stattdessen ist viel vom Schloss die Rede, von Pferden und Hunden, Kammerzofen und Kutschern, Festgewändern und Frisuren, von Kandelabern, Silberbesteck und der adäquaten Sitzordnung bei Familienempfängen. Ihre eigenen Gedanken und Gefühle hat die Autorin in eine zweite Erzählebene gepackt. Das bleibt aber seltsam verworren und enthüllt lediglich das Dilemma, in dem sie beim Schreiben offensichtlich steckte: "Ich liebe alle meine Figuren im Buch, aber meinen Großvater darf ich nicht lieben", sagt sie.

"Ich hatte ein sehr angenehmes Leben, aber das verdanke ich auch einem Mann, der die Nazi-Zeit mitverantwortet hat", fährt sie fort. "Er war eng mit Karl Wolff befreundet, dem General der Waffen-SS, der die Judentransporte aus dem Warschauer Ghetto nach Treblinka mitorganisierte - und der hat dann gleich nach dem Tod meines Großvaters 1942 meine Großmutter mit den Kindern nach Österreich in Sicherheit gebracht." Er habe da wohl schon geahnt, dass der Krieg verloren war. Während die einen sich in Sicherheit bringen, sind andere Gewalt und Tod hilflos ausgeliefert. Sophia von Dahlwitz schildert im Buch eine Szene, wie ihre eigene Mutter am Kriegsende mit einem Treck vor den Russen nach Westen floh und wie sie aus dem Planwagen heraus eine gekrümmte Frauenleiche am Boden sah mit zwei steif gefrorenen Babys, die auf ihrem Körper lagen. "Dieses Bild hat sich bei ihr für immer eingebrannt."

Als 1998 die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht nach München kam - eine Ausstellung, die eine historische Debatte im Bundestag auslöste -, "da sagte mein Mann zu mir: Die schauen wir uns an", erzählt Sophia von Dahlwitz, "aber ich konnte es nicht. Ich habe einen Bogen drum herum gemacht." Ihr Vater sei damals hingegangen und habe berichtet, er habe kein Foto des Großvaters entdeckt. Damit war die Sache erledigt.

Ihr Vater, erzählt die Autorin, wäre selbst gerne zum Militär gegangen, "aber er gehörte zu den ,Weißen Jahrgängen' - für den Einsatz in der Wehrmacht war er zu jung und für die Bundeswehr zu alt." Er wurde dann Ingenieur und war maßgeblich an der Entwicklung des Leopard-II-Panzers beteiligt. Militärische Haltung ist ihm bis heute wichtig. Ihr Buch habe er gelesen und unterstützt, sagt seine Tochter, nur der Familienname sollte nicht damit verbunden werden.

"Viele sind wütend auf mich, weil ich dieses Buch geschrieben habe"

Die Autorin, Jahrgang 1961, war als Schülerin rebellisch, sagt sie, und eher links. Die Eltern schickten sie auf ein Internat. Einmal, erinnert sie sich, nahm der Vater sie mit zum Tag der offenen Tür in seinem Rüstungskonzern. "Da fuhren die Panzer auf, Tiefflieger flogen über uns hinweg, es war eine Leistungsschau, und alle waren ungemein stolz auf sich. Nur ich stand da in meinem Parka und Palästinensertuch und wollte nichts wie weg."

Sie ist nach dem Abitur durch Südamerika gereist, hat Germanistik studiert, eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule gemacht und viele Jahre als Redakteurin für Frauenzeitschriften gearbeitet, bevor sie anfing, Romane zu schreiben. Dass sie sich jetzt der eigenen Familiengeschichte gewidmet hat, nehmen ihr einige Verwandte sehr übel. "Viele sind wütend auf mich, weil ich dieses Buch geschrieben habe", sagt sie. Man beschmutzt nicht das eigene Nest. Auch nicht unter Pseudonym.

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Auf Facebook führt sie Debatten mit Verwandten, Freunden und sogenannten Freunden, "da gibt es viele, die der AfD nahestehen", sagt sie kopfschüttelnd. "Ich habe absichtlich Leute aufgenommen, die anderer Meinung sind, und diskutiere mit denen über Nationalismus, Islam, Europa. Wir müssen doch froh sein, in so einer freien Gesellschaft zu leben."

Und dann ist da noch eine Frage, die sie sehr beschäftigt: "Wie viel von Justus steckt in mir?" Mit der Familie konnte sie - wie viele in ihrer Generation - über dieses Tabu nicht sprechen, so münden ihre Gedanken im Buch bisweilen in eine quälerische Selbstbefragung: "Ich kreise um Justus und versuche, ihn zu ergründen, und was ich sehe, macht mir Angst, denn alles in ihm ist Güte und Wohlwollen, Freundlichkeit, Fleiß, Humor und Optimismus, aber ganz tief ist da noch etwa anderes, etwas Leidenschaftliches, Perfektionistisches, Unbefriedigtes, der Drang, etwas zu bewegen, die Suche nach Erfüllung, ein Flämmchen, das zu Flächenbrand werden kann, wenn sich all diese Charakteristika zu einer einzigen verheerenden Supereigenschaft verbinden."

Auf dem Cover ist eine Frau mit Hut zu sehen, von hinten, sie lehnt an einer imaginären Wand und blickt auf das Schloss im Nebel. "Ich fühle mich heimatlos", sagt Sophia von Dahlwitz. Sie meint wohl nicht nur das verlorene Schloss, sondern auch das beharrlich gemalte Bild einer tadellosen Familie, das zu Bruch gegangen ist.

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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