Verordnung:Glühwein - Hauptsache, ordentlich Zucker und Gewürze drauf

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Eigentlich hält der gemütliche Herr in Édouard Manets Gemälde "Le Bon Bock" von 1873 ja ein Glas Bier in der Hand. (Foto: dpa)

Die EU legt fest, wie viel Alkohol Glühwein haben muss. Dabei ist das ja noch das geringste Problem. Getrunken werden 50 Millionen Liter pro Saison. Von wem nur?

Von Franz Kotteder

Das Oktoberfest wird ja gern geschmäht als Jahreshauptversammlung aller Alkoholiker und Gelegenheitstrinker, nur weil dort in 16 Tagen sechseinhalb Millionen Liter Bier unters Volk gebracht werden. Dabei sollten sich jene, die so etwas sagen, ruhig einmal an die eigene, mutmaßlich gerötete Nase fassen. Denn die Wiesn ist eine matte Sache, verglichen mit dem, was dieser Tage so abgeht auf den geschätzten 2500 Christkindlmärkten in unserer Republik.

Was dort - und in gewissem Umfang auch zu Hause oder bei Weihnachtsfeiern aller Art - so alles weggepichelt wird an Glühwein der unterschiedlichsten Provenienz, das lässt einem den Atem stocken: um die 50 Millionen Liter sind das nämlich pro Saison von gut 24 Tagen. Und dazu kommen noch einmal rund 20 Millionen Liter ähnlicher Getränke wie diverse Fruchtglühweine oder Merkwürdigkeiten wie flüssiger Apfelstrudel oder Feuerzangenbowle, die natürlich allesamt ebenfalls Alkohol enthalten.

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Und das meist nicht weniger als Bier. Falls doch, ist etwas schiefgelaufen. Das meinen nicht nur jene, die auf die heiße Promilledröhnung aus sind, sondern das meint die Europäische Union. Die hat doch tatsächlich eine eigene Glühwein-Verordnung erlassen, nach der ein ausdrücklich so benanntes Heißgetränk zwischen sieben und 14,5 Prozent Alkohol enthalten muss.

Der Alkoholgehalt ist freilich oft das geringste Problem

Das war nicht gedacht als Maßnahme zur Belebung von langweiligen Betriebsweihnachtsfeiern oder zum Abbau von Überproduktionen europäischer Weinbauern, sondern zum Schutz der Verbraucher. Die sollen nach Ansicht der EU um kein Volumenprozent Alkohol betrogen werden, was leicht passieren kann, wenn der zu stark erwärmt wird. Und deshalb ziehen derzeit die Lebensmittelkontrolleure mit einem sogenannten Aräometer, einem Dichtemesser, über die von Glühweinschwaden umwaberten Plätze der Städte und Dörfer. Weil Alkohol nämlich eine Dichte von 0,789 Gramm pro Kubikzentimeter hat, Wasser jedoch von einem Gramm, lässt sich damit der Alkoholgehalt eines Getränks sehr leicht bestimmen.

Der Alkoholgehalt ist freilich oft das geringste Problem, wenn es um Qualitätsfragen bei diesem äußerst beliebten Gesöff geht, sieht man einmal von der zeitweisen Ballermannisierung der deutschen Fußgängerzonen ab. "Eigentlich ist der gar nicht so teuer", sprach neulich eine Bekannte, "wenn man bedenkt, was da alles an Gewürzen drin ist." Damit bringt sie unbewusst auf den Punkt, woran es beim Glühwein meistens hapert: an der Güte des verwendeten Weines. Der ist oft sehr günstig im Einkauf, da von minderer Qualität und anders schwer zu verkaufen.

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Also verfährt mancher Produzent wie andere Hersteller der Lebensmittelbranche auch: Kriegt man die Ware anders nicht los, so haut man ordentlich Zucker und Gewürze drauf, und schon klingelt die Kasse. Große Fleischfabriken packen minderwertige oder überständige Steaks angeblich gern in Grillmarinade, weil das den Geruch und Geschmack überdeckt. Und schmeckt der Wein zu arg nach Sauerampfer, dann helfen eben Zucker, Zimt und Sternanis.

Das hat eine gewisse Tradition. Womit wir schon am Ende der ersten Textspalte bei den alten Römern angekommen wären. In der 2000 Jahre alten Rezeptsammlung des Apicius', die auch seltene Delikatessen wie Flamingozungen enthält, befindet sich nämlich der erste Hinweis auf Glühwein. Durch die Gewürze hat man damals den oft arg trockenen und sauren Wein erst genießbar gemacht; die Erwärmung tat später ein Übriges.

Viele passionierte Weintrinker sehen gerade darin den eigentlichen Missbrauch von Alkohol. Denn nicht nur, dass Alkohol verfliegt, wenn er über seinen Siedepunkt von 78,3 Grad hinaus erhitzt wird - viele Aromastoffe, die brauchbaren bis guten und sehr guten Wein überhaupt erst ausmachen, verdünnisieren sich bereits bei wesentlich geringerer Erwärmung.

Weshalb es auch wenig bringt, zum Beispiel einen schönen Bordeaux zu verwenden: Es wäre schade drum. Allzu billiger Fusel sollte es freilich auch nicht sein. Die kommerziellen Hersteller verwenden bisweilen auch Verschnitte aus verschiedenen Weinen, was aber nichts schaden muss.

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Was dem (Glüh-)Wein schließlich den Rest gibt, sind Gewürze und Zucker. Letzterer ist - neben dem Alkohol, der die Fettverbrennung hindert - der Grund, warum eine Tasse leicht mal auf 200 Kilokalorien kommt. In einer Flasche Ikea-Industrieglühwein wurde unlängst gar ein Zuckergehalt ermittelt, der 48 Würfel pro Liter entspricht. Bei Cola sind es nur 36 Würfel.

Geheimwaffe beim Anbandeln

Das allein macht das Kraut, respektive den Trinker, noch nicht fett. Kommt noch ein Schuss Rum hinzu, macht das noch einmal 100 Kilokalorien aus. Die Gewürze dienen dann dazu, die Süße nicht allzu dominant werden zu lassen. Beliebt sind neben Zitronen- oder Orangenschalen Vanilleschoten, Sternanis, Gewürznelken, Kardamom und natürlich Zimt. Letzterer steht in dem Ruf, aphrodisierend zu wirken, womit der eine oder andere, der zu späterer Stunde auf dem Christkindlmarkt flirtet wie nicht gescheit, im Nachhinein Entgleisungen zu begründen versucht.

Überhaupt gilt Glühwein merkwürdigerweise als Geheimwaffe beim Anbandeln. Das mag daran liegen, dass manche Männer Alkohol generell als Aphrodisiakum betrachten. Nadine Thome, Deutschlands erste amtliche Glühweinkönigin - ein Titel, der erst 2008 erfunden wurde -, zeigte sich gegen Ende ihrer Amtszeit gelegentlich etwas genervt von zutraulichen Kegelbrüdern, die "einen Glühwein zu viel getrunken haben", und empfahl ihrer Nachfolgerin, möglichst in Begleitung auszugehen, "damit man nicht wie Freiwild einsam auf dem Weihnachtsmarkt steht".

Das mag manche Frau dieser Tage ähnlich empfinden, wenn die betriebliche Weihnachtsfeier ins Freie auf den Christkindlmarkt verlagert wurde und der Kollege aus der Logistik nach dem vierten Glas leise nuschelnd den Volksmund zitiert: "Genauso heiß wie dieser Wein, kann die Nacht dahinter sein."

In der Regel allerdings äußert sich diese heiße Nacht dann doch eher durch Sodbrennen, das die Speiseröhre in umgekehrter Richtung des Weines hinaufkriecht, sobald der Trinker sich in die Horizontale begeben hat. Folgt dem nicht noch Schlimmeres, so ist am nächsten Morgen jedenfalls mit einem veritablen Brummschädel zu rechnen. Spätestens dann fragt sich der leidende Glühweinvernichter, wer zum Teufel eigentlich jedes Jahr diese 50 Millionen Liter so gnadenlos wegsäuft?

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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