Mode und Nachhaltigkeit:"Viele Leute denken: 'Ich bin nicht das Problem'"

Lesezeit: 3 min

Die Designerinnen Alexa Philipp und Nadja Lechner (blaues Kleid) arbeiten nicht nur nachhaltig, sondern sorgen auch für Transparenz in der Herstellung. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Um neue Kleidung zu designen, kombinieren Nadja Lechner und Alexa Philipp schon mal ein früheres Bettlaken, ein Hemd und eine Tischdecke. Das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern auch gut für die Umwelt.

Von Franziska Gerlach

Da soll nochmal einer sagen, Mode sei langweilig: Zu wirklich jedem Kleidungsstück, das Nadja Lechner und Alexa Philipp gerade in ihrem Pop-up-Store in Schwabing von den Stangen nehmen, können sie eine Geschichte erzählen. Für ihr Label "Space for a Name" haben die beiden Modedesignerinnen ein Kleid aus einem Sari genäht, der ihnen bei einem Besuch in Amsterdam in die Finger geraten war.

In das nächste Teil haben sie eine Lage afrikanischen Baumwollstoff eingearbeitet. "Und das hier war ein Männerhemd, ein Bettlaken und eine Tischdecke", sagt Lechner und hält einen Kleiderbügel hoch. Hellblau das Bettlaken, das Hemd aus einem lachsfarbenen Leinengemisch, die Tischdecke geblümt. Vermutlich lag sie vormals auf einem Gartentisch, an dem sonntags Apfelkuchen mit Schlagsahne serviert wurde.

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Als Gürtel gehört die Tischdecke nun zu einem weit geschnittenen Hemdblusenkleid, und das sieht definitiv mehr nach Ausgehen im Glockenbachviertel aus, denn nach Apfelkuchen. Upcycling heißt das, wenn ausgediente Materialien durch die Hände eines Kreativen eine neue Bestimmung erfahren. Bis vor einigen Jahren beschränkte sich dieser Prozess vornehmlich auf die Verwandlung von Handtüchern in Turnbeutel. Seit das Bewusstsein für einen umsichtigen Umgang mit den Ressourcen dieses Planeten auch die Mode erreicht hat, entdecken insbesondere kleine Labels das Prinzip des Umschneiderns als Betätigungsfeld.

Winzige Rädchen im Getriebe der Branche, die im Fall von Lechner und Philipp, 27 und 33 Jahre alt, aber ordentlich rattern können, wenn es darum geht, die Wegwerfgesellschaft zu läutern sowie die Massenproduktion als Ausbeuter menschlicher Arbeitskraft und einen der größten Umweltsünder überhaupt zu entlarven. Der Prototyp eines modernen Unternehmens, für das Mode auch einen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen hat: für Transparenz in der Herstellung zu sorgen. Neue Vertriebswege zu suchen. Sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen. Die Münchnerinnen tun das zum Beispiel, indem sie ihre Entwürfe bei "Clothesfriends" anbieten, einer App zum Mieten von Kleidung.

Die Shirts sind secondhand und erhalten mit selbst entworfenen Tier-Prints eine neue Gestalt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Viele Leute denken: 'Ich bin nicht das Problem'. Ich habe ja nur einen Kleiderschrank", sagt Lechner und klingt mit einem Mal ernst. Ende 2020 ging "Space for a Name" mit einem Online-Shop an den Start, und bald schon fiel das Label für Frauen und Männer mit jenem Mut zu Farbe und frechen Designs auf, die man im Münchner Einerlei aus Naturtönen bisweilen vermisst. Eine bestickte Bomberjacke in Altrosa. T-Shirts, denen sie mit selbst entworfenen Tier-Prints zu einem zweiten Leben verhelfen. Breite Gürtel, die sie aus bunten Tischläufern aus Guatemala nähen.

Lechner und Philipp, die sich vom Studium an der Akademie Mode & Design (AMD) in München kennen und gemeinsam für das Kaschmirlabel Antonia Zander arbeiteten, schneidern am liebsten Baumwollstoffe um. Dafür durchkämmen sie Secondhandläden, Flohmärkte und das Internet, außerdem verarbeiten sie Reste, die bei größeren Firmen in der Produktion anfallen. Manchmal kaufen sie auch neue Biobaumwolle ein. Allerdings nur bei Händlern, die die Wertschöpfungskette transparent hielten. "Damit wir sicher sein können, dass es kein Greenwashing ist."

Ärger über das Greenwashing mancher Firmen

Denn Greenwashing, also die Unsitte mancher Firmen, sich aus Marketingzwecken grüner zu geben, als sie de facto sind, sei verbreitet. Ärgerlich sei das. Es sei durchaus ein Unterschied, ob ein Label behaupte, in Europa zu produzieren, obwohl lediglich die Etiketten in Portugal eingenäht würden - oder ob es sich faire Arbeitsbedingungen und Bio-Qualität mit kostspieligen Zertifikaten bestätigen lasse. Weil sie überzeugt sind, dass nur das Wissen um die Zustände zu einem Umdenken beim Konsumenten führen kann, informieren die Designerinnen auf ihrer Internetseite über die Probleme der Modeproduktion und die Vor- und Nachteile verschiedener Materialien: "Tencel" stellt eine umweltverträgliche Alternative zur Viskose dar, und fehlende Auflagen zum Umweltschutz führen dazu, dass sich in den Flüssen Indiens und Chinas regelmäßig die Trendfarbe der Saison ablesen lässt.

Momentan nähen Lechner und Philipp noch alleine. Doch läuft alles nach Plan, werden auf ihrer Homepage neben den Namen von Models und Fotografen demnächst auch jene von Schneiderinnen zu lesen sein, die in Textilbetrieben in Deutschland oder Österreich ihre Entwürfe umsetzen. "Space for a Name" ist nämlich wörtlich zu nehmen. Die Münchnerinnen wollen Platz schaffen für alle, die an der Entstehung von Mode beteiligt sind - und deren Namen normalerweise nirgends auftauchen.

Pop-Up-Store "Space for a Name" bis zum 22. Juni im "Bienewitz" in der Apianstraße 1. Dienstags bis freitags bis von 11 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 19 Uhr.

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