Unterlage:Gefühl allein reicht nicht

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Tanja Dressel-Marquardt hat den Matratzenladen in Trudering von ihrem Vater übernommen. Von Einheitslösungen hält sie nichts. (Foto: Catherina Hess)

Federkern oder Latex, Kaltschaum oder doch das neue Einheitsmodell für alle? Die Wahl der richtigen Matratze ist alles andere als einfach

Von Franziska Gerlach, München

Vor Casper gibt es kein Entkommen. Wer sich im Internet auch nur ein einziges Mal über Matratzen informiert, dem begegnet dieses Modell aus Amerika, das seiner besonderen Materialzusammenstellung wegen eine Matratze für alle sein will, fortan in schöner Regelmäßigkeit in der Facebook-Timeline. Matratzen sind für viele längst nicht mehr nur Schlafunterlagen. Sie sind Life-Style-Produkte. Und das ist womöglich auch der Grund, weshalb inzwischen mehrere Start-ups neue Matratzen auf den Markt bringen, mit wohlklingenden Namen wie Emma oder Eve.

Tanja Dressel-Marquardt beeindruckt dieser Hype nicht sonderlich. Seit 23 Jahren berät sie Münchner beim Kauf von Matratzen und Lattenrosten, im Januar hat sie das "Matratzen & Betten Haus" von ihrem Vater Werner Dressel übernommen, einem Physiotherapeuten. Eine Matratze für alle, wie einige der neuen Anbieter sie anpreisen? Das könne es gar nicht geben. Eine 50 Kilogramm schwere Frau brauche eine "hochsensible, softige Matratze"; ein breitschultriger Mann von 120 Kilo etwas Stabiles. Das ist auch der Grund, weshalb die meisten Paare im Ehebett unterschiedliche Matratzen benötigen. 50 Prozent der Kunden, die zu Dressel-Marquardt an die Heinrich-Wieland-Straße kommen, haben Rückenschmerzen. Allerdings gebe es auch solche, die ihre Schlafprobleme gar nicht auf ihr "Schlafsystem" zurückführten, wie sie die Kombination aus Matratze, Lattenrost und Kopfkissen nennt. Dabei sei eine Matratze nach acht bis zehn Jahren verbraucht. Da könne auch ein frisches Bettlaken nichts ausrichten.

Sich beim Matratzenkauf allein auf das Gefühl zu verlassen, geht ihr nicht weit genug. "Der Körper findet angenehm, was er gewohnt ist", sagt sie. Allerdings sei dies nicht zwangsläufig das, was ihm auch gut tue. Deshalb legt sie ihren Kunden bei der Beratung schon mal eine Weste mit einem Messstab mit 157 Mikroprozessoren um, der auf einen Bildschirm überträgt, wie die Wirbelsäule auf den unterschiedlichen Matratzen liegt.

Auf die Idee, dass man Betten mit gedrehten Eisendrähten unterspannen könnte, kam Ende des 19. Jahrhunderts ein Schmied in den Niederlanden. Diese stählerne Gesundheitsmatratze war der Vorläufer der Federkernmatratze, später kam noch eine Variante mit mehr und kleineren Federn dazu: die Taschenfederkernmatratze. Durch die Neunzigerjahre wuchtete der Münchner dann die bekanntermaßen nicht ganz so leichten Latexmatratzen. Ohne Federn. "Da wollte keiner Metall im Bett." Um die Jahrtausendwende war das Wasserbett gefragt, wie Dressel-Marquardt weiß, vor einigen Jahren musste es dann ein Boxspringbett sein, das anstelle eines Lattenrostes einen gefederten Unterbau hat. Und 2016? Seien rund 70 Prozent der Matratzen, die verkauft würden, Kaltschaummatratzen, erläutert Dressel-Marquardt. Allerdings gebe es große Unterschiede in der Qualität. Je nachdem, wie hoch das sogenannte Raumgewicht sei, sprich: wie viel Rohmasse in einem Kubikmeter aufgeschäumt werden. "Eine gute Matratze sollte ab 50 Kilogramm pro Kubikmeter Masse aufwärts haben."

Mit dem Anspruch, Orientierung zu bieten auf dem mittlerweile doch recht unübersichtlichen Markt der Matratzen, hat die Matrema GmbH in Gräfelfing eine Matratze gleichen Namens entwickelt, die sich auf zwei unterschiedlich harte Seiten wenden lässt. Mit ihrem sogenannten "4-Schicht-Comfort-System" will sie Schlafproblemen und Rückenproblemen entgegen wirken. In das Produkt flossen die Ergebnisse einer Studie ein, deren Teilnehmer über 50 Jahre alt waren oder an Rückenschmerzen oder Schlafproblemen litten. Besonders wichtig sei den Probanden zum Beispiel "eine gute Anpassungsfähigkeit an den Körper und Materialien, die Wärme und Feuchtigkeit gut ableiten", hat das Unternehmen herausgefunden. Und: Generell würden eher harte Matratzen bevorzugt - überraschenderweise auch von Frauen.

Überhaupt, so hat Reinhard Schneiderhan in seiner orthopädischen Praxis festgestellt, erweise sich der Münchner im Vergleich zu anderen Städtern als besonders interessiert, wenn es um einen gesunden Schlaf und einen gesunden Rücken geht. Während so mancher Mediziner anderer Fachrichtungen darauf verweist, dass dem Menschen über Jahrhunderte hinweg eine Schlafstätte aus Reisig, Stroh oder Fell genügt habe, schätzt der Orthopäde die Bedeutung der Matratze hoch ein. Mehr noch: Allein mit einer Matratze ist es nicht getan. Ein passender Lattenrost sei genauso so wichtig, selbst das Kissen hat bestimmte Kriterien zu erfüllen. Das Bettensystem müsse den Bereich zwischen Schultern und Becken stützen, damit die Wirbelsäule vom Gesäß bis zum Kopf eine gerade Linie bildet und entlastet wird. Sonst könnten sich etwa die Bandscheiben in der Nacht nicht regenerieren und Nährstoffe und Flüssigkeit wieder auffüllen. Und das Kissen? Bloß nicht zu hoch! Sonst verursache es Bandscheibenschäden. Um die Halswirbelsäule in der Nacht stützen zu können, sollte es mit einer festeren Latexmischungen gefüllt sein. Die Daune sei dagegen meist zu weich. "Zum Kuscheln nimmt man besser den Partner oder den Teddybären."

© SZ vom 20.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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