Unglücksorte:Wie die Stadt mit ihren Wunden umgeht

München hat einige Anschläge und Katastrophen erlebt. Immer kehrte danach wieder der Alltag ein - doch nie ganz.

Olympia-Einkaufszentrum

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Mehr als zwei Wochen nach dem Amoklauf des 18-jährigen David S.: Das Blumenmeer, das unmittelbar vor dem OEZ, dem Olympia-Einkaufszentrum, an die neun Opfer erinnert, ist inzwischen verwelkt. Es regnet, und der recht zerzauste Stoffpanda, der inmitten von erloschenen Grabkerzen und braunen Rosenblättern sitzt, scheint gegen die Tristesse an der Hanauer Straße anzulächeln. Wer genauer hinschaut, sieht, dass noch immer Menschen vereinzelt frische Blumen am Tatort ablegen. Ein kleiner Topf mit Margeriten hier, eine große Sonnenblume da. Der Straßenabschnitt zwischen dem OEZ und dem bis auf weiteres geschlossenen McDonald's wird in den Köpfen der Münchner noch lange ein Tatort bleiben - unabhängig von dem Denkmal, das nach dem Willen des Stadtrats aufgestellt werden soll. Die Fast-Food-Filiale ist abgeriegelt, nur die schwarzen Planen an den Gittern sind inzwischen verschwunden. Die Fenster jedoch sind mit Folien abgedeckt. Über die Tat werden auch zwei Wochen später noch immer neue Details bekannt. An der Segafredo-Bar im Untergeschoss des OEZ sitzt ein älterer Herr mit einer Boulevardzeitung in der Hand und liest eine Geschichte über den Mann, der David S. nach seiner Tat beschimpft hatte und dessen derbes Bairisch per Video berühmt wurde. Dafür hat er eine Anzeige bekommen. Darauf angesprochen, meint der Leser kopfschüttelnd: "Jetzt spinnens alle." Ansonsten nimmt alles im Einkaufszentrum seinen gewohnten Gang. War die Stimmung bei der Wiedereröffnung drei Tage nach der Tat noch spürbar gedrückt und einige Läden noch geschlossen, so erinnert in der Shoppingmeile inzwischen nichts mehr an den Amoklauf. Wo das Kondolenzbuch auslag und die Trauerandacht stattfand, ist nun eine Aktionsfläche für Herrenhemden. Es ist "Sale" im OEZ - Schlussverkauf. Die Sommerware muss raus und die Kunden lassen sich offenbar nicht bitten. Aus der U1 steigen gegen Mittag Hunderte Menschen, die meisten mit entspannten Gesichtern. Wer direkt von der U-Bahn durch den Kaufhof ins OEZ geht, kommt nicht an den verwelkten Blumen vorbei. Es ist für viele ein ganz normaler Einkaufstag im Ferienmonat August.

Olympiadorf

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(Foto: dpa)

Das Geschenk war großzügig, 488 736 Mark war es wert, doch überreicht wurde es nur unter einer Bedingung: Es müsse einer "würdigen Verwendung zugeführt" werden, die seinem "besonderen Charakter" Rechnung trage und politische Komplikationen verhindere. Unter dieser Maßgabe bekam die Max-Planck-Gesellschaft im April 1974 das Haus Connollystraße 31 im Olympiadorf. Jenes Haus, in dem am 5. September 1972 palästinensische Terroristen zwei Israelis erschossen und neun weitere fast einen Tag lang als Geiseln hielten. Den Ort des Olympia-Attentats. Als würdig wurde und wird eine Verwendung im Sinne der Völkerverständigung empfunden: Das Max-Planck-Institut für Physik bringt hier bis heute Gastwissenschaftler unter, die eine Zeit lang in München forschen. Zwar wurde immer wieder gefordert, das Haus als Gedenkstätte zu nutzen - umso mehr, als 2012 die Staatsregierung verkündete, eine solche errichten zu wollen. Doch ernsthaft verfolgt wurde der Plan nicht weiter - er wäre am Widerstand der Nachbarn gescheitert. Die Gedenkstätte entsteht nun ein Stück weiter nördlich in einer Grünanlage. Vor dem Haus erinnert eine steinerne Tafel der Israelitischen Kultusgemeinde an die ermordeten israelischen Sportler. Und immer wieder kommt es vor, dass Neugierige ins Haus selbst wollen. Alle Bewohner bekommen beim Einzug deshalb vom Max-Planck-Institut ein Informationsblatt ausgehändigt, auf Deutsch und auf Englisch. "Dies ist ein besonderes Haus: Es ist ein Denkmal der Zeitgeschichte", heißt es darin. Und es enthält den Rat, Besichtigungs- und ähnliche Anfragen, insbesondere von Journalisten, im Zweifel eher abzulehnen.

Oktoberfest, Haupteingang

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(Foto: Stephan Rumpf)

Das Attentat gilt bis heute als schlimmster Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Am späten Abend des 26. September 1980 explodierte am Haupteingang zum Oktoberfest eine mit Nägeln und Schrauben gespickte Bombe. 13 Menschen starben, den rechtsextremen Bombenleger Gundolf Köhler mit eingerechnet; mehr als 200 weitere wurden verletzt. Nicht nur in München standen die Menschen unter Schock. Doch damals kehrte rasch wieder die Routine des Alltags ein. Aus Angst vor Protesten und weil Oberbürgermeister Erich Kiesl (CSU) Stärke zeigen wollte, öffneten am nächsten Morgen die Bierzelte und Fahrgeschäfte wieder. Es schien, als wäre nichts geschehen. Erst am 30. September, als an mehreren Orten in der Stadt der Opfer gedacht wurde, schloss das Oktoberfest, zumindest für 24 Stunden. Heute ist das Attentat noch immer präsent, was auch daran liegt, dass der Anschlag ungenügend aufgeklärt worden ist. Ende 2014 wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Der Ort des Anschlags ist bereits seit 1981 nicht mehr zu übersehen: Schon vor dem ersten Jahrestag ist am Haupteingang zur Wiesn eine von Friedrich Koller gestaltete Stele aufgestellt worden, die seit 1987 die Namen der zwölf Ermordeten trägt. 2008 wurde der Platz neu gestaltet, die Stele unter anderem um eine 2,70 Meter hohe, halbkreisförmige Wandschale aus rostrotem Stahl ergänzt. Der Ort ist nun erst recht augenfällig. Zudem werden dort alljährlich Kränze und Blumen abgelegt, um an die Toten zu erinnern. Im Wiesn-Alltag erfüllt das Mahnmal meist einen anderen Zweck: Es ist ein Treffpunkt für Besucher geworden, die sich dort verabreden.

McDonald's in Trudering

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(Foto: Stephan Rumpf)

Die meisten Angestellten im McDonald's an der Wasserburger Landstraße wissen nichts mehr von dem Flugzeugunglück, das dort vor 29 Jahren neun Tote und 30 Verletzte forderte. Sie wissen auch nichts von einem Gedenkstein, der gleich in der Nähe steht. Vielleicht sind sie zu jung oder auch nur zu beschäftigt. Ein Gast, der sich bei hochsommerlichen Temperaturen in den Schatten des Schnellrestaurants geflüchtet hat, ist auskunftsfreudiger: Der Stein sei gleich da drüben hinter der Tankstelle, dort wo der Nikolaus-Prugger-Weg in die Truderinger Straße mündet. Das Denkmal gleich neben einem Buswartehäuschen hat die Form eines Kreuzes, der Rasen ringsum ist gemäht, das umrahmende Gebüsch sauber zugeschnitten. Blumen oder Kerzen gibt es nicht. Anfangs gab es ein Gezerre um die Aufstellung des Gedenksteins. Er habe dort aber noch nie jemanden innehalten gesehen, sagt der Truderinger. An das Unglück kann er sich noch gut erinnern. Alles sei großräumig abgesperrt gewesen damals. Am 11. August 1987 war ein Privatflugzeug ins Trudeln geraten, hatte einen Bus erfasst und war mit diesem in das Fastfood-Restaurant gerast. Bei dem Übungsflug war ein Triebwerk der Propellermaschine ausgeschaltet worden, um das Können des Piloten zu testen - mitten über dem Wohngebiet. Ein Anwohner kann sich ebenfalls noch gut erinnern: Er habe damals weiter stadteinwärts gewohnt, aber ein Stück hinter dem McDonald's gearbeitet: "Da tat es auf einmal einen Schlag und man konnte dann auch die Wärme spüren." Für die Truderinger ist es wichtig, dass der Flughafen weg ist. Und McDonald's? Hat seine völlig zerstörte Filiale bald danach wieder aufgebaut.

Truderinger Krater

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(Foto: Stephan Rumpf)

"Ja, es war schon sehr lange Zeit ein mulmiges Gefühl, hier mit dem Bus vorbeizufahren", sagt der Mann in der blauen MVG-Kluft. Seinen Namen will er nicht nennen, nur, dass er seit 25 Jahren als Busfahrer bei der Stadt arbeitet - und sein Leben lang das Unglück am Truderinger Krater nicht vergessen wird. Damals, als sich hier die Erde auftat, kamen drei Menschen ums Leben. Es war der 20. September 1994. Damals wurde am Truderinger Bahnhof gerade die U-Bahnlinie 2 gebaut. Die Röhre befand sich unter dem Grundwasser, und das lief durch feine Sandrisse in den Tunnel. Die Kiesschicht rutschte nach, an der Erdoberfläche brach die Asphaltschicht auf und ein acht Meter tiefes Loch klaffte im Boden. Es war das Bild von dem Linienbus, der nur noch mit dem Führerhaus nach oben aus dem Krater herausschaut, das um die Welt ging. Heute steht an der Stelle ein schräger Granitblock, entworfen vom Architekten Peter Bohn. Und direkt daneben ein Fahrradständer. Am Boden ist ein Schild angebracht: "Bitte keine Fahrräder am Denkmal abstellen." Drei Menschen ließen hier ihr Leben, zwei Leichen konnten erst acht Monate später aus dem mit Wasser gefüllten Krater geborgen werden, zu groß war die Gefahr, dass wieder Kies nachrutscht und die Taucher in den Tod reißt. Die Straße blieb jahrelang gesperrt. Das Unglück jährt sich am 20. September zum 22. Mal. Der Bahnhof präsentiert sich heute modern, mit kleinen Shops. Von den Verkäufern, die dort arbeiten, kennt keiner die Unglücksstelle. Aber die Truderinger erinnern sich - und natürlich die Fahrer der Busse.

Alter Spaten-Keller

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(Foto: Stephan Rumpf)

Die Gedenktafel sticht nicht gerade ins Auge, man muss schon sehr aufmerksam sein, um sie auf der mit dunkelgrauen Steinplatten verkleideten Mauer an der Ecke Martin-Greif-Straße/Landsberger Straße zu entdecken. Auf der grauen Tafel steht: "Zum Gedenken an die 52 Todesopfer des Flugzeugunglücks vom 17. Dezember 1960." Auf der Anhöhe über der Mauer steht heute ein Bürogebäude, in den Sechzigerjahren befand sich dort der Spaten-Keller. Dass er verschwunden ist, hat aber nichts mit der Katastrophe zu tun, die sich vor knapp 56 Jahren hier ereignet hat. Am 17. Dezember 1960 startet kurz nach 14 Uhr in Riem eine Convair C-131 D der US-Luftwaffe. Nach zwei Minuten meldet der Pilot, der linke Motor sei ausgefallen - er will zum Flughafen zurückkehren. Zur selben Zeit ist eine Straßenbahn voller Menschen von der Bayerstraße Richtung Westend unterwegs. Im Luftraum über ihnen prallt die Convair mit der linken Tragfläche gegen das Kreuz auf der Turmspitze der Paulskirche. Ein Teil des Flügels wird abgerissen, der Flugzeugtorso stürzt auf die Martin-Greif-Straße, erfasst den hinteren Wagen der Tram und zerschellt an der Mauer des Spaten-Kellers. Sofort steht der Wagen in Flammen, nur wenigen gelingt die Flucht. Von den 20 Menschen in der Convair überlebt keiner. Viereinhalb Monate danach wird die Gedenktafel am Spaten-Keller angebracht. Zu dieser Form der Erinnerung hatte sich die Stadt gemeinsam mit dem Oberkommando der US-Luftwaffe in Europa entschlossen. Bei der Enthüllung sagte Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel: "Die Tafel soll uns an die Toten erinnern und den Hinterbliebenen sagen, dass München ihrer nicht vergessen hat."

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