Flucht aus der Ukraine:Die zweite Einschulung

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Nach fünf Tagen unterwegs, nach einer Flucht von Charkiw nach München setzten Elisej und Eva sich aufs Sofa und schalteten den Fernseher an. Es kam "The Voice of Germany", eine Sendung, die auch versteht, wer kein Deutsch kann. (Foto: Robert Haas)

Bis Februar waren Eva und Elisej normale Schulkinder in der Ukraine. Mathe, Geige, Taekwondo. Über die ersten Tage in der Münchner Schule.

Von Julia Schriever, München

Als Eva und Elisej in ihrer neuen Münchner Schule ankamen, da guckten die anderen Kinder. Sie zeigten auf sie und sagten: "Die sind aus der Ukraine." Eva und Elisej können zwar erst ein paar Worte Deutsch, aber so viel verstanden sie. Elisej war die Situation unangenehm. Eva fand es nett, dass die Münchner Kinder neugierig waren. Ein älteres Mädchen sprach sie gleich auf Englisch an, begrüßte sie. Es war ein Anfang.

Eva und Elisej sind beide elf Jahre alt. Seit Dienstag besuchen sie die fünfte Klasse der Mittelschule am Gerhart-Hauptmann-Ring. Als sie von ihrem ersten Münchner Schultag erzählen, sitzen sie in der bayrischen Stube ihrer Gastfamilie in München-Neuperlach. Elisej trägt ein orangenes T-Shirt mit der Aufschrift "Stay cool", Eva hat Herzchen-Ohrringe und ein Handy mit gesprungenem Display. Über ihren Köpfen ist ein Herrgottswinkel und eine beeindruckende Sammlung an Bierkrügen mit Zinndeckeln. Die Dame, die hier gelebt hat, ist im Herbst gestorben.

Mit ihnen in der Stube sind ihre beiden Mütter Tatiana und Natalia, die sich vor gut elf Jahren im Krankenhaus in Charkiw kennenlernten, als sie mit Eva und Elisej schwanger waren. Sie wurden enge Freundinnen. So eng, dass sie gemeinsam flohen, als eine Rakete in Tatianas Haus einschlug und ein Flugzeug nicht weit von Natalias Haus abgeschossen wurde. Mit dabei ist auch noch Elisejs kleine Schwester Lada, drei Jahre, die einen Schokoriegel nach dem anderen verdrückt und Verstecken mit ihrem Münchner Gastvater Christian Grünwald spielt.

Christian Grünwald hat die fünf Ukrainer in der früheren Wohnung seiner Mutter aufgenommen. Er wohnt ein Stockwerk drüber. Er war es auch, der sich darum gekümmert hat, dass Eva und Elisej zur Schule gehen können. Er hat E-Mails geschrieben und Leuten hinterhertelefoniert. Nach zwei Wochen hatten Eva und Elisej endlich zwei Plätze in der Schule. Fehlt nur noch ein Kindergartenplatz für Lada.

Mehr als 280 000 Menschen sind inzwischen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Schätzungsweise ein Drittel davon sind Kinder und Jugendliche im Schulalter. Sie alle brauchen einen Platz in der Schule. Eva und Elisej bekommen jetzt mit acht anderen ukrainischen Kindern Deutschunterricht. Die ersten Worte und Sätze können sie schon. "Dankeschön", sagt Elisej. Eva sagt: "Ich lache gern."

Am 24. Februar schrieb Evas Lehrerin, dass die Schule ausfällt. Seitdem haben Eva und Elisej viele Übungen, Lückentexte und Aufgaben übers Handy gemacht. Ihr Gastvater hat einen Laptop und ein Tablet für sie organisiert. (Foto: Robert Haas)

Zuhause in Charkiw hat Eva jeden Tag Taekwondo gemacht. Sie gewann Wettbewerbe und arbeitete auf den braunen Gürtel hin. Elisej spielte Geige und hatte gerade neu mit Gitarrenunterricht begonnen. Natürlich haben die beiden weder Taekwondo-Anzug noch Geige auf ihrer Flucht mitnehmen können. Nur ihren Schülerausweis hat Eva noch: eine kleine Karte mit ihrem Namen und Foto drauf. Als der Krieg am 24. Februar begann, schrieb ihre Lehrerin morgens in die Klassengruppe, dass die Schule ausfällt. Kurze Zeit später traf eine Bombe die Schule, erzählt sie.

Es gibt mehrere Portale, mit denen ukrainische Lehrerinnen und Lehrer versucht haben, den Unterricht aufrechtzuerhalten. Dort gibt es Videos und Arbeitsblätter, Fotos von Lückentexten und Sachaufgaben. Christian Grünwald hat einen Laptop und ein Tablet organisiert. Eva und Elisej haben sich immer wieder hingesetzt, um die Aufgaben zu lösen. Noten gab es keine mehr.

In der neuen Münchner Schule fiel ihnen dann gleich auf, was alles anders ist. Eva zählt auf: Die Lehrerinnen seien deutlich jünger als in ihrer ukrainischen Schule, was sie sehr gut findet. Die Schule sei super ausgestattet, es gibt eine Dusche neben der Sporthalle. Der Unterricht sei strenger, es werde nicht so viel Quatsch gemacht wie in ihrer alten ukrainischen Klasse. Das vermisst sie. Elisej erzählt, eine Lehrerin habe ihm gleich am ersten Tag sein Handy am Pausenhof weggenommen. Handyverbot. Da kam Eva ihm zu Hilfe. Mit Englisch und Deutsch, Händen und Füßen machten sie der Lehrerin dann klar, dass sie das Handy zurück brauchen. Und dass sie sich erst an alles Neue gewöhnen müssen.

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